Justin Torres: Wir Tiere
Aus dem Englischen von Peter Torberg
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2013
164 Seiten, 16,99 Euro
Wut auf alle
Drei Brüder aus einer New Yorker Unterschichtfamilie krallen sich alles, was sie brauchen - Justin Torres setzt Schlaglichter einer kaum glücklichen Kindheit. Er wählt eine farbige und poetische Sprache, kurze prägnante Sätze, wie atemlos hervorgestoßen.
Sie sind ein wilder Haufen, die drei Brüder: Joel, Manny und der siebenjährige Erzähler, der immer wieder zwischen seinen zwei und drei Jahre älteren Brüdern vermittelt, wenn sie sich in die Haare geraten, in blinder Wut aufeinander einprügeln. Sie haben offenkundig keine Freunde, denn sie werden von ihrer weißen Umwelt geschnitten, weil sie eine dunklere Hauptfarbe haben. Ihr Vater ist Puerto Ricaner, ihre Mutter eine Weiße.
Sie sind Außenseiter in einem heruntergekommenen Arbeiterviertel am Rande New Yorks, haben nur sich und ihre Wut auf alle. Sie plündern die Gärten ihrer Nachbarn, rauchen und trinken, obwohl sie dafür viel zu jung sind, haben vor nichts und niemandem Respekt, beschimpfen sich und andere unflätig. Niemand stoppt sie.
"Wir durften sein, was wir waren, verängstigt, rachsüchtig – kleine Tiere, die sich krallten, was sie brauchten," schreibt Justin Torres in seinem Erstlingsroman "Wilde Tiere". Er beschreibt dort eine Familie aus der amerikanischen Unterschicht, die alles andere als intakt ist. Allerdings erschließt sich dies erst peu à peu aus einzelnen Episoden. Sie folgen keiner Chronologie, heben einige Ereignisse hervor, Schlaglichter einer wenig glücklichen Kindheit, die mit einem traumatischen Erlebnis endet.
Der Vater, meist arbeitslos, verschwindet immer wieder für ein paar Tage. Er ist ein Choleriker, aufbrausend und dann wieder aus heiterem Himmel zärtlich. Die Jungs haben Angst vor ihm, denn er ist unberechenbar, verprügelt sie regelmäßig, schlägt auch seine Frau, kümmert sich kaum um die Familie.
Lethargisch im Chaos
Seine Frau, weich, bisweilen ein bisschen verträumt, ist ständig müde. Verwirrt von ihren Schichten in einer Brauerei, verwechselt sie Tage und Zeiten, ist zu erschöpft, um sich gegen ihre Kinder zur Wehr zu setzen. Die tanzen ihr auf der Nase herum. Eine typische Szene: die drei Jungs sitzen in der Küche, Regenjacken an, und spielen nach, was sie im Fernsehen gesehen haben. Joel schlägt mit einem Gummihammer auf Tomaten ein. Deren Inneres spritzt in hohem Bogen quer durch die Küche, klatscht an die Wände, besprenkelt die Jungs mit Tomatensaft. Als ihre Mutter kommt, nimmt sie lethargisch das Chaos wahr, lässt sich sogar in das absurde Spiel einspannen.
Justin Torres erzählt anfangs in der Wir-Form. Die unerträgliche Situation schweißt die drei Jungs zusammen, bis sich der Erzähler gegen Ende des Buches seiner Andersartigkeit bewusst wird, plötzlich allein gegen alle dasteht, aus der Familie herausfällt. Der junge Autor hat eine ebenso farbige wie poetische Sprache gewählt, kurze prägnante Sätze, teilweise im Stakkato-Stil, wie atemlos hervorgestoßen. Das gibt seinem Roman des Erwachsenwerdens eine Unerbittlichkeit, eine Dringlichkeit, die einen dem Ende entgegenfiebern lässt. Ein beeindruckendes Debüt.