Debütroman

Ein Junge mit hagerer Brust

Besprochen von Kolja Mensing · 14.01.2014
Lehrerin verführt 14-jährigen Schüler: Davon handelt Alissa Nuttings Roman. Doch das Werk ist mehr als ein anstößiger Sexroman vor dem Hintergrund weiblicher Pädophilie. Die Autorin erzählt auch von einer Gesellschaft, in der "Jugend" zum Fetisch geworden ist.
Dieses Buch soll provozieren – das merkt man auf den ersten Blick. Das Cover zeigt ein rosa Stück Stoff mit einem zart geschlitzten Knopfloch, das überdeutlich an eine Vagina erinnert, auf der Rückseite des Schutzumschlages werden Vergleiche zu "American Psycho" und "Lolita" gezogen, und der Klappentext verspricht "verbotene Begierden" und einen "Tabubruch". Der erste Satz des Romans trifft einen damit immerhin nicht ganz unvorbereitet: "In der Nacht vor meinem ersten Unterrichtstag lag ich in einer erregten Endlosschleife lautloser Selbstbefriedigung auf meiner Bettseite und fand keinen Schlaf."
In diesem Tonfall geht es dann auch weiter: In Alissa Nuttings Roman "Tampa" kommt auf jeder Seite Sex vor. Das ist zwei Jahre nach dem Erfolg von "Shades of Grey" und ganzen Welle von marktgängigen Softpornos nicht mehr ungewöhnlich. Doch "Tampa" ist kein weiteres SM-Märchen. Hier geht es um eine Art von Sex, die in den USA genau wie in Deutschland und vielen anderen Ländern der Welt ein Straftatbestand ist.
Die Erzählerin Celeste Price ist 26 Jahre alt und verheiratet, ihr "sexuelles Beuteschema" sind allerdings nicht gleichaltrige oder ältere Männer, sondern minderjährige Jungen. Als sie nach den Sommerferien ihre erste reguläre Stelle als Englischlehrerin an einer Junior Highschool in Tampa, Florida, antritt, genießt sie darum den "stechenden Geruch nach Teenagerschweiß" auf den Fluren – und hält unter den Achtklässlern sofort Ausschau nach einem "anständigen Knaben". Während sie sich bemüht, das Unterrichtsgespräch am Beispiel von "Romeo und Julia" oder "Der scharlachrote Buchstabe" möglichst oft auf das Thema Sex zu bringen, fällt ihr schließlich Jack Patrick ins Auge, ein gerade 14-jähriger Junge mit "hagerer Brust", mitten in der "allerletzten Phase pubertärer Androgynie". Celeste verführt ihn und beginnt außerdem eine Beziehung mit dem Vater des Jungen, um so oft wie möglich in Jacks Nähe sein zu können – ähnlich wie Humbert Humbert, der zu Beginn von "Lolita" die Mutter seiner "Nymphe" Dolores heiratet.
Die Handlung erinnert an Nabokov, der Tonfall an Breat Easton Ellis
Die Referenzen auf dem Umschlag Alissa Nuttings Debütroman sind also nicht ganz falsch gewählt: Die Handlung erinnert zumindest in Teilen an Nabokovs Jahrhundertwerk, der unterkühlte und scheinbar moralfreie Tonfall an Breat Easton Ellis. Und genau wie "Lolita" und "American Psycho" lässt sich "Tampa" als Gesellschaftssatire lesen, wenn sie auch in diesem Fall vergleichsweise eindimensional ausfällt: Alissa Nutting erzählt unter der sexuell eindeutigen Oberfläche ihres Romans von einer Gesellschaft, in der "Jugend" zum Fetisch geworden ist.
Celeste Price – das ist die eher amüsante Seite ihres Charakters – ist süchtig nach "Anti-Aging-Wellness" und hat sich selbst einen strengen Wochenplan auferlegt, mit "Sauerstoff-Facials, DNA-Repairenzym-Facials, Kaviar-Illuminating-Facials, vorbeugenden Botoxbehandlungen, Mikrodermabrasion und LED-Lichttherapie", mit "Fruchtsäurepeelings" und "Beautytreatments". Dass zu dieser Verjüngungskur konsequenterweise auch Geschlechtsverkehr mit einem 14-Jährigen gehört ist eine zynische Pointe, die Alissa Nutting der amerikanischen Wirklichkeit abgeschaut hat: "Tampa" ist inspiriert durch den Fall Debra Lafave, eine junge Lehrerin, die vor knapp zehn Jahren wegen einer Beziehung zu einem Schüler vor Gericht verurteilt wurde und daraufhin zum Medienstar wurde. Und in den USA ist das angeblich kein Einzelfall.
"Tampa" ist also trotz der skandalträchtigen Aufmachung und den anstößigen Sexszenen ein moralisch einwandfreies, geradezu kreuzbraves Buch, das sich irgendwo zwischen puritanischer Tradition und sex-positivem Feminismus à la Charlotte Roche bewegt. Eine Restbeunruhigung bleibt trotzdem. Über den eigentlichen Tabubruch, der der Handlung zugrunde liegt, liest man nämlich zuletzt fast hinweg, einfach weil das Thema "weibliche Pädophilie" tatsächlich ein Tabu ist: Der Missbrauch von Frauen an Jungen ist wissenschaftlich und journalistisch ein kaum bearbeitetes Thema. Dieses Buch ist bestimmt keine Diskussionsgrundlage. Aber einfach wegsortieren kann man es auch nicht.

Alissa Nutting: Tampa
Aus dem Amerikanischen von Verena von Koskull
Hoffmann und Campe, Hamburg 2014
287 Seiten, 19,99 Euro

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