Deepfakes

Trau Deinen eigenen Augen nicht!

04:44 Minuten
Ein Holzschnitt von 1662 aus "De homine", der Abhandlung über den Menschen von Rene Descartes zeigt als Illustration Körper und Geist des Menschen.
Rationalisten wie Descartes beschworen im 17. Jahrhundert eine allumfassende Täuschung der Sinne - durch Deepfakes scheint sie vor der Tür zu stehen. © imago images / Artokoloro
Von Catherine Newmark |
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In einem viralen Clip schwadroniert Facebook-Chef Mark Zuckerberg über seine Weltherrschaft. Ein perfekt manipuliertes Video, das auf die Gefahren der "Deepfakes" aufmerksam macht. Was tun, wenn wir unserer Wahrnehmung nicht mehr glauben können?
Wie so viele digitale Innovationen verdanken wir auch die Deepfakes einer der größten Triebkräfte im Internet: der Pornographie. Deepfakes begannen als "Spaß"-Übung: Nerds montierten Gesichter von bekannten Hollywood-Schauspielerinnen in Pornoszenen hinein. Ethisch höchst zweifelhaft und für die betroffenen Darstellerinnen empörend und rufschädigend. Aber doch noch keine Gefahr für den Weltfrieden.

Deepfake: Next Level der Fake News

Dass Deepfakes allerdings genau zu einer solchen Gefahr werden könnten, das befürchten derzeit viele. Wie schon das bekannte Video von Ex-Präsident Obama, mit dem der Schauspieler Jordan Peele letztes Jahr vor künftigen Fake News warnte, ist auch das Zuckerberg-Stück das Resultat einer Kunstaktion und will auf die Möglichkeit dieser Form der Manipulation aufmerksam machen.
Denn so spannend die neuen technischen Möglichkeiten für die Film- und Videoindustrie sind, was passiert, wenn sie politisch missbraucht werden? Selbst wenn die Technologien zur Entlarvung mit den technischen Möglichkeiten der Herstellung Schritt halten: Wie viel Schaden kann ein skandalöses Filmchen in bestimmten Momenten – etwa am Vorabend einer Wahl – nicht schon anrichten, bevor die Chance besteht, es zu überprüfen?
Und mehr noch: Selbst wenn Fälschungen jederzeit restlos aufgeklärt werden könnten – leben wir nicht sowieso schon in einer Welt, in der viele Menschen gerne das glauben, was ihrer Weltsicht entgegenkommt? In einer Welt, wo die schiere Möglichkeit der Fälschung uns umgekehrt zunehmend auch an der Wahrheit des Tatsächlichen zweifeln lassen wird? Und uns noch weiter wegführen dürfte von einem gemeinsamen Boden der Realität? Sind wir also geradewegs auf dem Weg von der "Post-Truth"-Ära ins "Post-Reality"-Zeitalter?

Sinnestäuschung durch böse Geister

Was Deepfakes eine besonders korrosive Wirkung auf unsere Psyche gibt, ist dass sie uns an einer besonders sensiblen Stelle packen: unserem Vertrauen in die eigenen Augen. Seit jeher bevorzugen wir als Quelle der Gewissheit das, was wir selbst gesehen haben vor dem, was wir bloß von anderen gehört oder irgendwo gelesen haben.
Die Philosophin Catherine Newmark diskutiert auf der phil. cologne, dem größten deutschen Philosophie Festival.
Die Philosophin Catherine Newmark.© imago / Horst Galuschka
Die sich abzeichnende Krise ist freilich bei Lichte besehen keine ontologische und streng genommen auch keine erkenntnistheoretische. Dass uns unsere Augen täuschen können, wissen wir schon lange. Ebenso, dass wir Sinnesdaten nur mittels des Verstandes tatsächlich Sinn geben können. Sehr wohl aber handelt es sich um eine praktische Krise der Sinnesempirie, so wie wir sie im Alltag nutzen. Denn so gewiss wir wissen, dass es Politiker gibt und dass sie Dinge sagen, wir können nicht mehr sicher sein, dass das, was über unsere Bildschirme flimmert, tatsächlich diese Realität abbildet. Die von Rationalisten des 17. Jahrhunderts wie Descartes beschworene allumfassende Täuschung der Sinne durch manipulative böse Geister, sie scheint vor der Tür zu stehen.

Misstrauen kultivieren

Was tun? Philosophisch müssen wir vom Empirismus nicht ablassen – aber wir können ihn nicht mehr im Alltag voraussetzen. Was neu zu lernen sein wird, ist unseren eigenen Augen praktisch jederzeit zu misstrauen. Mit der drohenden Ausweitung des Fiktiven im digitalen Bildersturm müssen wir eine permanente Wachsamkeit kultivieren, ja, einen unablässigen Verdacht gegenüber unserer eigenen Wahrnehmung. Denn Kriterien der Wahrheitsprüfung, die gibt es, aber sie sind mühsam, und sie haben mit dem Verstand zu tun: Prüfung von Quellen, von Wahrscheinlichkeiten, von Kohärenz. Der sichere Boden des Faktischen, er wird – mal wieder – ganz neu zu erarbeiten sein.
Hinter die Filmkultur des Internets werden wir freilich nicht zurück können, aber ihr Platz wird in Zukunft wieder derjenige sein, den sie im Netz immer schon hatte: derjenige der Fiktion, der Unterhaltung – und ja, meinetwegen, der Pornographie.

Catherine Newmark ist promovierte Philosophin und arbeitet als Kulturjournalistin, u.a. beim Deutschlandfunk Kultur und beim Philosophie Magazin. Zuletzt erschien von ihr "Wie männlich ist Autorität?" (Hg. mit Hilge Landweer, Campus Verlag)

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