Debatte um Minderheitsregierung

"Deutschland muss verlässlich sein"

DEU, Deutschland, Germany, Berlin, 24.10.2017: Bundestag, konstituierende Sitzung.
Die Anordnung von Neuwahlen sei ein Eingriff in die Rechte von gewählten Parlamentariern, sagen Verfassungsrechtler. Dies könnte jetzt als Argument für das Zustandekommen einer Minderheitsregierung dienen. © imago stock&people
Nikolaus Blome im Gespräch mit Anke Schaefer und Stephan Detjen  · 21.11.2017
In anderen Ländern lebt man seit Jahren mit Minderheitsregierungen. Für Deutschland wäre eine solche Lösung dagegen eine neue Form, die Bundespolitik zu gestalten. Unser Studiogast, der Journalist Nikolaus Blome hält diese Option für zu instabil und außenpolitisch für halsbrecherisch.
Auf der Suche nach Lösungen nach Abbruch der Jamaika-Gespräche gibt es auch Stimmen, die eine Minderheitsregierung befürworten. Er halte eine solche Minderheitsregierung in Krisenlagen für nicht stabil, sagte der stellvertretende Chefredakteur der "Bild"-Zeitung, Nikolaus Blome, im Deutschlandfunk Kultur. "Man hat so das Gefühl, die letzten Jahre waren eher Krisenlagen oder geprägt von solchen." Blome nannte die Flüchtlingskrise, die Eurokrise und terroristische Anschläge. "Die ganze Außenpolitik unter Vorbehalt wechselnder Mehrheiten zu stellen, finde ich halsbrecherisch."
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Der Journalist Nikolaus Blome zu Besuch bei Deutschlandfunk Kultur © Deutschlandfunk Kultur/ Mareike Knoke

Teure Lösung

Eine solche Lösung würde außerdem für den Steuerzahler teuer, denn Merkel müsste sich ihre Mehrheiten "zusammenkaufen". Wenn die Bundesregierung bislang versucht habe, im Bundesrat etwas zu erreichen und dort über keine Mehrheit verfügte, habe sie auch entsprechende Angebote an bestimmte Länder machen müssen.

Grundgesetz weist zwei Wege

Der Leiter des Hauptstadtstudios von Deutschlandfunk Kultur, Stephan Detjen, verwies auf das Grundgesetz, wo im Artikel 63 steht, dass bei einem möglichen Scheitern der Kanzlerwahl mit der absoluten Mehrheit zwei Wege offen stünden. Die Bundeskanzlerin könne demnach auch von den Abgeordneten mit einer einfachen Mehrheit gewählt werden und eine Minderheitsregierung bilden. Oder der Bundespräsident könne sich dafür entscheiden, Neuwahlen anzuordnen. "Die stehen da zunächst einmal ganz gleichberechtigt nebeneinander", sagte Detjen über die beiden Möglichkeiten.

Urteil in Karlsruhe 2005

Im Jahr 2005 habe es außerdem ein Urteil des Bundesverfassungsgericht über die damals von Gerhard Schröder (SPD) beantragte Vertrauensabstimmung im Bundestag gegeben, die Neuwahlen auslösen sollte. "Da hat das Bundesverfassungsgericht sehr deutlich gemacht, dass die Anordnung von Neuwahlen ein Eingriff in Rechte von gewählten Parlamentariern ist." Das bedeute, dass es mit Neuwahlen nicht so einfach gehe und genau geprüft werden müsse, ob es nicht auch ohne Neuwahlen eine funktionierende Regierung geben könne, sagte Detjen. "Dazu gehört eben auch eine Minderheitsregierung."

Riskante Gewässer

"Ein Land von der Größe Deutschlands in der Mitte Europas, in der Nato, muss verlässlich sein", widersprach Blome. "Wechselnde Mehrheiten sind weniger verlässlich als eine stabile Koalitionsmehrheit." Das Land gehe nicht am ersten Tag einer Minderheitsregierung unter, aber es begebe sich in riskantere Gewässer als es mit einer Koalitionsmehrheit der Fall wäre, warnte der "Bild"-Journalist.
Stephan Detjen
Der Leiter des Hauptstadtbüros von Deutschlandfunk Kultur, Stephan Detjen, hält auch das Zustandekommen einer Minderheitsregierung in Berlin für möglich. © Deutschlandradio / Bettina Straub

Präsidiale Kanzlerin

Detjen sagte, eine Minderheitsregierung könnte in Deutschland zu einer "Parlamentarisierung der Politik" führen. Der Bundestag würde eine ganz andere und gewichtige Rolle spielen und Angela Merkel würde noch stärker in die Rolle einer präsidialen Kanzlerin geraten, die über den Fraktionen agiert. "Es ist eine auch verfassungsmäßig vorgezeichnete Option, politisch ist sie hochproblematisch", sagte Detjen. Eine solche Entscheidung würde Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sicher nicht alleine treffen, sondern das Gespräch mit dem Bundesverfassungsgericht und der Kanzlerin suchen.

Intrasparente Deals

Blome kritisierte, es werde dabei zu naiv auf das Parlament geblickt: "So würde es ja nicht laufen." Merkel werde in diesem Fall auf der Suche nach Mehrheiten zu Abgeordneten gehen und um Stimmen werben. "Das heißt, sie würde die Koalitionsverhandlungen, die wir ja eher als zäh wahrgenommen haben, perpetuieren durch die gesamte Legislaturperiode und das nicht im Parlament austragen in offener Debatte." Man würde immer in kleinen Runden mit Parteichefs Entscheidungen aushandeln.

Nikolaus Blome ist seit 2015 stellvertretender Chefredakteur der Bild-Zeitung, davor war er von 2013 bis 2015 Hauptstadtbüro-Leiter des "Spiegel". Vor diesem Ausflug war Blome bereits seit 1997 in verschiedenen leitenden Positionen bei Springer-Medien tätig, zunächst bei der "Welt", dann ab 2001 bei der "Bild". Bekannt ist Blome auch durch seine Diskussionssendung mit dem Publizisten Jakob Augstein im Fernsehsender Phoenix.

Die ganze Sendung Mit Nikolaus Blome hören Sie hier:
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