Definition der Menschenwürde
Wilfried Härle unternimmt in seinem Buch eine Menschenwürde-Definition, und er durchleuchtet diesen Begriff. Er unterscheidet zwischen moralischer und ontologischer Würde.
"Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt." Wenn Artikel 1 des Grundgesetzes zitiert wird, nicken alle. Aber so inflationär der Begriff "Menschenwürde" gebraucht wird - von der "menschenunwürdigen Behausung" bis zum "menschenwürdigen Sterben" -, so schwammig scheint seine Bedeutung zu werden.
Sagt das Gesetz, die Menschenwürde dürfe nicht angetastet werden, oder sagt es, sie könne gar nicht angetastet werden? Hat ein Folterer seinen geschundenen Opfern die Menschenwürde "geraubt" oder nicht vielmehr seine eigene "verspielt"?
Wilfried Härle zählt zu den wichtigsten Ethikern in Deutschland, war Mitglied der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages für Medizinethik und Professor für systematische Theologie an der Uni Heidelberg. Sein neuestes Buch unternimmt eine Menschenwürde-Definition im Wortsinn: Definition als Abgrenzung und Einordnung. Härle unterscheidet zwischen der moralischen Würde des Menschen im Sinne der Aufklärung (Friedrich Schiller: "Beherrschung der Triebe durch moralische Kraft ist Geistesfreiheit und Würde heisst ihr Ausdruck") und der ontologischen Würde des Menschen im Sinne jüdisch-christlicher Tradition (Buch Genesis: "Gott schuf den Menschen als Mann und Frau zu seinem Bilde").
Moralische Würde ist eine Zielsetzung, eine Erziehungs- und Bildungsaufgabe für jeden Menschen. Sie kann von ihm erworben und von der Gesellschaft zu- oder aberkannt werden. Wesensmäßig, in seinem Menschsein per se, verankerte Würde dagegen ist ein Ausgangspunkt, eine Voraussetzung des Menschen.
Sie kann von ihm weder verloren noch von der Gesellschaft verliehen werden. Der griechisch-römische Würde-Begriff beinhaltet die Vernunftfähigkeit des Menschen. Der jüdisch-christliche die Gottesebenbildlichkeit des Menschen. Wobei es "nicht auf die Beziehung des Menschen zu Gott, also seine Religiosität, ankommt, sondern auf Gottes Beziehung zum Menschen", meint Wilfried Härle.
Seit Aufklärung und jüdische beziehungsweise christliche Religion im "rechtsbegründenden Charakter ethischer Normen" zueinander fanden – wie es zum Beispiel in der Allgemeinen Erklärung der Menschrechte von 1949 der Fall war – "wird auch von Kritikern des Gottesglaubens nicht bestritten, dass es keine tragfähigere Begründung für die Würde des Menschen gibt".
Dass "religiös dominierte Staaten" (egal ob christlich oder islamisch) die Menschenwürde an Religions- oder Volkszugehörigkeit knüpfen und sie damit missachten, verschweigt der Autor ebenso wenig wie die Mühen des juristischen Alltags: Der "Zwergenweitwurf" ist verboten; aber Wachkoma-Patienten als "menschliches Gemüse" und Embryonen als "Zellhaufen" zu bezeichnen, nicht.
Wilfried Härles Buch fordert im Untertitel dazu auf, "groß vom Menschen" zu "denken". Das tut er sachlich, klug und freundlich.
Besprochen von Andreas Malessa
Wilfried Härle: Würde. Groß vom Menschen denken
Diederichs Verlag München, 157 Seiten, 16,95 Euro
Sagt das Gesetz, die Menschenwürde dürfe nicht angetastet werden, oder sagt es, sie könne gar nicht angetastet werden? Hat ein Folterer seinen geschundenen Opfern die Menschenwürde "geraubt" oder nicht vielmehr seine eigene "verspielt"?
Wilfried Härle zählt zu den wichtigsten Ethikern in Deutschland, war Mitglied der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages für Medizinethik und Professor für systematische Theologie an der Uni Heidelberg. Sein neuestes Buch unternimmt eine Menschenwürde-Definition im Wortsinn: Definition als Abgrenzung und Einordnung. Härle unterscheidet zwischen der moralischen Würde des Menschen im Sinne der Aufklärung (Friedrich Schiller: "Beherrschung der Triebe durch moralische Kraft ist Geistesfreiheit und Würde heisst ihr Ausdruck") und der ontologischen Würde des Menschen im Sinne jüdisch-christlicher Tradition (Buch Genesis: "Gott schuf den Menschen als Mann und Frau zu seinem Bilde").
Moralische Würde ist eine Zielsetzung, eine Erziehungs- und Bildungsaufgabe für jeden Menschen. Sie kann von ihm erworben und von der Gesellschaft zu- oder aberkannt werden. Wesensmäßig, in seinem Menschsein per se, verankerte Würde dagegen ist ein Ausgangspunkt, eine Voraussetzung des Menschen.
Sie kann von ihm weder verloren noch von der Gesellschaft verliehen werden. Der griechisch-römische Würde-Begriff beinhaltet die Vernunftfähigkeit des Menschen. Der jüdisch-christliche die Gottesebenbildlichkeit des Menschen. Wobei es "nicht auf die Beziehung des Menschen zu Gott, also seine Religiosität, ankommt, sondern auf Gottes Beziehung zum Menschen", meint Wilfried Härle.
Seit Aufklärung und jüdische beziehungsweise christliche Religion im "rechtsbegründenden Charakter ethischer Normen" zueinander fanden – wie es zum Beispiel in der Allgemeinen Erklärung der Menschrechte von 1949 der Fall war – "wird auch von Kritikern des Gottesglaubens nicht bestritten, dass es keine tragfähigere Begründung für die Würde des Menschen gibt".
Dass "religiös dominierte Staaten" (egal ob christlich oder islamisch) die Menschenwürde an Religions- oder Volkszugehörigkeit knüpfen und sie damit missachten, verschweigt der Autor ebenso wenig wie die Mühen des juristischen Alltags: Der "Zwergenweitwurf" ist verboten; aber Wachkoma-Patienten als "menschliches Gemüse" und Embryonen als "Zellhaufen" zu bezeichnen, nicht.
Wilfried Härles Buch fordert im Untertitel dazu auf, "groß vom Menschen" zu "denken". Das tut er sachlich, klug und freundlich.
Besprochen von Andreas Malessa
Wilfried Härle: Würde. Groß vom Menschen denken
Diederichs Verlag München, 157 Seiten, 16,95 Euro