Debütalbum der Elektromusikerin Ela Minus

Hymnen für den Feminismus

06:47 Minuten
Ela Minus beim Auftritt im Roundhouse, hinter einem Schlagzeug.
Als "Akt der Rebellion" will Ela Minus ihre Musik verstanden wissen. © Getty Images / Redferns / Burak Cingi
Von Christoph Möller · 21.10.2020
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Die Kolumbianerin Ela Minus verarbeitet auf ihrem Debütalbum "Acts of Rebellion" belastende Momente ihres Lebens: schwierige Beziehungen oder eine Klubnacht, die im Krankenhaus endet. Das Ergebnis ist Elektropop mit emanzipatorischem Anspruch.
"Ich habe lange gezögert, das Album so zu nennen. Als mir aufgefallen ist, was das für ein Album geworden ist, ein Album, das so ehrlich ist, war ich beschämt. Es fühlte sich so an, wie wenn man in den Spiegel guckt, ohne zu posen, und denkt: So sehe ich also aus. So sieht mich die Welt. Es fühlt sich deshalb ironisch an, wenn man mich fragt, ob ich mit dem Titel einem Trend folgen wollte."
Sagt Ela Minus. "Acts of Rebellion" heißt ihr Debütalbum. Akte der Rebellion. Ein bombastischer Titel, der aber erst mal noch nicht den großen politischen Umsturz zum Ziel hat, sondern persönliche Katharsis. Denn wenn Ela Minus singt, dann klingt das, als hätte sie jahrelang die Zähne zusammengebissen und all die Dinge runtergeschluckt, den sie jetzt bereit ist zu verarbeiten. Um welche Dinge es dabei geht, wird klar im Stück "Megapunk", einem wütenden Stück, das die Anti-Haltung von Punk mit dem Trendwort "mega" verbindet und suggeriert: Einfach nur dagegen sein, das reicht nicht mehr. Es muss gekämpft werden.
"Als ich den Song geschrieben habe, dachte ich an Frauen", sagt Minus. "Zu der Zeit fehlte mir die Luft zum Atmen. Denn in jeder einzelnen Beziehung, in der ich war, hat ein Mann mich unterdrückt. Zum Beispiel, weil ich hart arbeite. Die Männer wollten, dass ich weniger arbeite. Sie wollten, dass ich mehr Zeit mit ihnen verbringe und weniger auf Tour gehe. Ich wollte also dieses Lied schreiben, als Hymne für Frauen. Als Hymne für den Feminismus!"

Erinnerung an belastende Momente

Ela Minus verarbeitet auf "Acts of Rebellion" belastende Momente ihres Lebens mit den Mitteln analoger Synthesizer. Und hält so Donna Haraways Idee vom "Technofeminismus" hoch: Mit Maschinen, so die Frauenforscherin Haraway, könnte die reale Zurückweisung in der Gesellschaft umgedeutet werden zu einer, Zitat, "weltverändernden Fiktion".
Das ist die Leitidee dieses Albums. Und es ist eine interessante Pointe, dass Ela Minus jeden Klang ihrer Maschinen bis in die kleinsten Schaltkreise erklären kann: Denn sie hat in Brooklyn lange für eine Firma modulare Synthesizer gebaut und repariert.
"Elektrizität ist sehr mächtig. Mit ihr habe ich Klänge erzeugt, Bässe zum Beispiel, die ich so noch nie in der natürlichen Welt gehört habe. Synthesizer folgen keinen Regeln, weil sie nicht diese natürliche Körperlichkeit von akustischem Klang haben."

Eine Poetik der Schaltkreise

Stellenweise wirkt das Album allerdings schon wie ein Ratgeber zur Selbstfindung: "Do Whatever You Want, All The Time" heißt ein Titel. Doch über diese Banalität lässt sich hinweghören, denn Ela Minus entwickelt auf "Acts of Rebellion" eine gelungene Poetik der Schaltkreise: Sie reflektiert ihre, wie sie sagt, "bedrückende Gegenwart" mit der emotionalen Kraft von elektronischer Musik. Hinter Ela Minus Effekten stecken meist große Geschichten. Etwa hinter dem Atem-Geräusch im Stück "N19 5NF".
Atmen: einerseits das universelle Symbol für Leben. "N19 5NF" ist aber auch die Postleitzahl eines Londoner Krankenhauses, in dem Ela Minus fast gestorben wäre.
"Ich war auf einer Party, offensichtlich mit den falschen Leuten. Und ich wurde sehr krank. Häufig hört man ja diesen Satz, bevor man in einen Klub geht: Achte auf die Leute um dich herum. Pass auf, dass es allen gut geht. Bei mir hat niemand darauf geachtet. Niemandem ist aufgefallen, dass ich in Schwierigkeiten bin und mit den falschen Leuten unterwegs war. Alle dachten, ich sei high. War ich aber nicht. Mir ging es schlecht."

Und am Ende ein Liebeslied

Es sind krasse Geschichten, die Ela Minus auf "Acts of Rebellion" erzählt. Allerdings nicht so konkret wie im Interview, sondern künstlerisch bearbeitet. Dadurch werden sie universell. Das Album ist auch deshalb so gut, weil es die düsteren Seiten von Klubkultur transparent macht.
Ela Minus Musik steht zwar für die hedonistischen Ideale dieser Kultur. Doch sie denkt das Scheitern dieser Ideale gleich schon mit. Etwa wenn sie davon berichtet, wie sie tagelang nur flüssige Nahrung zu sich nimmt, und sich als Folge davon ziemlich verloren fühlt. Das ist kein sensationslüsterner Erfahrungsbericht aus dem Klub, sondern selbstreflexive Popmusik mit emanzipatorischem Anspruch. Und irgendwie ist es dann auch passend, dass am Ende dieses düsteren Albums ein verträumtes Liebeslied steht. Katharsis vollendet.
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