Debatte um "Cancel Culture"

Ein Magazin zur Verteidigung der freien Rede

07:32 Minuten
Ein junger Mann sitzt auf einem Stuhl vor einem schwarzen Hintergrund.
Der Politologe Yascha Mounk sieht ein zunehmend antiliberales Klima in den Medien und der Kunst voranschreiten. © imago images/Leemage/Leonardo Cendam
Yascha Mounk im Gespräch mit Johannes Nichelmann · 14.08.2020
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Scharfe Kritik ist legitim, findet der Politologe Yascha Mounk. Doch das Ausladen von Personen wegen einer Meinungsäußerung sei "Cancel Culture". Um ihr etwas entgegenzusetzen, hat er das Magazin "Persuasion" gegründet.
Der deutsch-amerikanische Politikwissenschaftler Yascha Mounk gehört zu den mehr als 150 Unterzeichnern eines offenen Briefs, der vor knapp einem Monat im "Harper's Magazine" veröffentlicht wurde. Darin beklagen Intellektuelle und Kulturschaffende ein "intolerantes Klima" in der gesellschaftlichen Diskussionskultur und positionieren sich für das Recht auf freie Meinungsäußerung, das sie wegen der sogenannten "Cancel Culture" in Gefahr sehen.

Mounk ist nun einen Schritt weiter gegangen und hat eigens gegen die "Cancel Culture" das Magazin "Persuasion" gegründet. Er betont, dass er grundsätzlich kein Problem mit harscher Kritik habe.
"Ich habe kein Problem damit, dass Menschen einander klar und stark ausgedrückt kritisieren. Aber das, was wir mittlerweile oft in den USA sehen und zum Teil auch in Deutschland, geht über Kritik hinaus."

"Cancel Culture" ist in den USA weit verbreitet

Der Unterschied zwischen legitimer scharfer Kritik und "Cancel Culture" liege darin, dass die Position einer Person zu einem Thema nicht einfach als schlecht oder inakzeptabel beurteilt werde, sondern dass die Person wegen einer vielleicht einmaligen Aussage ausgeladen werde oder nicht auftreten dürfe.
"Wenn es nicht nur darum geht zu sagen: Diese Person ist inakzeptabel. Und wenn ein Theater sie dann auftreten lässt, dann müssen wir das Theater auch boykottieren. Oder wenn jemand sie verteidigt, dann muss das ja ein schlechter Mensch sein! Dann reden wir über etwas, was über Kritik hinausgeht: einen kollektiven Versuch, einen Boykott auszuüben oder jemandem Angst zu machen wegen seiner Meinung."
Der Unterschied zwischen den USA und Deutschland sei lediglich ein zeitlicher. "Vor drei Jahren war das in den USA ein Randphänom. Es gab ein paar Beispiele vor allem auf progressiven Campussen. Mittlerweile leben, wie die Amerikaner momentan gerne sagen, alle auf dem Campus."
Viele der Orthodoxien und Tabus, die es auf diesen Campussen gegeben habe, gelten mittlerweile in der New York Times, in größeren Universitäten, in Think Tanks und in großen Bereichen des öffentlichen Lebens.

Sich für die Werte der freien Gesellschaft engagieren

Sein Onlinemagazin "Persuasion" habe eine sehr große Leserschaft in den USA und in allen Teilen der Welt, die sowohl aus Professoren als auch aus Arbeitern bestehe. "Es ist auch eine Gemeinschaft für Menschen, die zu unseren Onlineevents kommen, zu unseren Onlinediskussionen, die das Gefühl haben, sie wollen sich für die Werte der freien Gesellschaft engagieren und andere Menschen kennenlernen, die diese Überzeugung teilen."
In dem Kulturkampf gegen die "Cancel Culture" versuche er sehr klar für Werte einzustehen, sagt Mounk, und engagiere sich gegen Sexismus und Rassismus. Er scheue aber nicht davor zurück, Menschen zu kritisieren, die von sich behaupteten, dass ihnen diese Werte wichtig seien, wenn ihre Ansichten unwissenschaftlich seien und sie diesen Zielen letztlich nur Schaden zufügten.
"Aber es geht auch darum, und das ist mir sehr wichtig, auf positive Weise zu formulieren, wie eine Gesellschaft aussehen würde, die mit unseren momentanen Problemen fertig wird."
(rja)
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