"Debatten sind nicht erlaubt"

Von Ruth Kirchner · 31.03.2011
Die Ausstellung "Die Kunst der Aufklärung" in Peking wirft viele Fragen auf. Angesichts des politischen Klimas in China bezweifeln Künstler und Intellektuelle, dass eine Diskussion über die Werte, die die Aufklärung hervorgebracht hat, überhaupt möglich ist.
Im Nationalmuseum wird noch immer geschraubt, gebohrt und gewerkelt. Kurz vor der Eröffnung der Ausstellung "Die Kunst der Aufklärung" werden noch die letzten Bilder aufgehängt, die chinesischen Erläuterungen angebracht, letzte Hand angelegt vor dem Festakt am Freitag. 450 Exponate aus Dresden, Berlin und München werden ein Jahr lang in China zu sehen sein, vor allem Werke aus dem 18. Jahrhundert, dem Zeitalter der Vernunft - darunter Meisterwerke von Caspar David Friedrich, Thomas Gainsborough und Goya.

Es ist die erste internationale Ausstellung im neu renovierten und erweiterten Nationalmuseum am Platz des Himmlischen Friedens mitten in Peking. Unter der Schirmherrschaft der deutschen und der chinesischen Regierung wollen die Museen die Aufklärung als kulturhistorische Epoche nachvollziehbar machen. Einfach ist das nicht. Denn die Epoche der Aufklärung gehört zwar auch an chinesischen Schulen zum Unterrichtsstoff - aber vor allem als philosophisches Thema, nicht als Thema der Kunst, sagt Oliver Kase von den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen:

"Deshalb haben wir uns bewusst entschieden, die Ausstellung nicht chronologisch zu gruppieren, sondern nach Leitideen, die für uns ganz zentral sind für die Aufklärung, wie Zurück zur Natur oder die Entdeckung der Geschichte, die Entdeckung der Kindheit, der Empfindsamkeit. Und wir versuchen, diese Leitideen, diese Schlüsselkonzepte des modernen Menschen, die in der Aufklärung entstehen, in den Werken selbst zu zeigen."

Ob es gelingt, die gesellschaftlichen Prozesse der Aufklärung in Bildern verständlich zu machen, bleibt abzuwarten. Zumal sich über die Kunst viele Themen nur indirekt erschließen. Das sei durchaus gewollt, sagt Michael Eissenhauer von den Staatlichen Kunstsammlungen Berlin. Man wolle weder explizite politische Botschaften vermitteln noch das Publikum über einen bestimmten Entwicklungsweg belehren, sondern über existenzielle Fragen des modernen Menschen ins Gespräch kommen:

"Unsere chinesischen Kollegen, so habe ich es jedenfalls immer wieder verstanden, beschäftigen sich in ihrer Gesellschaft mit genau den gleichen Fragen auch. Wo stehen sie als Individuum, wie entwickeln sie sich innerhalb einer riesigen Gesellschaft, die ernährt werden muss, die Arbeit haben muss, die bewegt werden muss, die reisen und die Welt erfahren will. Wie definieren sie in Zukunft das Individuum in seiner Rolle in dieser riesigen Gesellschaft."

Doch es sind weniger die existenziellen Fragen der Menschheit als vielmehr das politische Umfeld in China, das die Ausstellung brisant macht. Denn die Aufklärung hat in Europa die Grundlagen geschaffen für das europäische Verständnis von Meinungsfreiheit und Menschenrechten. Doch solche Debatten können in der Volksrepublik nicht offen geführt werden, sagt Chinas bekanntester Künstler, Ai Weiwei:

"Vor 300 Jahren, im 17. und 18. Jahrhundert haben die Europäer diese wunderbaren Werte hervorgebracht – aber bis heute traut sich China nicht, sich dieser Diskussion zu stellen. Als eine Ausstellung von Ölgemälden ist das Thema Aufklärung aus Sicht der Regierung okay. Aber die dazugehörigen Debatten sind nicht erlaubt. Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie."

Im Volkskongress Anfang des Monats hatte es Parlamentspräsident Wu Bangguo erst wieder klar und deutlich gesagt – eine pluralistische Gesellschaft werde es in China nicht geben, betonte er in seiner Rede vor 3000 handverlesenen Delegierten. In der Volksrepublik wird der Raum für öffentliche Debatten schon seit Jahren mehr und mehr eingeschränkt. Immer mehr Themen sind tabu. Gerade in den letzten Monaten wurde die Zensur noch einmal deutlich verschärft. Nach der Vergabe des Friedensnobelpreises an den inhaftierten Intellektuellen und Bürgerrechtler Liu Xiaobo, nach den anonymen Aufrufen zu Jasmin-Protesten nach arabischen Vorbild wurde die Überwachung von Andersdenkenden noch strenger, wurde dutzende von Aktivisten verhaftet, unter Hausarrest gestellt, einige sind einfach verschwunden. Der Freiraum für einen kritischen Diskurs sei heute so klein wie seit 30 Jahren nicht mehr, klagt der Aufklärungsexperte und Philosoph Xu Youyu:

"Gerade China braucht heute seine eigene Aufklärung. Die Ideen sind nicht veraltet. Natürlich gibt es verschiedene Definitionen, was Aufklärung eigentlich ist. Mir gefällt am besten die von Kant, der vom Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmüdigkeit sprach. Angesichts der Lage in unserem Land lautet meine Definition: Aufklärung ist die Wiederherstellung und der Schutz der Menschenrechte."

Doch Debatten genau darüber, über die Grundwerte, die in der Aufklärung entstanden sind, wird das Nationalmuseum als Mitveranstalter kaum zulassen. Insgesamt stehen aus offizieller chinesischer Seite weniger die emanzipatorischen Aspekte der Aufklärung im Vordergrund. Man hebt eher die dunklen Seiten der europäischen Entwicklung hervor: etwa den Kolonialismus, unter dem auch China zu leiden hatte.

Und im Begleitprogramm der deutschen Merkator-Stiftung soll zwar in öffentlichen Foren und Salons zwischen deutschen und chinesischen Intellektuellen über Aspekte der Aufklärung diskutiert werden – über die Aufklärung und das historische Gedächtnis etwa oder über die Aufklärung und Erziehung. Doch die wirklich heiklen Themen - Freiheit, Pluralismus und Menschenrechte - bleiben ausgespart.

Und auch der Ort der Ausstellung zeigt deutlich, wo in China die Grenzen sind. Nirgendwo sonst sieht man soviel Polizei und Sicherheitskräfte in Zivil wie am Platz des Platz des Himmlischen Friedens, wo 1989 die chinesische Demokratiebewegung blutig niedergeschlagen wurde. Direkt vor dem Nationalmuseum steht im Übrigen seit einigen Wochen eine riesige Konfuziusstatue – als wolle das Museum damit die Frage nach den Werten bereits beantworten. Denn der wohl chinesischste aller Philosophen steht nicht nur für die Wiederentdeckung der eigenen kulturellen Wurzeln. Er wird seit Jahrhunderten in China auch für die Unterwerfung des Einzelnen unter den Willen der Führung herangezogen.
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