Défilé 05

Von Katja Bigalke |
Sie hat Punk mit Barock gekreuzt und Minis mit Reifröcken. Sie hat den Minimalismus mit gebauschten Stoffmassen bekämpft. Sie hat die Sex Pistols ausgestattet und sich von der Queen adeln lassen. Als Vivienne Westwood 1993 eine Klasse an der Universität der Künste übernahm, hatte sie längst Modegeschichte geschrieben. 65 Studenten hat die britische Designerin seitdem ausgebildet. Beim "Defilé" im Flughafen Tempelhof haben die letzten neun von ihnen vor 1500 Gästen und Juroren ihre Abschlusskollektionen vorgestellt.
Wenn Professoren emeritieren, gibt es normalerweise eine kleine Feier an der Fakultät und dann kommt - ganz leise - der Ruhestand. Bei Vivienne Westwood ist das anders: Der Glamourfaktor der Queen of Punk ist hoch und deswegen gibt es eine Pressekonferenz und eine Modenschau. Kameras surren, Fotografen umdrängeln die blasse Frau mit den eierdottergelben Locken.

Westwood: "I would like to tell you about the T-Shirt I’am wearing…"

Vivienne Westwood rollt ihren Abschied aus Berlin von hinten auf. Sie fängt mit ihren Zukunftsplänen an. Einem weißen T-Shirt, das sie zu hellem Faltenrock und gefährlich hohen Plateausandalen trägt. Liberty steht auf dem Shirt und Throw away the key.

"Das hier ist ein Gefängnis und das ist ein Mensch, der da gefangen ist und das ist der Schlüssel. Ich denke es ist die erste Sache, für die ich kämpfen will."

Den Aufdruck hat Vivienne Westwood selber entworfen: Ein Herz hinter Gittern. Nach der UdK will sie sich verstärkt für Menschenrechte engagieren und gegen die Rechtlosigkeit in Gefängnissen wie Guantanamo Bay.

"Mein Programm nenne ich "active resistance to Propaganda". Aktiver Widerstand gegen Propaganda. Kultur versus Dogma."

Undogmatisch beginnt dann auch der Abend der Modenschau. Es fängt an mit Klavier und einem Best of aus zwölf Jahren Vivienne Westwood Klasse. In der Abfertigungshalle des kleinen Stadtflughafens Tempelhof stolzieren die Models in Brokatroben à la Madame Pompadour über den Laufsteg. Grobe Strickjacken werden zu transparenten Ballonröcken getragen. Kleider verhüllen vorne aber nicht hinten und Jacken sehen aus wie blonde Langhaarfrisuren. Punk und Pomp und eine Reise um die Welt - Westwoods Lehre gleicht einem Feldzug gegen den Einheitsschick.

"Alle sehen mittlerweile gleich aus auf der Welt und niemand kann mit diesen homogenen Kleidern noch Persönlichkeit ausdrücken. Ich finde die Menschen sehen furchtbar hässlich aus und das liegt wirklich daran, dass sie nicht denken. "

Westwoods Sudenten haben nachgedacht: Für ihre Diplomarbeiten stand die Weltliteratur Pate: Shakespeare, Balzac und Homer.
Sophokles Elektra kommt in leichten Tuniken daher: sexy und knapp gewickelt wie ein Bikini. Webstoffe aus dem Kaukasus tauchen neben Nadelstreifen auf und Madame de Sade kommt im langen Kapuzengewand daher- eine Mischung aus Kimono und Rap. Die strenge Westwood-Schule trägt ihre Früchte:

"Wir sind unabhängig von dem, was heute Trend ist oder Mode. Wir machen unsere Entwicklung selber. Diesen Westwoodstempel trage ich gerne. "

Der Westwoodstempel - das heißt Schnitte, Stoffe und Silhouetten in der Kleiderkammer der Geschichte finden und durch kleine Engriffe der Neuzeit anpassen.

"Wenn man vorankommen will, braucht man schon ein gewisses Spektrum der Welt. Und die einzige Möglichkeit ist, dass man die Vergangenheit betrachtet und nach Vorbildern sucht. Und deswegen bin ich auch Avantgarde. Marktforschung ist Schrott dagegen. "

Kritisch verfolgt die Designerin die Kollektionen ihrer letzten Berliner Klasse. Eine schwer zu befriedigende 64 Jahre alte Dame, die die Kreationen ihrer Zöglinge auch gerne mal als biedere Hausfrauenkleider runtermacht.

"Es ist nie gut genug für mich. Ich kann nie sagen, dass ich stolz bin, ich will immer mehr von ihnen. Aber was für mich am wichtigsten ist - wenn ich weg bin - sollen sie weiter denken und ins Museum gehen. Das ist besser als schnell ein T-Shirt zu designen."

Neben ihr haben die Mitglieder der Jury Platz genommen. Grit Seymour ist zum Beispiel dabei, die mit ihrem Label Tape mittlerweile einen internationalen Ruf genießt und nach Westwood als Gastdozentin an die Universität der Künste kommt. Und Modezar Jean Charles de Castelbajac.

"Ich fand das Niveau sehr hoch das hat mir gefallen, weil die Inspiration aus der Kultur kommt. Unserer Epoche mangelt es an Sinn. Zu viel Karaoke, zu viele virtuelle Sachen, die nicht existieren. Vivienne hat den Studenten ein Rückgrat gegeben - jetzt ist das wie mit diesem Flughafen: Sie können entscheiden, wohin sie abheben. "

Die Juroren verteilen ihre Preise, die vom Praktikum bis zum Sponsoring von Textilien reichen, und Vivienne Westwood bekommt zum Dank für ihre Leistungen als erste Ausländerin den Titel "Ehrensenatorin der Universität der Künste" verliehen.
Berlin nimmt Abschied von einer großen Designerin, die der Modewelt dieser Stadt internationale Aufmerksamkeit schenkte.

"Berlin ist jung im Vergleich zu Paris. Da kommt man hin, wenn man schon etabliert ist. Berlin ist auch dank der guten Uni zu einer Stadt geworden, in der Mode neu entdeckt wird."

Vivienne Westwood sind solche Standortdiskussionen natürlich egal. Wenn sie nach Berlin zurückkehrt, tut sie das aus anderen Gründen:

"Ein Grund zurückzukommen ist die Gemäldegalerie und das Café Einstein. Ich werde auch die Diskussionen mit den Studenten über Bücher vermissen - die habe ich immer sehr gemocht. "