Debatte um problematisches Erbe

Nach 1990 waren neue Straßennamen schnell montiert

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Archivfoto des Lenin-Denkmals am früheren Leninplatz in Ost-Berlin
Auch Lenin musste weichen: Nach der Wende wurde sein Denkmal zersägt und vergraben. Der frühere Leninplatz in Berlin heißt seitdem "Platz der Vereinten Nationen". © Hans-Jürgen Wiedl / ZB / dpa
Matthias Dell im Gespräch mit Marietta Schwarz · 19.07.2020
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Ein Blick in die Geschichte lohnt bei der aktuellen Diskussion zur Umbenennung von Straßen. Was nach der Wende passierte, erläutert der Journalist Matthias Dell: Die CDU habe damals mit Erfolg die rasche Tilgung von "sozialistischen Helden" betrieben.
Die Debatte um koloniale und rassistische Straßennamen ist nicht neu. Seit vielen Jahren gibt es Versuche, die Mohrenstraßen und -gassen, die Nettelbeckplätze und Wissmannstraßen der Republik umzubenennen. Mit den "Black Lives Matter"-Protesten hat die Diskussion erheblich an Aufmerksamkeit gewonnen.
Dabei könnten wir auch aus der deutschen Geschichte lernen. Vor 30 Jahren wurden hierzulande schon mal Straßen und Plätze umbenannt. Als Ost- und Westdeutschland sich am 3. Oktober 1990 wiedervereinigten, hießen viele Straßen und Plätze noch nach sozialistischen Helden.
Im Unterschied zu heute seien die Umbenennungen nach eineinhalb bis zwei Jahren im Wesentlichen abgeschlossen gewesen, sagt der Journalist Matthias Dell. "Wenn man dann bedenkt, dass am Beispiel der Berliner Mohrenstraße die Diskussion seit 16 Jahren läuft und immer noch Kommentatoren schreiben: 'Jaja, man muss das alles aber ganz in Ruhe bedenken und darf nichts überstürzen.' Dann ist 1990, '92 natürlich eine andere Geschichte".

Kohl regte sich über Otto-Grotewohl-Straßen auf

Solche mahnenden Stimmen habe es jedenfalls damals in westdeutschen bürgerlichen Zeitungen nicht gegeben, so Dell. Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl soll sich sogar so sehr über Straßen, die nach Otto Grotewohl benannt waren, aufgeregt haben, dass er am liebsten aus dem Auto gesprungen und die Schilder eigenhändig abmontiert hätte, zitiert Dell dessen früheren Berater.
Die Umbenennungen damals hätten nicht schnell genug vonstatten gehen können, berichtet Dell und zitiert aus einem "FAZ"-Artikel vom Mai 1991:
"Umso unverständlicher erscheint es da, wenn die Bezirksverordnetenversammlung von Berlin-Mitte beschließt, die Wilhelm-Pieck-Straße, die Tangente im Zentrum der Metropole, nicht umzubenennen. Wer wäre nach 1945 auf den Gedanken gekommen, der Adolf-Hitler-Straße mit der Begründung, man müsse sich zur Geschichte bekennen, ihren Namen zu lassen, wird gefragt."

Politischer Druck ist entscheidend

Mit der Tilgung von DDR-Geschichte sei aber auch sehr viel Preußentum mitsamt einiger problematischer Namen, die die DDR eigentlich abgeräumt hatte, zurückgekommen, sagt Dell. Aber auch der kommunistische Widerstand gegen den Nationalsozialismus sei damit aus dem Stadtbild verschwunden.
Aus dem Blick zurück könne man lernen, dass Umbenennungen sehr vom politischen Druck und Willen einerseits und vom Gegenstand andererseits abhingen. Nach 1945 hätten die Alliierten die Umbenennungen forciert, 1990 der Westen und vor allem die CDU. "Und jetzt ist halt der Punkt da, dass sich offensichtlich gegen diesen Kolonialismus oder gegen Rassismus so richtig keiner engagieren will", sagt Matthias Dell.
(ckr)
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