Debütalbum von Gordi

"Das Schlimmste wäre ein Dubstep-Remix"

Transformiert den Folk in die Gegenwart: Die australische Sängerin Gordi.
Transformiert den Folk in die Gegenwart: Die australische Sängerin Gordi. © Cameron Wittig
Gordi im Gespräch mit Martin Böttcher |
Auf einer Farm in Australien wuchs die Sängerin Gordi mit Billy Joel, Carole King und Eva Cassady im Ohr auf. Elektronische Musik lernte sie erst später kennen. Ihr Debütalbum transportiert den Folk in die Gegenwart.
Martin Böttcher: Diese Farm, wo Sie mit Ihren Eltern wohnen oder gewohnt haben, ist schon seit 120 Jahren in Familienbesitz. Wie kommt man da zum Musikmachen?
Gordi: Meine Mutter ist sehr musikalisch. Sie ist in Sydney aufgewachsen, als eines von zehn Geschwistern, alle in der Familie haben gesungen. Ich glaube, von dieser Seite kommt meine Musikalität. Mein Vater ist weniger musikalisch, aber er kann gut mit Wörtern umgehen.
Das Haus, in dem ich aufwuchs, war voller Musik. Meine Mutter gibt Klavierstunden. Bei uns liefen immer die Alben von Billy Joel, Carole King, James Taylor und Eva Cassady. Gemeinsam saßen wir dann am Klavier, und meine Mutter brachte mir bei, die Songs nach Gehör nachzuspielen. Und wir haben in dem Haus diesen wunderbaren Raum, von dem aus man den Garten überblicken kann, bis zu einem Fluss, sehr idyllisch. Das bildet einen tollen Rahmen zum Musikmachen. Mit zehn habe ich dann angefangen, Gitarre zu lernen. Ich habe ziemlich viel Zeit in dem Raum mit Komponieren verbracht.
Böttcher: Ihre Popmusik ist ja inzwischen auch relativ elektronisch geworden, also vielleicht gar nicht mehr das, was man so Zuhause als eine Art Hausmusik macht. Das ist ja insgesamt in Australien so, dass früher – zumindest habe ich so den Eindruck aus der weiten Entfernung aus Deutschland – dass früher in Australien sehr viel Gitarrenmusik die Szene beherrscht hat. Und nach und nach hat die elektronische Popmusik das Ganze überrollt. Wie sind Sie denn zur elektronischen Popmusik gekommen?
Gordi: Meine Musik bewegt sich auf diesem schmalen Grad zwischen Folk mit Akustikgitarre und elektronischer Musik. Die elektronischen Einflüsse kommen wahrscheinlich aus dieser neuen Szene, die sich in Australien entwickelt hat – ein netter Kontrast zur Musik meiner Kindheit. Auf der Farm gab es nämlich überhaupt keine elektronische Musik zu hören, am besten gefiel mir damals Folk. Ich spielte Klavier und Gitarre.
Als ich dann zwölf war, wechselte ich auf ein Internat nach Sydney. Mit der neuen urbanen Umgebung kam ich auch in Berührung mit der elektronischen Musik. Ich glaube immer noch, dass die besten Songs von den großen Folkmusikern kommen. Aber der Folk musste in die Gegenwart transportiert werden. Und weil ich oft Musik von Künstlern hörte, die das schon machen, wollte ich ähnlich vorgehen.
Böttcher: Das Debütalbum ist ja immer etwas Besonderes, wenn man so etwas dann aufnimmt. Auf der anderen Seite machen Sie ja schon länger Musik, haben Songs und EPs veröffentlicht. Früher war ein Album was ganz Besonderes. Ich bin mir nicht so ganz sicher. Ich glaube, dass das Album nicht mehr so eine große Bedeutung hat wie früher, dass die so ein bisschen abgenommen hat. Wie sehen Sie das?
Gordi: Meine Antwort dazu fällt jetzt, nachdem ich selbst eines gemacht habe, anders aus – und nicht nur, weil ich will, dass die Leute es sich anhören. Ein Album zu produzieren hat mir gezeigt, wie wichtig dieses Format ist. Ich weiß, dass es diesen Trend gibt, eine Single nach der nächsten zu veröffentlichen, besonders in der elektronischen Musik. Aber ich habe immer das Gefühl, dass ich einen Künstler erst so richtig kennenlerne, wenn ich mich länger mit ihm beschäftige. Du kannst ganz verrückt nach einem einzelnen Song einer Band sein, aber richtig lieben und wertschätzen kannst Du sie erst, wenn es ein ganzes Werk zu hören gibt.

Das Konzept ergab sich vom Ende her

Böttcher: Gibt es denn auf Ihrem Album so etwas wie einen roten Faden? Um was geht es in Ihren Songs?
Gordi: Die Songs sind innerhalb von fünf Jahren entstanden. Es handelt sich nicht um ein Konzeptalbum, es gab kein besonderes Thema, mit dem ich mich auseinandersetzen wollte. Dass die Songs trotzdem etwas zusammenhält, habe ich erst im Nachhinein verstanden – und daher rührt dann auch der Name: "Reservoir".
Mit dem Begriff meine ich diesen Ort, der in uns allen steckt, an dem wir all unsere Gedanken und Erinnerungen ablegen, ob wir’s wollen oder nicht. Je älter ich wurde, desto mehr habe ich diesen Ort ergründet. Als Teenager konnte ich jeden Tag einen Song schreiben, weil ich in mir so viele Emotionen hatte. Inzwischen muss ich mich aber ganz auf ein Gefühl einlassen, damit ein Song dabei herauskommt. Auf "Reservoir" geht es darum, auch schlechte Gefühle und Schmerz zuzulassen. Das möchte man ja eigentlich nicht unbedingt, und deshalb legt man das in sein Reservoir hinein.
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Gordis Debütalbum "Reservoir".© Liberation Music/Hey Alfalfa
Böttcher: Die Texte sind ja das eine, das andere ist die, finde ich, auffällige Produktion. Sie arbeiten mit Autotune, mit Effekten. Hall ist da viel auf der Stimme zu finden. Haben Sie so etwas wie musikalische Vorbilder?
Gordi: Der Autotune-Effekt ist ein gutes Bespiel – und seine Herkunft ist recht offensichtlich, würde ich sagen. Man hört ihn oft bei Bon Iver oder anderen Projekten von Justin Vernon, wie Volcano Choir. Zum Autotune bin ich erst in den letzten Jahren gekommen – und ich habe ihn schätzen gelernt, sofern er gut eingesetzt wird. Das Interessante ist, dass er menschliche Stimmen menschlicher erscheinen lassen kann, obwohl man ja vom Gegenteil ausgehen würde. Bei Bon Iver gibt es ein paar tolle Beispiele dafür.
Ich habe den Effekt besonders stark in Songs wie "Heaven I Know" und "Myriad" eingesetzt. Das sind die Songs, die mich am meisten berühren. Der Autotune-Effekt macht irgendetwas mit mir, alles klingt irgendwie rauer als bei einer menschlichen Stimme. Für das neue Album habe ich mich mit dem Effekt intensiv auseinandergesetzt, weil ich die Stimme wie ein Instrument behandeln wollte, nicht unbedingt als Vehikel, um eine Geschichte zu erzählen oder einfach nur zu singen. Man kann viel aus einer Stimme rausholen, sie humanisieren oder dehumanisieren und damit jeweils eine andere Wirkung beim Publikum erzielen.
Böttcher: Was wäre denn die schlimmste Reaktion auf Ihr Album?
Gordi: Das Schlimmste wäre, wenn jemand aus meinen Songs einen Dubstep-Remix machen würde.
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