Debüt von Paramore-Frontfrau Hayley Williams

Wut ist still

05:28 Minuten
Hayley Williams blickt durch einen Blumenstrauß in die Kamera
Paramore-Fans können aufatmen, die Band bleibt nicht zu zusammen, sondern die anderen beiden Mitglieder haben an diesem Album mitgearbeitet. © Atlantic Records/Lindsey Byrnes
Von Kerstin Poppendieck · 06.05.2020
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Optisch und musikalisch ist Paramore-Frontfrau Hayley Williams weit entfernt von ihrer Alternative-Rock-Band. Doch trotzdem überzeugt ihr Solodebüt auf voller Länge – auch weil es trotz düsterer Themen überraschend positiv ist.
Hayley Williams wurde als Frontfrau der Grammy-ausgezeichneten Alternative-Rock-Band Paramore bekannt. Diese Woche veröffentlicht sie ihr Erstlingswerk "Petals for Armor", das kein Rock, sondern lässiger Electro-Pop ist. Und da es ihr Solodebüt ist, geht es auf diesem Album auch komplett um sie – mit teils heftigen Themen wie psychische Störungen, Missbrauch und Drogenabhängigkeit. Doch für diese Dichte an düsteren Themen klingt dieses Album überraschend positiv.
Mit Social-Distancing oder Corona hat "Petals for Armor" nichts zu tun. Es ist eher so wie in einer langjährigen Ehe, wenn man irgendwann Lust hat, mal was Neues ohne den Partner auszuprobieren. Bei Hayley Williams ist dieser Partner ihre Band Paramore, die sie im Teenageralter vor 16 Jahren gegründet hat. Wenn man den rockigen, gitarrenlastigen Klang der Gruppe aus Tennessee im Kopf hat, wird man höchstwahrscheinlich überrascht sein, wie die heute 31-jährige Hayley Williams die Solokünstlerin klingt.

Hilfe von den Bandkollegen

"Ich wollte auf diesem Album experimenteller sein und als Musikerin performen.", sagt sie. "Das ist wahrscheinlich der größte Unterschied zu Paramore. Da hab ich manchmal Musik geschrieben und auch gespielt, aber irgendwie war es einfach nicht das, was ich wirklich machen wollte. Immer wenn ich auf der Bühne Synthesizer oder Keyboard gespielt habe, fühlte ich mich begrenzt. Ich wollte lieber auf der Bühne herumlaufen und Quatsch machen und dabei mein Mikro halten."
So wuchs nach und nach der Wunsch in ihr, ein Soloalbum aufzunehmen. Streit mit den anderen zwei Bandmitgliedern gab es deshalb nicht. Im Gegenteil. Gitarrist Taylor York hat dieses Album mitproduziert und Schlagzeuger Zac Farro steuerte Parts für einige Songs bei. Umso spannender ist es, wie mutig und zielsicher sie ihren eigenen Klang findet und sich auf "Petals for Armor" immer wieder musikalisch neu erfindet.

"Wir sollten niemals das Gefühl haben, dass wir alles wissen"

"Ich denke, dass wir Musiker uns manchmal zu wohl fühlen und faul werden. Wir müssen lernen, neugierig zu bleiben und uns für neue Dinge zu interessieren. Wir sollten niemals das Gefühl haben, dass wir alles wissen oder irgendetwas gemeistert haben. Ich denke, sonst wird Kunst langweilig."
Langweilig wird es auf "Petals for Armor" nie. Hayley Williams Markenzeichen waren immer ihre knallig bunten Haare. Orange, pink, blau – hat sie alles schon getragen. Für ihr Solodebüt hat sie sich für ein klassisch elegantes blond entschieden. Vielleicht um die Aufmerksamkeit weg von ihrem Äußeren zu lenken, hin auf ihre Musik. Williams bedient sich an den verschiedensten Elementen und Möglichkeiten elektronischer Musik.

Zwischen Radiohead und Madonna

Manche Songs erinnern an Radiohead, andere an Phoebe Bridgers oder sogar an Madonna. Einflüsse aus wütendem Punk, düsterem Emo und eingängigem Pop treffen auf atmosphärische elektronische Klangwelten. Die Wut in ihrer Stimme und im Text aber auch gleichzeitig die Wandelbarkeit ihrer Stimme machen den Song "Simmer" zu einem Highlight. Hier wird schnell klar, dass Hayley Williams im Studio Spaß am Experimentieren mit ihrer Stimme hatte.
"Alles begann mit meiner Stimme. Taylor hatte dieses wirklich coole Mikrofon, das Geräusche von zwei verschiedenen Seiten aufnimmt, so wie wir Menschen ja auch Töne hören. Dieses Mikrofon hatte die Form eines Kopfes. Ich ging bei der Aufnahme immer von einer Seite zur anderen und sang in jedes Ohr. Ich atmete, beatboxte, schnappte nach Luft und summte. Das ganze Lied ist um mein Gesumme gebaut."

Ein lange nachwirkendes Album

Auf dem Lied "Simmer" singt Hayley Williams: "Wut ist still. Man denkt, man hätte sie gezähmt, aber sie lauert nur darauf auszubrechen. Wie kann man bloß die Grenze zwischen Zorn und Mitleid ziehen?" Teilweise fühlt man sich, als würde man im Tagebuch der Künstlerin lesen, so persönlich und berührend sind die Texte. Zum Beispiel wenn sie von ihren Depressionen während Tourneen singt oder davon wie sie von weiblichen Familienmitgliedern missbraucht wurde, von Beziehungsproblemen, Angst, Wut und Lust.
Ganz offensichtlich ist dieses Album für Hayley Williams eine Möglichkeit persönliche Probleme aufzuarbeiten. Gerade durch diese Offenheit schafft es Hayley Williams, eine Verbindung zu ihren Hörern aufzubauen und legt ein lange nachwirkendes Solodebüt vor.
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