Debatte um Klimawandel

Die totalitäre Angst vor dem Untergang

04:29 Minuten
"Morgen letzer Tag" verkündet ein Schild, welches vor einem dicken Vorhang hängt.
Die Warnung vor dem letzten Tag: In der Politik gefährdet Untergangsrhetorik die Demokratie, kommentiert Wolfram Eilenberger. © imago images / CHROMORANGE
Von Wolfram Eilenberger · 11.08.2019
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"Die Menschheit schafft sich ab!" Solche Untergangsrhetorik ist angesichts des Klimawandels vermehrt zu hören. Eine gefährliche Entwicklung, findet Wolfram Eilenberger. Denn Politik, die das nackte Überleben zum Endzweck erklärt, wird leicht totalitär.
Zu den bleibend klugen Beobachtungen des Totalitarismusmahners Theodor W. Adorno zählt, dass rechtsradikale Rhetorik durch einen "Wunsch nach Unheil, nach Katastrophe" gekennzeichnet ist. Wobei ein Untergang der mutmaßlich ureigenen Volksgemeinschaft darin gängig als größtes und letztes Übel benannt wird – und somit als ein Ereignis, das es mit allen verfügbaren Mitteln zu verhindern gilt.
Man kann sich aber auch andere Diskurskonstellationen vorstellen. Etwa eine, in der mit Blick auf angestrebte politische Mobilisierung folgendes der Fall ist: An die Stelle des Wunsches nach Katastrophe tritt hier eine konkret begründbare Furcht vor der Katastrophe. An die Stelle dunkler Phantasmen tritt hier wissenschaftlich bestens gestützte Prognostik. An die Stelle der jeweiligen Volksgemeinschaft tritt, denkbar inklusiv, der gesamte Raum des Lebendigen. An die Stelle einer Nation, der gemäß Mahnung binnen der nächsten 30 Jahre die Selbstabschaffung drohe, schließlich die gesamte Menschheit.

Untergangsszenarien gefährden die offene Gesellschaft

Womit im Sommer des Jahres 2019 der durchaus heikle Zweifel formulierbar wird, was für den Fortbestand einer offenen Gesellschaft perspektivisch wohl bedrohlicher sein mag: eine politische Mobilisierung vom Rand auf der Basis von imaginierten völkischen Untergangsszenarien? Oder eine politische Mobilisierung aus der Mitte auf der Basis von wissenschaftlich gestützten globalen Untergangsszenarien?
Stellen wir uns, nur einmal zum Versuche, eine Gesellschaft vor, in der auf Grundlage verfügbaren Datenmaterials das Ziel des nackten "Überlebens" der eigenen sowie natürlich auch zukünftiger Generationen mit aller Dringlichkeit und Konsequenz als oberster und bindender Endzweck allen politischen Handelns etabliert wäre. Ein System also, in dem fortan jede politische und damit auch private Entscheidung zunächst und vor allem unter dem Überlebensgesichtspunkt der "ökologischen Frage" bewertet und gegebenenfalls auch staatlich überwacht und sanktioniert wird.

Dystopie eines Ökofaschismus

Wie wahrscheinlich oder unwahrscheinlich wäre es, dass eine derart gelenkte Gesellschaft alsbald Sprechweisen etablieren würde, die den einst obligatorischen "Genossen XY" durch den "Umweltschützenden XY" ersetzten? Den auszumerzenden "Volksfeind" durch einen "Feind des Lebens"? Und in der aus der einen, einheitlichen, prinzipiell wahrhabenden "Partei" eben der eine ökologisch-wissenschaftliche Parteienrat würde, der "im Namen der Natur" immer recht hat?
Philosoph und Schriftsteller, Dr. Wolfram Eilenberger
Die Welt steht auf der Kippe, doch nicht vor dem Untergang: Der Philosoph und Schriftsteller Wolfram Eilenberger.© © Annette Hauschild
Sicher, schön und eigentlich wünschenswert wären solche Veränderungen des politischen Gesamtklimas nicht. Aber was, wenn zur kollektiven Erreichung selbst gesteckter 15-Jahres-Ziele nichts anderes übrig bleibt? Schließlich geht es ja, Sie verstehen, um nicht mehr und nicht weniger als das Überleben!

Totalitarismus im Namen des Überlebens

Ein alles erschlagender Einwand, dem man, Adorno sei mein Zeuge, wohl zunächst nur mit einer historisch informierten Beobachtung begegnen kann: Wenn es etwas gibt, das den Bestand einer offenen Gesellschaft tödlich gefährdet, dann die Etablierung eines politischen Endzwecks, dem fortan alle anderen unbedingt unterzuordnen sind.
Und wenn es einen Endzweck gibt, der ein besonders hohes totalitäres Potential in sich trägt, dann der des nackten Überlebens eines wie auch immer bestimmten Kollektivs. Selbst wenn dieses Überlebenskollektiv so groß und weit gefasst wäre wie "die Menschheit". Und ja, selbst wenn – oder gerade wenn – das apokalyptische Szenario für dieses eine Mal in unserer Kulturgeschichte nicht schwer irrational überlagert wäre, sondern schlicht und unabweisbar gegeben.
Auf die auch politisch letztlich entscheidende Frage, welches Ziel sich freie Menschen in ihrem Leben setzen sollen, mag es unendlich viele gute Antworten geben. "Reines Überleben" aber gehört nicht und niemals dazu. Denn wir – jeder einzelne von uns – sind jederzeit zu weitaus mehr und Besserem bestimmt.
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