Debatte um Klimaschutz

Wir selbsternannten Umwelt-Weltmeister

Wasserdampfschwaden steigen aus den Kühltürmen des Braunkohlekraftwerkes in Jänschwalde. (Aufnahme von 2015)
Umweltschutz: Wir handeln nicht so, wie wir denken. © picture alliance / dpa / Andreas Franke
Von Ulrich Woelk · 29.10.2015
Die Deutschen mögen billige Lebensmittel, dicke Geländewagen und Fernreisen mit dem Flugzeug. Gleichzeitig gibt sich kein anderes Volk so streberhaft beim Thema Umweltschutz, meint der Schriftsteller Ulrich Woelk. Was für ein Widerspruch!
Eine kurze, aber auch unerbittliche ethische Regel stammt von Erich Kästner: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Und wenn wir einmal außer Acht lassen, dass das Gute ein durchaus flexibler, kulturell geprägter Begriff ist, so ändert das nichts an der unbequemen Tatsache, die Kästners Diktum zu Grunde liegt: Das Gute vollmundig zu fordern ist leicht, es persönlich auch umzusetzen, nicht.
Gewiss, ein sklavischer Moralrigorismus hat die Menschheit noch nie weitergebracht. Aber feststellen muss man doch: Die Diskrepanz zwischen moralischem Anspruch und gelebter Wirklichkeit dürfte kaum je größer gewesen sein als in unserer durch individuellen Konsum geprägten Zeit.
Ein Umweltprimus, der sich widersprüchlich verhält
Dass unser Wohlstand auf Kosten der Umwelt geht, ist hinlänglich bekannt. Umso erstaunlicher ist es, dass gerade wir Deutschen uns so gerne als Umweltprimus unter den Industrienationen sehen, uns aber ganz anders verhalten.
Nirgendwo beispielsweise ist die Macht der Discounter so groß wie hierzulande. Die Lebensmittel sind billig – zu billig, um umweltgerecht arbeitende Kleinbauern zu ernähren. Die so gern beklagte Industrialisierung der Landwirtschaft ist in diesem Fall also nicht das Ergebnis der Arbeit finsterer Agrarindustrielobbyisten in Brüssel, sondern eine direkte Folge unseres Konsumverhaltens.
Nicht anders sieht es auf den Straßen aus. Niemand auf der Welt hat so viel Angst vor einem Klimawandel wie wir – und doch fahren wir mit dem Geländewagen zum Discounter um die Ecke. Der Spritpreis - es war ja einmal von fünf D-Mark pro Liter die Rede, um unsere Lust am schnellen Fahren zumindest ein wenig zu bremsen - ist inflationsbereinigt wieder auf das Niveau der späten 70er-Jahre gefallen.
Und wir sind das einzige Land in Europa, in dem keine politische Mehrheit für ein generelles Tempolimit auf Autobahnen möglich ist, sieht man einmal von so wichtigen KFZ-Märkten wie der Isle of Man oder den Faröer Inseln ab.
Ja, und nicht zuletzt rühmen wir uns noch als Reiseweltmeister. Mallorca, Teneriffa, Thailand. So sehr wir unser Land auch lieben und uns um seine Umwelt sorgen, um im Sommer hier zu bleiben, reicht es dann doch nicht.
Sind wir dann aus dem Urlaub zurück, haben wir es um uns herum gerne weiträumig. In den vergangenen fünfzig Jahren hat sich der pro Person genutzte Wohnraum infolge der Verkleinerung der Familien und der Zunahme von Single-Haushalten verdoppelt – ein Trend, der ungebrochen anhält.
Ein Gewissen, das sich mit Gesetzen beruhigt
Irgendwie stören all diese Fakten, so sonderbar es ist, nicht unseren Glauben daran, alles in allem ein umweltbewusstes und naturfreundliches Volk zu sein. Wir beruhigen unser Gewissen damit, dass wir, wo immer es geht, strengere Umweltgesetze und Schadstoffnormen fordern.
Wir delegieren den Widerspruch zwischen Denken und Tun an die Politik mit dem Auftrag, ihn aufzulösen. Das ist aber nicht möglich. Das gerne übersehene Problem dabei ist nämlich, dass juristische Gesetze physikalische nicht außer Kraft setzen können.
Auf der Ebene der Naturgesetze ist es ganz einfach: Einen Gegenstand von A nach B zu bewegen kostet Energie, umso mehr, je schneller und schwerer er ist. Einen Raum zu heizen kostet Energie, umso mehr, je größer er ist. Daran werden Gesetze und Normen nichts ändern.
Was also ist zu tun? Ich beklage diese Dinge nicht, um nun meinerseits besserwisserisch Verzicht zu predigen. Ich glaube zwar, dass einiges an Weniger-statt-mehr möglich ist, ohne substantiell an Lebensqualität zu verlieren. Aber letztlich muss und wird das jeder für sich selbst entscheiden.
Nur sollten wir uns nichts vormachen: Die Glaubwürdigkeit des Umweltbewusstseins, dessen wir Deutsche uns so gerne rühmen, ist gering. Wir handeln nicht so, wie wir und mittlerweile alle unsere Parteien denken. Dies einzugestehen wäre wichtig, denn es gibt noch eine andere kurze und sehr bündige Wahrheit: Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung.
Ulrich Woelk, geboren 1960 in Köln, studierte Physik in Tübingen und Berlin. Sein erster Roman, "Freigang", erschien 1990 und wurde mit dem Aspekte-Literaturpreis ausgezeichnet. Seit 1995 lebt Ulrich Woelk als freier Schriftsteller in Berlin. Seine Romane und Essays sind unter anderem ins Chinesische, Französische, Englische und Polnische übersetzt. Zuletzt erschienen die Romane "Joana Mandelbrot und ich" (2008), "Was Liebe ist" (2013) und "Pfingstopfer" (2015).
Der Schriftsteller Ulrich Woelk
Der Schriftsteller Ulrich Woelk© Bettina Keller
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