Mit der City-Maut raus aus dem Stau?
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Der rot-rot-grüne Berliner Senat will mit einer radikalen Verkehrswende die Hauptstadt sicherer und klimafreundlicher machen. Die Grünen fordern zudem eine City-Maut. Damit soll Autofahren in der Stadt deutlich teurer werden.
Das Urteil der Autofahrer auf der Frankfurter Allee über eine City-Maut in Berlin ist gemischt. Ein Autofahrer sagt, er sei "nicht dafür, man muss schon so viel bezahlen als Autofahrer. Warum soll ich da auch noch eine Maut bezahlen?" Und eine Dame stimmt ihm zu: "Nee, das kann ich mir nicht vorstellen in der Stadt". Doch es gibt auch andere Stimmen: "Wäre gut, würde ich klasse finden, dann hätte ich weniger Verkehr um mich herum." Und manche wären davon kaum betroffen: "Würde mich nicht stören, ich fahre nicht so oft", sagt eine Frau ganz gelassen.
Sie stehen an der letzten Kreuzung im Ost-Berliner Bezirk Lichtenberg. Die große Ausfallstraße führt vom östlichen Umland Berlins direkt auf den Alexanderplatz zu. Vor den Autofahrern kreuzt eine S-Bahn-Brücke die Straße, ein Abschnitt des S-Bahn-Rings, der sich einmal um die zentralen Stadtteile Berlins zieht. Dahinter beginnt der Innenstadtbezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Und an dieser Grenze könnte einmal der mautpflichtige Teil der Stadt beginnen, wenn es nach den Befürwortern einer solchen Abgabe geht. Bei den Fußgängern und Fahrradfahrern, die hinter der S-Bahn-Brücke am Rand der sechsspurigen Straße unterwegs sind, findet eine mögliche Straßenabgabe viel Zuspruch:
"Ja, ich finde es ok, wenn weniger Autos in die City fahren, es gibt eh kaum Parkplätze und somit wird natürlich auch die Umwelt entlastet", sagt eine Berlinerin. Ein anderer findet: "Super, ich wohne nämlich in der Mitte und seh jeden Morgen den Stau in der Torstraße, zum Beispiel." Eine andere Frau stimmt zu: "Von mir aus gerne, ich fahre nicht in die Stadt mit dem Auto, ich mach es mit Bus und Bahn." Und ein Passant gibt zu bedenken: "Also es gibt viele, die beruflich oder zu Auslieferungszwecken in die Stadt fahren müssen, aber auf der anderen Seite ist der öffentliche Personennahverkehr in Berlin dermaßen gut ausgebaut und kurztaktig, ich finde, man könnte ihn auch als Autofahrer häufiger nutzen." Und noch eine Beobachtung: "Überall ist nur einer drin, es nimmt keiner mal jemanden mit."
Fußgänger sollen gestärkt werden
Berlin wächst und damit muss die Stadt auch immer mehr Autos verkraften. Staus nehmen zu, fast nirgendwo in Deutschland so sehr wie in Berlin. Die Infrastruktur stößt an ihre Belastungsgrenzen und die Anwohner leiden unter Abgasen und Lärm — abgesehen davon, dass die Karossen viel Platz brauchen, den auch Fußgänger und Fahrradfahrer nutzen könnten. Gerade hat Berlin den vierten Teil seines Mobilitätsgesetzes verabschiedet, der die Rechte von Fußgängern stärken soll, vor allem gegenüber dem Autoverkehr. Vorerst dürfte der aber eher noch weiter zunehmen, sagt Ralf-Peter Schäfer, der bei TomTom, dem niederländischen Hersteller von Navigationsgeräten und Straßenkarten, für Verkehrsinformationen zuständig ist. Er beobachtet die Entwicklung und die Staus in Berlin genau.
"Ich denke, dass das Stauniveau eher zunehmen wird. Dieser Zuzugstrend ist so groß, man kann das gar nicht so schnell umsteuern mit dem Ausbau vom ÖPNV oder auch partiell von Straßen. Kurzfristig wird es eher in die negative Richtung gehen, Richtung mehr Stau. Das heißt, wir müssen heute umsteuern, damit wir die Effekte in fünf bis zehn Jahren genießen können."
Nur höhere Parkgebühren greift zu kurz
Vor allem Hauptstadtpolitiker von den an der Landesregierung beteiligten Grünen wollen die Autofahrer deshalb zahlen lassen, wenn sie in der Innenstadt unterwegs sind - oder sie durch höhere Kosten dazu bewegen, aufs Auto zu verzichten. Die Grünen-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus hat dazu bereits einen Beschluss verabschiedet. Eine der Initiatorinnen ist Fraktionschefin Antje Kapek:
"Ich war in der Vergangenheit skeptisch, ob eine City-Maut in einer großen Stadt wie Berlin wirken kann, aber je länger wir aktuell darüber debattieren, desto charmanter finde ich die Idee. Denn die Alternative ist nur eine Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung – sprich eine flächendeckende Parkraumbewirtschaftung –, damit ich nicht immer nur von einem Wohngebiet in das andere verdränge. Da sind uns als Land aber die Hände gebunden, weil wir die Gebühren nur bedingt beeinflussen können."
"Parkraumbewirtschaftung" ist Behördendeutsch für Parkgebühren. Viele Berliner Bezirke erheben sie bereits. Es ist ihnen überlassen, den Preis fürs Parken festzusetzen. Die Senatsverwaltung kann also nicht steuern, wo es teurer und wo günstiger sein soll. Außerdem sehen Befürworter der Maut den Nachteil im Parkschein darin, dass nur für die parkenden Autos gezahlt wird, nicht für die, die gerade unterwegs sind.
"Mit einer City-Maut, wenn man sie richtig macht, kann ich eine Win-Win-Situation herbeiführen, in dem ich zum einen Einnahmen für das Land generiere, die ich dann wieder in den öffentlichen Nahverkehr oder die Infrastruktur investieren kann. Und gleichzeitig kann ich den Verkehr steuern und dort, wo ich ein besonders hohes Aufkommen habe oder viele Unfälle oder eine hohe Umweltbelastung, dort verbiete ich das Fahren oder mache es teurer oder schließe es für bestimmte Tageszeiten aus."
Singapur und London sind Vorbilder
Es gibt unterschiedliche Varianten einer Abgabe, neben dem Instrument der Parkgebühren könnten Maut-Zonen ausgewiesen werden, für die Autofahrer beim Einfahren zahlen müssten. In Singapur etwa, wo die erste City-Maut der Welt eingeführt wurde, wird in einer elektronischen Einrichtung in jedem Auto individuell nach Ort, Zeit und Wagentyp abgerechnet. Auch könnte wie in London an einer Zonengrenze kontrolliert werden. Man könnte auch für ganz Berlin Gebühren erheben, gestaffelt nach Verkehrsdichte, Umwelttyp des Autos, Bedürftigkeit der Fahrer oder Familiengröße. Verkehrsexperte Ralf-Peter Schäfer wirbt für eine flexible Variante.
"Wie kriege ich weniger Leute auf die Straße? Ich muss sie dynamisieren, die Maut. Wir brauchen eine dynamische Maut. Und das ist ein Instrument, das bisher zu wenig eingesetzt wird."
Statt einer statischen Gebühr könnte das Autofahren etwa zu Stoßzeiten teurer werden, um Staus zu vermeiden. Und schließlich gibt es die Möglichkeit einer impliziten Maut: Berlins Verkehrssenatorin Regine Günther schlug vor, dass Autofahrer in Berlin zum Kauf einer Jahreskarte für die Berliner Verkehrsbetriebe verpflichtet werden sollten. Das findet auch Parteifreundin Antje Kapek gut.
"Das hätte den Vorteil, dass ich die Menschen nach und nach dazu bewegen kann, umzusteigen auf den ÖPNV und gleichzeitig Einnahmen generiere für den ÖPNV."
Berlin als deutscher Vorreiter für City-Maut
So oder so, Berlins Grüne wollen die Stadt zum Vorreiter für eine City-Maut in Deutschland machen, wie sie neben Singapur und London auch in Städten wie Oslo, Stockholm oder Mailand bereits besteht. Wären da nicht die Koalitionspartner in der rot-rot-grünen Landesregierung. Die Linke hat Bedenken. Sie fürchtet um den Einzelhandel und will nicht, dass nur Besserverdienende in der Stadt freie Fahrt haben. Und der Regierende Bürgermeister Michael Müller hatte sich vor zwei Jahren in einem Brief an die Koalition gegen eine "Anti-Auto-Politik" ausgesprochen. Dazu zählte er auch eine Maut. Der verkehrspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Tino Schopf, akzeptiert eine Maut höchstens als letztes Mittel.
"Warum nutzen so viele Berlinerinnen und Berliner, aber auch Pendlerinnen und Pendler, das Auto und fahren zum Beispiel eben nicht mit dem ÖPNV? Da sind wir ganz schnell bei der Frage nach Quantität und Qualität des ÖPNV. Wenn ich mehr Fahrgäste befördern will und attraktiver werden will für neue Kunden, dann brauche ich zum einen mehr Kapazitäten, und ich brauche eine leistungsfähige und moderne Infrastruktur."
Durch Mietpreise verdrängt würden Menschen doppelt belastet
Außerdem werde das Parkproblem so womöglich auf die Außenbezirke verlagert. Es sei auch ungerecht, wenn Menschen, die wegen hoher Mietpreise ins Umland ziehen, nun zusätzlich durch eine Maut zur Kasse gebeten würden. Auch der Verkehrsexperte von der oppositionellen CDU-Fraktion, Oliver Friederici, will lieber einen starken Ausbau von Bus und Bahn. Eine City-Maut wie beispielsweise in London könne in Berlin nicht funktionieren, weil die Stadtstruktur anders sei.
"London, Stockholm sind nicht Berlin. In London werden in der City of London 20 Prozent des Bruttosozialprodukts des Vereinigten Königreichs erarbeitet. In Berlin ist das eine größere Zone, wenn man nur den S-Bahn-Ring nähme, und da wird nicht mal ein Prozent des Bruttosozialprodukts in Deutschland erwirtschaftet. Das heißt, die Menschen, die da reinfahren, sind normale Menschen, die da arbeiten, wohnen, Geld verdienen, die aufs Auto angewiesen sind."
Verkehrsströme reduzieren – oder wenigstens verlagern
Kann die City-Maut also helfen in Berlin? Verkehrsexperten leiten aus den Erfolgen bisheriger Maut-Systeme ab, dass sie dazu beitragen können, Autoverkehr, der nicht zwingend notwendig ist, schon durch leichte Anreize oder verhältnismäßig niedrige Gebühren zu verlagern. Und auch die Wirtschaft ist einer Maut gegenüber nicht ganz abgeneigt. Der Wirtschaftsverkehr könne durchaus davon profitieren, wenn die Straßen leerer würden, sagt Lutz Kaden von der Industrie- und Handelskammer Berlin. Das Problem sei der Umstieg.
"Wenn Sie heute mal einsteigen wollen in die U-Bahn oder die S-Bahn zu Pendlerzeiten, dann werden Sie sich wundern, wie eng das da ist beziehungsweise wie lange Sie warten müssen, um überhaupt einsteigen zu können. Und wenn ich dann zu Kfz-Nutzern sage, wäre doch toll, du steigst da auch noch ein, dann kann der das oft gar nicht."
Zweifelsohne müsse der öffentliche Verkehr schnell stark ausgebaut werden, pflichtet Wulf-Holger Arndt bei. Der Verkehrsplaner leitet an der Technischen Universität Berlin den Forschungsbereich "Mobilität und Raum" und hat bereits weltweit Verkehrsleitsysteme mitentwickelt. Der nötige Ausbau schließe eine City-Maut aber nicht aus. Durch mehr Busse etwa könne recht schnell zusätzliche Kapazität geschaffen werden.
"Allein wegen fehlenden Alternativen zu sagen, man kann die City-Maut nicht einführen, halte ich für ein vorgeschobenes Argument, zumindest in Berlin und auch in anderen Großstädten. Auch in London hatte man gedacht, da fällt die ganze Stadt zusammen, wenn die Congestion Charge eingeführt wird. Siehe da, sie ist nicht zusammengefallen, im Gegenteil, der öffentliche Verkehr ist sogar wesentlich effizienter geworden, weil die Busse nicht mehr im Stau stehen."
Steuern allein reichen nicht als Preisinstrument
Arndt sieht auch in der Stadtstruktur Berlins kein Argument gegen die Maut. Es sei sinnvoll, dass eine Großstadt wie Berlin Autofahrer stärker an den Kosten für die Straßennutzung beteiligt, weil sie sie auch übermäßig beanspruchten. Das werde durch Kfz- und Mineralölsteuer bei weitem nicht ausgeglichen.
"Preisinstrumente sind meist Instrumente, die sehr gut wirken, die sehr gut dem Nutzer klar machen: Du nutzt hier auch etwas, was Kosten verursacht, gesellschaftlich auch Kosten verursacht, und dafür muss es auch ein Preissignal geben. Natürlich muss man auch gucken, dass es sozial abgefedert ist und nicht die Falschen trifft. Aber grundsätzlich ist Autofahren einfach ein Luxusverkehrsmittel, in der Stadt zumindest."
Ein Luxus, der weniger werden wird in Berlin, da sind zumindest die Grünen sicher. Wenn es nach ihnen geht, am besten durch eine Kombination aus Parkgebühren und City-Maut sowie als Ersatz einem Fahrschein für Bus und Bahn.