Vaddey Ratner: "Im Schatten des Banyambaums"
Aus dem Englischen von Stephanie von Harrach
Unionsverlag, Zürich 2014
380 Seiten, 21,95 Euro
Überleben unter den Roten Khmer
In Vaddey Ratners Roman kommt der Krieg und der Terror der Roten Khmer auf leisen Sohlen daher: Wie einst die Autorin ist die Hauptfigur erst fünf Jahre alt - und erzählt so in einer stark symbolischen Bildlichkeit.
17. April 1975, Phnom Phen: In der Stadt sind bereits die ersten Schüsse zu vernehmen – und der Vater der kleinen Raami kehrt besorgt von seinem morgendlichen Spaziergang zurück.
"Der Krieg trat nicht mit Raketenangriffen oder Bomben in die Welt meiner Kindheit, sondern mit dem Schritt meines Vaters, der auf dem Weg ins Schlafzimmer im Flur an meinem Zimmer vorbeiging. Ich hörte, wie die Tür sich leise öffnete und wieder schloss." Mit diesem Satz eröffnet die 1970 als Angehörige der königlichen Familie in Kambodscha geborene Vaddey Ratner ihren Debüt-Roman, in dem sie verarbeitet, wie sie die Schreckensherrschaft der Roten Khmer erlebt und überstanden hat.
Es ist ein programmatischer Satz: Erstens, weil der Krieg in Ratners Roman tatsächlich auf leisen Sohlen daher kommt und Ratner vom Terror, den die Roten Khmer verübten, in eher zurückhaltenden Tönen erzählt. Und zweitens, weil Ratners Art und Weise, nicht den Terror, sondern das Überleben in den Mittelpunkt zu stellen, das geistige Erbe ihres Vaters darstellt, der zentralen Figur im Leben auch der Ich-Erzählerin Raami.
"Das winzigste Fünkchen Schönheit"
Wie einst die Autorin, ist die kleine Raami gerade einmal fünf Jahre alt, als die Roten Khmer in die Hauptstadt einfallen. Die Familie – die nie ohne Bedienstete gelebt hat – wird wie alle anderen Bewohner der Stadt aus ihrem Haus vertrieben, auf's Land geschickt und zu Zwangsarbeit verpflichtet. Dann beginnen die Säuberungskampagnen.
Raamis Vater, von adeliger Herkunft und ein der Poesie zugeneigter Intellektueller, ist den Roten Khmern ein Dorn im Auge. In einem unbedachten Moment verrät Raami seinen Namen – und der Vater wird sich stellen, um das Leben seiner Familie zu schützen. Raami wird ihn nie wieder sehen – aber bevor der Vater geht, gibt er ihr ein Vermächtnis mit auf den Weg: "Was auch immer an Hässlichem und Zerstörerischem um dich herum sein mag, ich will, dass du daran glaubst, dass das winzigste Fünkchen Schönheit hier oder dort das Abbild des Wohnsitzes der Götter ist. Es gibt ihn, Raami. Ein solcher heiliger Ort existiert. Du musst ihn dir bloß vorstellen, wage es, ihn zu träumen."
"Fußspuren der Götter"
Von diesem Geist ist auch der Roman beseelt, den Ratner bewusst aus Kinderperspektive erzählt und zugleich in einer stark symbolischen Bildlichkeit, die der in ihrer Kultur und Herkunft begründeten Überzeugung Rechnung trägt, dass Geschichten "Fußspuren der Götter" sind, welche - so Raamis Großmutter -, Menschen "vor und zurück durch die Zeit" führen.
Dieser zuweilen elegische Ton, der leicht mit einem mangelnden politischen Bewusstsein der Autorin verwechselt werden kann, wird manchen irritieren. Sprich: Von den Killing Fields und den schrecklichen Foltermethoden wird man in diesem Buch nichts lesen.
Ratners Roman - wenn er denn überhaupt einer genannt werden kann! – ist eine höchst persönliche Liebeserklärung und Hommage an den Vater der Autorin, der sie lehrte, angesichts der Vergänglichkeit des Lebens Geschichten vom Weitermachen zu erzählen - Geschichten wie "Im Schatten des Banyambaums".