Debüt im Deutschlandradio Kultur

Zeitlos archaisch

Trio K/D/M
Trio K/D/M © Bludenzer Tage zeitgemäßer Musik
Essentiell, archaisch und zeitlos mutet die Kombination in diesem Trio an: "K/D/M" verbindet Schlaginstrumente mit dem Akkordeon. Jetzt geben die drei Franzosen Gilles Durot, Victor Hanna und Anthony Millet ihr Debüt in der Berliner Philharmonie.
Trio K/D/M (Frankreich):
Gilles Durot, Percussion
Victor Hanna, Percussion
Anthony Millet, Akkordeon
Programm:
Gérard Grisey
Stèle (1995)
für zwei Basstrommeln
Clara Iannotta
3 sur 5 (2012-13)*
für zwei Perkussionisten und Akkordeon
Régis Campo
Laterna Magica (2012)
für Akkordeon solo
François Narboni
The Mosellan Psycho (2009-10)*
für Akkordeon, Vibraphon und Marimba
Deutsche Erstaufführung
Sylvain Kassap
Kammer Deutsche Melodien (2015)*
für Akkordeon und zwei Perkussionisten
Uraufführung
Georges Aperghis
Le corps à corps (1978)
für Zarb solo und Stimme
Jean-Pierre Drouet
La matière de l'air (2011)*
für Akkordeon und zwei Perkussionisten
Deutsche Erstaufführung
* komponiert für das Trio K/D/M

Karten
Besucherservice der Rundfunk Orchester und Chöre GmbH Berlin
Telefon: 030. 20 29 87 10
Fax: 030. 20 29 87 29
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Eine Aufzeichnung des Konzerts können Sie am 28. Mai ab 20:03 Uhr in unserem Programm hören.


Trio K/D/M
Trio K/D/M © Bludenzer Tage zeitgemäßer Musik
Holz, Fell, Stein, Staub
Gérard Grisey: "Stèle" (1995) für zwei Basstrommeln
Das Duo beginnt, bevor sich das Publikum gesammelt hat. Es beginnt sogar, bevor, der zweite Schlagzeuger seine Bereitschaft signalisiert. So schreib es Gérard Grisey in die Partitur. Ein untergründiges Rauschen, leise Bürstenkreise auf dem Fell der tieferen der beiden großen Trommeln, lassen den Eindruck entstehen, als spielten Kriterien wie Anfang oder Ende für diese Trauermusik keine Rolle. Gérard Grisey beschäftigte bei der Arbeit an diesem Trommelduo die Frage nach der Überzeitlichkeit der Zeitkunst Musik. "Wie kann man den Mythos der Dauer zu Tage fördern", schrieb er über Stèle, "wie kann man eine Zellorganisation erschaffen, deren Fluss anderen Gesetzen gehorcht?"
Wie aus dem Nichts erheben sich das Rauschen, aber auch die ersten, gedämpften Trommelschläge aus der Stille. Die beiden Perkussionisten stehen möglichst weit voneinander entfernt, sodass ihre Signale genug Zeit haben, sich zu entfalten. Gérard Grisey weitet mit dieser Aufstellung den musikalischen Raum und unterstreicht die archaische Kommunikation zwischen diesen vergleichsweise trägen Schlaginstrumenten, deren Klangvielfalt bis dato noch kaum erschlossenen ist.
Die Entscheidung für nur zwei Trommeln bedeutet im Hinblick auf das schier unerschöpfliche Arsenal an Perkussionsinstrumenten eine extreme Reduktion der Mittel. Zugleich bieten die Trommelfelle riesige Spielflächen, deren Topographie - hell und hart am Rand, dunkel und weit nachschwingend in der Mitte - mit unterschiedlichen Stöcken, Schlägeln, Besen und Bürsten erschlossen wird. Über das Fell der tieferen Trommel ist zudem ein Band mit Holzkugeln gespannt, die den dumpfen Ton um harte Impulswolken bereichern.
Die beiden Schlagzeugstimmen beschreiben einen langsamen Prozess vom Rauschen, in das Stèle allerdings immer wieder zurücksinkt, zu fest umrissenen rhythmischen Gestalten. Beim Komponieren habe ihn ein Bild begleitet, "das Bild von Archäologen, die eine Stele entdecken und den Staub von ihr entfernen, bis eine Grabinschrift sichtbar wird", schreibt Gérard Grisey im Rückblick.
Anlass für die Komposition des archaischen Trommelduos war der Tod des französischen Komponisten Dominique Troncin, der 1994, im Alter von 33 Jahren, starb. Ihm ist diese Trauermusik gewidmet, die sich vom rauschenden Staubklang in den eindringlich gehämmerten Nachruf verwandelt. Die Entzifferung der Grabinschrift hat jedoch ihren Preis. Wenn die Strukturen ihre maximale Deutlichkeit erlangen, zerfällt der gemeinsame Puls der beiden Stimmen. Die Perkussionisten spielen das Ende dieser Trauermusik nicht mehr synchron. Ihre Entfernung ist damit nicht mehr nur räumlich, auch die zeitlichen Verbindungen sind gekappt.
Gamelan mit Schreibmaschine
CLARA IANNOTTA "3 sur 5" (2013) für Akkordeon und zwei Perkussionisten
Drei Musiker teilen sich fünf kurze Sätze, mehr will der mathematische Titel dieses Trios nicht bedeuten. Die fünf Sätze öffnen - jeder für sich - die Tür zu einer überraschenden, neuen Klangwelt. Die italienische Komponistin führt weit Entferntes zusammen. Wie ein Hybrid zwischen den kaleidoskop-artigen Glockenklängen eines Gamelan-Orchesters und dem trockenen Ticken einer mechanischen Schreibmaschine erinnert das Trio im ersten Satz weder an die Klischees der Akkordeonmusik, noch an die Stereotypen der Schlagzeugidiome. Das Akkordeon gibt sich überhaupt erst spät, mit länger ausgehaltenen Tönen, als solches zu erkennen. Anfangs dient es als Perkussionsinstrument, während distinkte Töne eher vom Marimbaphon, den Glocken und den Gongs der Schlagzeuger kommen. Für die Clara Iannotta, die in Mailand und Paris studiert hat, spielt der Rhythmus eine wichtige Rolle. Am Anfang ihrer Arbeit steht die Ausarbeitung außergewöhnlicher Klänge. Ist ein Klang einmal gefunden, steht gleich an zweiter Stelle die Suche nach der rhythmischen Gestaltung.
In den fünf kurzen Sätzen dieses Trios setzt Clara Iannotta auf Kontraste und Momente der Überraschung. Im klaren Gegensatz zur Uhrwerk-artigen Mechanik des ersten steht die pulslose Langsamkeit des zweiten Satzes. Um die Liegeklänge des Akkordeons zeichnen die beiden Schlagzeuger teils groteske Wellenlinien, unter anderem mit einem Gummiball und der Wah-Wah-Röhrenglocke. Diese Sektion lebt vom Kontrast zwischen vibratolosen Akkordeontönen und weit ausgreifenden Schwingungen, zwischen ätherischen Höhen und erdigen Tiefen. In jedem der fünf Sätze wechselt die Instrumentation. Im dritten wird das Akkordeon von zwei Vibraphonen flankiert, zunächst ist es als heimlicher, harmonischer Kern fast nur zu erahnen, erst gegen Ende schiebt es sich mit kräftigen Balgstößen in den Vordergrund. Nach dem Szenenwechsel zum vierten Satz schlägt die große Trommel den Puls, darüber sirren die Obertöne geschwungener Plastikschläuche, durchsetzt von den zarten Akzenten der Kalimba und der Triangel sowie den auch optisch verschleierten Tönen einer Mundharmonika. Mit der fünften dieser Miniaturen schlägt Clara Iannotta den Bogen zum Beginn und verbindet die perkussiven Gamelan-Patterns mit dem ätherischen Ton gestrichener Wassergläser, dem Sirren der Plastikschläuche, stampfenden Füßen und Stimmgeräuschen. Clara Iannotta schreibt eine äußerst farbenreiche Kammermusik, detailverliebt, transparent und pointiert. Das Akkordeon zieht sie - wenn es die Situation verlangt - auf die Seite der Geräuscherzeuger. Das Schlagwerk inszeniert sie in seiner ganzen Bandbreite, wie ein kleines Orchester, teils dem Geräusch verpflichtet, teils melodisch und harmonisch.
Die Hafenorgel
Régis Campo (*1968) "Laterna Magica" (2012) für Akkordeon solo
Schläge auf die Tasten, ohne Tonhöhe. Finger, die über die Balgfalten gleiten, wie über die Riffelung eines Guiros. Klappengeräusche beim Wechsel der Register. Das einzige Akkordeonsolo im Trioprogramm beginnt rein perkussiv. Régis Campo nutzt das Akkordeon als Schlaginstrument, bevor er es mit repetierten Patterns auch melodisch in Szene setzt. Der ternäre Rhythmus - lang kurz kurz lang - drängt vorwärts und erinnert kaum zufällig an die obsessiven Wiederholungen der Tangomusik. Wie bei Astor Piazolla entlädt sich auch die Leidenschaft des in der Hafenstadt Marseille geborenen Komponisten in Repetitionen. Das Insistieren, die Wiederholung gegen alle physischen und psychischen Widerstände, verlangt Kraft. Campo lässt seinen Akkordeonisten immer wieder gegen verschlossene Türen anrennen, bis sich die Türen unvermittelt öffnen und das Spiel im nächsten Raum von Neuem beginnt. Laterna Magica lebt von der Idee fixe, die sich im Bass festsetzt und den Diskant zu immer wahnwitzigeren Gesten verleitet. Die Aufschreie glissandierender Cluster, scheinbar endlose Sequenzierungen und dichte Akkorde lassen das kleine Akkordeon wie eine Kirchenorgel aufleuchten. Die Königin der Instrumente, jahrhundertelang nicht nur das heiligste sondern auch das gewaltigste und lauteste Musikinstrument des Abendlands, ist eng mit der Orgel der zwielichtigen Hafenkneipen verwandt.
Von seinen Interpreten verlangt Régis Campo einen vorbehaltlosen körperlichen Einsatz. Momente der Stagnation bieten nur kurze Ruhepausen, bevor der ostinate Bass wieder einsetzt und den Diskant mit sich reißt. Dass Igor Strawinsky zu den erklärten Vorbildern des Komponisten zählt, verrät schon die Dominanz der archaischen Rhythmik. Campo führt einen regelrechten Kampf gegen das rhythmische Bassmotiv. In den Randgebieten der hohen Register verliert es sich, kehrt für eine Weile erst variiert wieder, dann im Original, während sich der Diskant in wilde Cluster verbohrt. Der Kampf endet ohne Versöhnung, in lustvoller Spannung.
Das wiedergefundene Leben
FRANÇOIS NARBONI (*1963)"The Mosellan Psycho" (2009) für Vibraphon, Marimba und Akkordeon
Ohne das Ensemble K/D/M, gesteht François Narboni, wäre er nicht so schnell auf die Idee gekommen, mit Vibraphon, Marimba und Akkordeon drei Instrumente miteinander zu kombinieren, die ihm doch eigentlich nahe stehen. Aber auch für das Naheliegende braucht es oft einen Anlass. Für das Akkordeon hat Narboni bereits viel komponiert, und in der Welt des Schlagzeugs ist der französische Perkussionist ohnehin zu Hause. Zunächst wollte er Jazzschlagzeuger werden und begeisterte sich für das Vibraphon. Später erweiterte er sein Repertoire, studierte klassisches Schlagzeug und schließlich auch Komposition am Pariser Nationalkonservatorium. In seinen Werken begegnen sich Jazz und Klassik und damit auch Improvisation und Schriftlichkeit. Aber auch die Beschäftigung mit außereuropäischen Musikkulturen, wie dem indonesischen Gamelan und dem japanischen No-Theater, hat in seinem Schaffen Spuren hinterlassen.
Wenn in The Mosellan Psycho das Akkordeon auf die beiden Stabspiele Marimba und Vibraphon trifft, bedeutet das den Verzicht auf reine Geräuschklänge und die Konzentration auf die Arbeit mit Tonhöhen und Harmonien. Das heißt allerdings nicht, dass der Rhythmus darüber vernachlässigt würde. Im Gegenteil: die größten Herausforderungen des Mosellan Psycho stellen die schnell gehämmerten Akzentfolgen dar. Francois Narboni setzt sie auf repetierte Töne oder auf weit gespreizte Patterns, die sich systematisch über die Taktschwerpunkte verschieben. Häufige Taktwechsel machen es fast unmöglich, sich an rhythmischen Regelmäßigkeiten zu orientieren oder gar festzuhalten. Die einzigen Stellen, an denen das Trio den Anker auswerfen kann, um sich zu sammeln, sind kurze Wiederholungsschleifen im 5/8-Takt, aber auch diese Loops verlangen höchste Konzentration und perfekte Synchronisation. Francois Narboni gestaltet sie immer wieder neu, mit veränderten Akzenten oder variierter Rhythmik.
The Mosellan Psycho ist eine getriebene Musik, in der das Akkordeon über weite Strecken den Duktus der Stabspieler imitiert. Es verlängert aber auch die nachschwingenden Töne des Vibraphons, wobei das mechanische Vibrato des Stabspiels und die fast schnurgeraden Zungenklänge des Akkordeons feine Schwebungen erzeugen.
An den Skandalroman American Psycho erinnert Narbonis Mosel-Drama nur entfernt. Es entfesselt keinen mörderisch-sadistischen Leerlauf, sondern eine Musik voller Energie und Freude über das "wiedergefundene Leben".
Melos à trois
SYLVAIN KASSAP (*1956) "Kammer Deutsche Melodien" (2015) für Akkordeon und zwei Perkussionisten
Melodien aus Deutschland? Kammermusik? Der Versuch, in den Wortbegegnungen des Titels einen tieferen Sinn zu suchen, ist zum Scheitern verurteilt. Kammer Deutsche Melodien ist schlichtweg ein Spiel mit dem Namen des Trios K/D/M, dem Sylvain Kassap für die Uraufführung in Deutschland eine betont melodische Kammermusik geschrieben hat. Sylvain Kassap, der nie eine Musikhochschule besucht hat, der nie systematisch in Kontrapunkt und Harmonielehre unterwiesen wurde, ist als Musiker und Komponist Autodidakt, wenn auch mit einem Abschluss in Musikwissenschaft. Nach einer Jugend in der Rockmusik, in der es keine Rolle spielte, ob man sein Instrument gut beherrschte, fand der 1956 geborene Franzose zur Klarinette und zum Free Jazz. Eine Festlegung bedeutete das allerdings noch lange nicht. "Ich weiß nicht einmal, welches Instrument ich spiele", sagt er rückblickend, "aber ich weiß, dass ich Musiker bin. Das ist eine revolutionäre Haltung: der Free Jazz ist eine Sicht auf die Gesellschaft."
Bekannt wurde der Klarinettist, Saxophonist, Schlagzeuger und Keyboarder zunächst im Jazz, später entdeckte er als Klarinettist die Neue Musik und interpretierte Werke von Luciano Berio, John Cage, Edgard Varèse, Karlheinz Stockhausen und Luc Ferrari. Seit den 1980er Jahren komponiert er Musik für Film, Theater und den Konzertsaal. "Schreiben und Improvisieren", sagt er heute, ist für mich ein- und dasselbe, es ist derselbe Kopf, derselbe Gedanke". Allerdings wechselt er in Kammer Deutsche Melodien nicht zwischen den Genres. Das Trio ist bis ins Detail ausnotiert. Über weite Strecken dominiert das Akkordeon mit dichten, ornamentalen Figuren, die dialogisch zwischen der linken und der rechten Hand wechseln.
Das Instrumentarium der beiden Schlagzeuger besteht vor allem aus Metallophonen. Kassap setzt auf den hellen Klang der Crotales, glissandierende Gongs, Klangschalen, Becken und Plattenglocken, die - wie auch das Vibraphon - teils mit dem Bogen gestrichen werden. Die perkussiven Hauptrollen fallen allerdings den Trommeln und später auch dem Vibraphon zu. Vor allem Pauke und große Trommel treten mit dem Akkordeon in einen - im Rahmen ihrer Möglichkeiten überaus melodischen - Austausch. Erst gegen Ende schafft Kassap auch einen rhythmischen Freiraum, in dem das Akkordeon zum ersten Mal pausiert, bis es sich zunächst mit Tonrepetitionen wieder ins Spiel bringt.
Kammer Deutsche Melodien inszenieren aber nicht nur das Akkordeon als Melodieträger, sondern unterstreichen gerade auch das melodische Potential der Schlaginstrumente und nicht zuletzt auch die rhythmische Energie des Akkordeons.
Musiktheater für einen Perkussionisten
GEORGES APERGHIS (*1945)"Le Corps à Corps" (1978) für Zarb solo
Aus allem Musik machen: aus einem Blick, aus dem Ansatz eines Lachens, aus der Sprache. Als der gebürtige Grieche Georges Aperghis 1976 außerhalb von Paris, in Bagnolet, das Atelier théatre et musique gründet, stehen die Zeichen auf Veränderung. Vorbei ist die Zeit der Schreibtischarbeit. Die Schauspielerinnen, Tänzer, aber auch Laienmusiker und Kinder, mit denen er in der östlichen Pariser Banlieue ein neues Musiktheater entwickelt, haben nicht alle eine klassische Musikausbildung. Nur die wenigsten können Noten lesen. In diesem Kreis ist es unmöglich, den Probenprozess mit der fertigen Partitur zu beginnen. Deshalb entwickelt Georges Aperghis die neuen Stücke gemeinsam mit den Performern, ob es sich dabei um Laien oder um Profis handelt, spielt keine Rolle. Zum Kreis der Künstler im Atelier théatre et musique gehört auch der Komponist und Schlagzeuger Jean-Pierre Drouet, der außereuropäische Instrumente nach Bagnolet mitbringt. So entsteht die Idee für Le Corps à Corps, ein "Musiktheater für einen Perkussionisten und sein Zarb". Das fertige Stück ist allerdings keine mehr oder minder freie Improvisation mit theatralischen Elementen. Ein Blick in die Partitur zeigt, dass der Noten- und der Sprechtext, ebenso wie jede, noch so spontan wirkende Geste bis ins Detail festgelegt sind.
Den Nukleus des Solos bildet die Parallelität zwischen der instrumentalen Trommelstimme und den lautmalerischen Trommelimitationen des Virtuosen. Aus den imitatorischen Lautfolgen entwickelt sich eine zunächst nur scheinbare, später auch konkrete Erzählung.
Georges Aperghis stellt sich den Musiker wie einen epischen Erzähler vor. Im ersten Teil - Ouverture - bleiben seine virtuosen Artikulationen durchweg unterhalb der sprachlichen Ebene. Umso mehr spült der zweite Teil - Le récit (Die Erzählung) - ganze Worte, später Wortfolgen und Sätze an die Oberfläche, die in ihrer Diktion allerdings der Rhythmik des Zarb folgen. Teil 3 - La Lutte (der Kampf) - kehrt wieder zu nicht semantischen Lautfolgen zurück, während der Musiker die Geräusche eines imaginären Kampfes vokal und instrumental imitiert. Eine Auseinandersetzung, die auch konkret im Kampf des Virtuosen sowohl mit seinem Instrument, als auch mit seinem Atem zum Ausdruck kommt.
Ein Schlagzeuger ist ein Gitarrist ist ein Mundharmonikaspieler
JEAN-PIERRE DROUET (*1935) "La matière de l'air" (2011) für Akkordeon und zwei Perkussionisten
In der hochspezialisierten Landschaft der klassischen Instrumentalisten ist der Schlagzeuger das Faktotum, das immer dann mit neuen Aufgaben betraut wird, wenn den Komponierenden der Pool der Klangerzeuger nicht mehr genügt. Perkussionisten spielen nicht nur europäische und - inzwischen ebenso selbstverständlich auch - außereuropäische Schlaginstrumente, sie bürsten Kakteen, knittern Pergamentpapier, bearbeiten Styropor, lassen Wasser plätschern und blasen neben Lotosflöten auch Mundharmonikas. Dass diese modernen Geräuschemacher nicht jedes Instrument so perfekt beherrschen wie zum Beispiel eine Geigerin ihre Violine, muss nicht zwangsläufig von Nachteil sein. Jean-Pierre Drouet kennt als Schlagzeuger beide Seiten der Medaille. Als studierter Perkussionist ist er mit dem Handwerk des klassischen Schlagzeugspiels von Grund auf vertraut. In Indien hat er später auch das Spiel der Tabla erlernt und ein iranischen Meister unterrichtete ihn auf dem Zarb. Beide Instrumente beherrscht er professionell und hat viel zu ihrer Verbreitung in Frankreich beigetragen. Ebenso prägend waren für ihn aber auch die Erfahrungen auf dem Gebiet der Improvisation. Mit Michel Portal, Carlos Roqué Alsina und Vinko Globokar gründete er 1968 das Ensemble New Phonic Art, in dem alle Mitglieder die professionellen Sicherheiten zur Disposition stellten und sich als Sänger, Tänzer oder Sprecher auch in Bereiche vorwagten, in denen sie kaum mehr als Amateure waren. Aus dieser Erweiterung des Aktionsradius hat sich eine eigene Poetik entwickelt, in der ein Gitarre spielender Schlagzeuger wie in La matière de l'air keine Notlösung bedeutet, ja nicht einmal einen Kompromiss darstellt. Die Unvollkommenheit als Teil der Ästhetik ist ein Bekenntnis zum ebenso lustvollen wie unerschrockenen Umgang mit allem, was klingt. Vom naiven Kinderspiel ist diese Poetik allerdings auch weit entfernt. Ein Gitarre spielender Perkussionist ist immer noch ein professioneller Musiker und eben kein Laie.
"Ich bin Schlagzeuger geworden", bekennt Jean-Pierre Drouet, "weil die Perkussion in den faszinierendsten Musikkulturen unserer Zeit eine wichtige Rolle spielt. Durch das Schlagzeug bin ich in die unterschiedlichsten Genres eingestiegen: Jazz, Music-Hall, zeitgenössische Musik, orientalische Musik und viele andere". Aber auch die Komposition stieg Drouet früh ein. Er studierte bei René Leibowitz und Jean Barraqué, seither komponierte er Werke für das Theater, den Tanz, aber auch Konzertmusik.
La matière d l'air verrät eine impulsive, schnelle Handschrift. Die Akkordeonmelodie kontrapunktiert Drouet mit zwei - ebenfalls einstimmigen - Perkussionsmelodien, die sich virtuos aus Bongos, Kastagnetten, Becken, Wood blocks und Glocken zusammensetzen. Wechsel zu neuen Abschnitten folgen schnell und unvermittelt. Das Akkordeon öffnet harmonische Felder, der Zarb mischt sich in einen Dialog über Vibrato und Non-Vibrato. Anschließend öffnet Drouet die Wunderkammer der Perkussion: ein glissandierender Gummiball, eine Mundharmonika, die Gitarre, ein kleines Harmonium und Sprungfedern garantieren Überraschungen, zu denen auch das interkulturelle Duo zwischen Zarb und kleiner Trommel gehört. Kleine Patterns, aber auch ganze Abschnitte verfangen sich in Loops und streben aufwärts, bis sich die Wunderkammer ein letztes Mal öffnet. Den längsten Atem hat das Akkordeon. Die Luft ist sein Element, aber auch das Material, das jeden Schall trägt.
Von Martina Seeber
Trio K/D/M (Frankreich):
Das Trio K/D/M wurde im Jahr 2008 von drei Solisten gegründet. Mit seiner flexiblen Besetzung vom Solo bis zum Trio verfügt das Ensemble über ein besonders breites Repertoire von Werken des 20. und 21. Jahrhunderts. Das Trio arbeitet besonders eng mit Komponisten zusammen und vergibt auch Kompositionsaufträge.
In der Saison 2014/2015 trat das Trio K/D/M bei zahlreichen Festivals auf, u.a. bei den Bludenzer Tagen zeitgemäßer Musik (Österreich), Controtempo (Rom), Archipel (Genf) und ManiFeste (Paris), und spielte Uraufführungen u.a. von Fernando Fiszbein (Argentinien), Michelle Lou (USA), Bruno Giner (Frankreich) und Marc Garcia Vitoria (Spanien).
Zu den wichtigen Aufnahmen des Trios gehören eine CD im Rahmen der Reihe "Meyer Foundation Young Soloists" (2010) und eine Porträt-CD mit Musik des Komponisten François Narboni (2013).
Gilles Durot
Gilles Durot © Franck Ferville
Gilles Durot (Perkussion) lernte als Kind das Spiel auf mehreren Instrumenten. Als Schlagzeuger wurde er von Jean-Daniel Lecoq am Konservatorium in Bordeaux und anschließend von Michel Cerutti am Konservatorium in Paris (CNSMDP) ausgebildet. Danach arbeitete er für die wichtigen Orchester der französischen Hauptstadt: das Orchestre National de France, das Orchestre Philharmonique de Radio France und das Orchestre de l'Opéra National de Paris, unter der Leitung u.a. von Pierre Boulez, Lorin Maazel, Kurt Masur, Myung-Whun Chung, Christoph Eschenbach, Peter Eötvös und Jonathan Nott. Im Jahr 2007 wurde Gilles Durot Mitglied des Ensemble intercontemporain. Als Solist hat Gilles Durot mit vielen Komponisten an der Weiterentwicklung des Repertoires für Schlagwerk mitgearbeitet und über 200 Werke uraufgeführt. Seine künstlerischen Interessen reichen jedoch weit über die Neue Musik hinaus. So trat er u.a. mit Johnny Hallyday, Les Tambours du Bronx, dem Rapper Kery James, dem Tango-Gitarristen Tomás Gubitsch und dem Jazz-Musiker Louis Sclavis auf.
Gilles Durot ist Gründungsmitglied des Trio K/D/M.
Victor Hanna
Victor Hanna© Franck Ferville
Victor Hanna (Perkussion), geboren 1988, lernte bei Marc Bollen, Béatrice Faucomprez, Francis Brana und Nicolas Martynciow. Gleichzeitig erweiterte er sein Können in den Bereichen der afrokubanischen Perkussion, der Neuen Musik und der Improvisation und arbeitete mit Choreographen und Regisseuren zusammen. Im Jahr 2008 wurde er am Pariser Konservatorium (CNSMDP) in die Klasse von Michel Cerutti aufgenommen. Zusätzlich sammelte er Orchestererfahrungen beim Lucerne Festival Academy Orchestra, beim Verbier Festival Orchestra und bei wichtigen französischen Orchestern. Nach Projekten mit dem Ensemble Multilatérale, dem Ensemble 2e2m und Le Balcon sowie dem ausgezeichneten Abschluss seines Studiums wurde er 2012 Mitglied des Ensemble intercontemporain.
Anthony Millet
Anthony Millet© Jean Radel
Anthony Millet (Akkordeon) ist einer vielseitigsten Akkordeonisten seiner Generation. Sein Studium bei Max Bonnay am Konservatorium Paris (CNSMDP) schloss er mit Auszeichnung ab. Seitdem wird er als Solist zu ganz unterschiedlichen Ensembles und Orchestern eingeladen. So arbeitet er regelmäßig mit dem Orchestre de Paris, dem Ensemble intercontemporain, dem IRCAM oder mit Ensembles wie TM+, Aleph, Accroche note, Ars Nova und Nomos. Anthony Millet spielte zahlreiche Uraufführungen und ermutigt Komponisten stets, das Repertoire seines Instruments um neue Werke zu erweitern. Gemeinsam mit Gilles Durot und Bachar Khalifé war er 2008 Gründungsmitglied des Trio K/D/M. Mit dem Saxophonisten Jean-Pierre Baraglioli bildet er außerdem das Duo Migrateur. Anthony Millet ist auch außerhalb der Neuen Musik sehr aktiv. In seiner Eigenschaft als Tango aficionado hat er mehrere Tango-Formationen mitgegründet, darunter das Esteban Trio und das Quintett Quinto Centos. Er war an Projekten im Theater- und Musiktheaterbereich beteiligt (u.a. für die Comédie Française und die Opéra de Paris), er musiziert mit dem libanesischen Sänger und Komponisten Marcel Khalifé und tritt auch mit traditionellen französischen Liedern auf.