Debatte um Polizeigewalt

Dominanzkultur braucht Kontrolle

08:44 Minuten
Demonstration am Friedrichsplatz in Karlsruhe. Die Polizei ueberwacht den Aufbau.
Die Polizeiarbeit wird von einer Dienstleistungskultur eingehegt, sagt der Kriminalsoziologe Rafael Behr. © picture-alliance / GES-Sportfoto / Oliver Hurst
Rafael Behr im Gespräch mit Liane von Billerbeck  · 09.06.2020
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Die Machokultur der US-Polizei sei mit deutschen Verhältnissen nicht zu vergleichen, sagt der Kriminalsoziologe Rafael Behr. Dennoch werde mehr externe Kontrolle benötigt. Auch das Berliner Antidiskriminierungsgesetz sei ein richtiger Schritt.
Liane von Billerbeck: Rassismus in der US-Polizei ist so verbreitet, dass man den Alltagsrassismus schon kaum noch zählt. Über 2500 Schwarze starben in den vergangenen fünf Jahren durch zumeist weiße Polizisten in den Vereinigten Staaten. Wie weit verbreitet sind rassistisches, rechtsextremes Denken und Gewalt in der deutschen Polizei? Das wollen wir wissen, bevor heute der Jahresbericht 2019 der Antidiskriminierungsstelle des Bundes vorgestellt wird.
Rafael Behr ist ehemaliger Polizist und heute Professor für Polizeiwissenschaften, Kriminologie und Soziologie an der Akademie der Polizei in Hamburg. Herr Behr, auch gegen deutsche Polizisten gibt es immer wieder Vorwürfe wegen übermäßiger Gewaltanwendung und diskriminierendem Verhalten. Ist das in irgendeiner Weise mit den USA vergleichbar?
Behr: Ich glaube, dieser Vergleich verbietet sich, weil wir in den USA sehen, dass es ganz andere Traditionen, eine Tiefe von Rassismus, einen Alltagsrassismus gibt, wie Sie sagten. Es gibt viel mehr Waffen in den USA, es gibt Apartheid in den USA. Das ist so nicht vergleichbar. Trotzdem darf man sich nicht zurücklehnen und sagen, bei uns passiert überhaupt nichts.

Unterschiede zur deutschen Polizeikultur

von Billerbeck: Sie sind Kriminalsoziologe. Wie erklären Sie denn das Verhalten der US-Polizisten? Sind solche Beamten zu wenig geschult oder liegt das in den Strukturen der polizeilichen Arbeit begründet?
Behr: Beides. Zum einen gibt es vom Berufsverlauf eine ganz andere Qualität als in Deutschland. Man kann in den USA nach sechs Monaten auf die Straße gehen, Polizist sein, die Waffenintensität sowie die Waffenaffinität ist viel größer. Und was die amerikanische Polizistenkultur auszeichnet, ist eine ausgesprochene Machokultur und Dominanzkultur. Also alles, was sich dem in den Weg stellt, wird sozusagen weggebissen oder mit Gewalt bearbeitet. Auch das ist ein ganz großer Unterschied zur deutschen Polizeikultur.
von Billerbeck: Da gibt es diese Macho- und Männlichkeitskultur nicht?
Behr: Doch, aber nicht in dieser Selbstverständlichkeit und in diesem Ausmaß. Es wird immer eingehegt durch die offizielle Polizeikultur, die sich eher als Dienstleistungskultur und als bürgernahe Polizei versteht. Natürlich gibt es sie, und sie ist in einigen Fällen durchaus funktional auch tauglich.
Wenn Sie sich Verhältnisse auf der Straße anschauen: Die Polizisten sind mit einer Klientel konfrontiert, die selbst auch nicht immer höflich und zuvorkommend ist. Da verschafft sich so eine gewisse Robustheit durchaus Platz und Raum und Autorität. Aber im Wesentlichen geht es den Polizisten dann um Autoritätserhalt, und das, koste es, was es wolle, und dann fängt es an, abweichend und auch kriminell zu werden.
von Billerbeck: Bei diesem "Koste es, was es wolle"?
Behr: Ja, weil es um die Durchsetzung der polizeilichen Macht geht. Und wenn das außer Verhältnis gerät, wenn dann nicht mehr gesehen wird, dass man noch andere Interessen zu bearbeiten hat, zum Beispiel grundgesetzliche Rahmenbedingungen bearbeiten muss als Polizist – man kann sich nicht als Schläger betätigen – wenn das aus dem Auge gerät, dann geht es um die Durchsetzung an sich, und dann muss jemand aufpassen. Das sind in der Regel Vorgesetzte, aber wir fordern eben auch, dass externe Stellen beginnen, auf die Polizei aufzupassen, und das wird noch vehement abgelehnt.

Kritik an Saskia Eskens Äußerungen

von Billerbeck: Da sind Sie aber einig mit der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken, die das auch gerade dieser Tage gefordert hat. Sie kennen sich ja aus in der Polizei, waren selber Polizist und unterrichten jetzt angehende Polizisten. Was sagen Sie: Inwieweit ist rechtes und rechtsextremes Denken, Gewaltbereitschaft unter Polizistinnen und Polizisten hierzulande verbreitet?
Behr: Zunächst muss man sagen, dass Schlagworte hier nicht weiterhelfen. Wenn Frau Esken von "systemischem Rassismus" spricht, ist das ein starkes Wort, und ich finde auch, es wird damit das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Das ist zu viel. Wenn die anderen Seiten, Berufsvertretungen zum Beispiel oder Innenminister, von individuellen Einzelfällen sprechen und schwarzen Schafen, ist das zu wenig.
Es ist etwas in der Mitte. Ich glaube, wir kriegen keine überdurchschnittlich autoritären oder rechtsgerichteten Menschen in die Polizei, aber es entwickeln sich im Laufe der Berufstätigkeit durchaus Positionen, die autoritär, die rigide werden. Da fällt auch eine gewisse Frustration und ein gewisses Machtstreben drunter.
Es sind viele Vergeblichkeitserfahrungen, die Polizisten machen, weil sie merken, sie fangen immer wieder von vorne an. Und dann kann sich so was entwickeln. Wenn Sie dann in eine Betriebskultur kommen, die das nicht stoppt, dann kann sich auch rechtes Gedankengut entwickeln. Ich glaube, es ist mehr als ein Einzelfall, das sind subkulturelle Milieus in der Polizei, die rechtsgerichtet sind, aber vor allen Dingen ist es diese Dominanzkultur, die eben zu beobachten ist, die mehr ist als nur ideologisch.
Demonstration gegen Corona Einschraenkungen auf der Theresienwiese in München mit massivem Polizeiaufgebot. 
Demonstration gegen Corona Einschraenkungen auf der Theresienwiese in München mit massivem Polizeiaufgebot. © picture-alliance/Sven Simon
von Billerbeck: Ein Punkt, zu dem die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, die heute ihren Bericht abliefert, seit Jahren ja regelmäßig Beschwerden erhält, ist das sogenannte Racial Profiling, Polizeikontrollen also aufgrund nur des Aussehens, oft der Hautfarbe einer Person. Warum kriegt man dieses Problem nicht in den Griff?
Behr: Weil es so einfach ist, damit Erfolg zu erzielen. Ich glaube, es sind eher die sich selbst erfüllenden Verdachtschöpfungsstrategien, wie wir das nennen. Wenn Polizisten mit einem Merkmal mal Erfolg hatten, werden sie es so oft tun, bis sie keinen Erfolg mehr haben.
Dieses Ausfiltern, das Aussuchen von Menschen nach Hautfarbe geht so lange gut, wie noch andere Dinge hinzukommen, zum Beispiel, die haben einen Eintrag im polizeilichen Register, sie sind am falschen Ort zur falschen Zeit, dann wird sehr schnell daraus eine Regelhaftigkeit, das sogenannte polizeiliche Bauchgefühl. Dann wird eben nicht mehr gefragt, ob das noch professionell ist, dann werden diese Verdachtsschöpfungsstrategien immer wieder fortgesetzt, und das führt dann auch zu diskriminierendem Verhalten. Im Übrigen muss man noch mal unterscheiden zwischen einer rassistischen Haltung und einer diskriminierenden Handlung. Das ist nicht immer identisch.

Dienst mit offenem Visier

von Billerbeck: Seit einigen Jahren müssen Polizistinnen und Polizisten fast überall in Deutschland gut sichtbar Namensschilder tragen oder Nummern. Hat das denn die Fälle von Diskriminierung und Gewalt durch Polizisten verringert?
Behr: Nicht signifikant. Es hat aber auch nicht signifikant zu einer Verschlechterung der Situation der Polizisten geführt. Und das waren die großen Bedenken, weshalb die Gewerkschaften diese Maßnahme immer blockiert haben. Es ist eben nichts passiert. Es ist eine psychologische Wirkung eingetreten, dass die Polizei zeigt, wir arbeiten mit offenem Visier, wir sind erkennbar, wie man im Übrigen im Einzeldienst immer erkennbar ist. Das war nie anders – es ging um die geschlossenen Einheiten.
Da ist eine gewisse Beruhigung eingetreten, auch in der Diskussion. Die Polizei ist in vielen Ländern individuell gekennzeichnet, und es passiert gar nichts, weder gibt es mehr Anzeigen gegen die Polizei, allerdings geht auch das polizeiliche Verhalten nicht signifikant in eine andere Richtung.
von Billerbeck: Das Land Berlin hat gerade ein Antidiskriminierungsgesetz beschlossen: Da müssen künftig die beschuldigten Polizisten entsprechende Vorwürfe entkräften, statt dass die Beschuldigten sie belegen müssen. Da gab es einen Sturm der Empörung unter Konservativen. Was sagen Sie? Ist das praktikabel und hilfreich?
Behr: Ja, insofern, als nun die Polizeibeamten unter sich im Vorfeld eine Maßnahme sich erklären müssen: Ist das, was wir machen, professionell oder ist es nicht mehr erklärbar? Das ist die psychologische Wirkung dieses Gesetzes, zu sagen, nicht wir drehen den Spieß um – und diese dümmliche Rede vom Generalverdacht ist immer eine Blockade jeglichen Weiterdenken.
Nein: Wenn alle Polizisten vorher sagen, 'wieso machen wir das, was haben wir denn an Gründen, haben wir mehr als nur die Hautfarbe oder unsere eigene Erfahrung?', dann braucht man auch keine Angst mehr vor einer Rechtfertigung zu haben. Ich finde, das ist ein richtiges und wichtiges Signal in die Bevölkerung, gerade in die Minoritäten hinein, in die schwarze Community zum Beispiel oder in Migranten-Communities überhaupt, zu sagen, ja, wir wollen in diesem Punkt besser werden und uns jederzeit rechtfertigen können.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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