Debatte in Italien

Matteo Renzi fordert Gratis-Fernsehen für Alle

Vier Fernsehapparate im Retro-Style und in verschiedenen Farben stehen nebeneinander.
Egal welche Farbe: Italiens Sozialdemokraten wollen die Fernsehgebühren abschaffen © imago / Westend61
Von Thomas Migge · 09.01.2018
Die italienischen Sozialdemokraten greifen einen ehemaligen Programmpunkt von Silvio Berlusconi für die anstehenden Parlamentswahlen auf: Matteo Renzi will die Fernsehgebühren für öffentlich-rechtliche Fernseh- und Rundfunkanbieter abschaffen.
"Ich kenne viele Leute, die keine Fernsehgebühren zahlen. Ich hingegen habe immer gezahlt", meint eine Römerin. Sie findet es skandalös, dass sich rund 500.000 Italiener ohne Gebühren durchmogeln, und trotztdem RAI schauen und hören.
"Stellen Sie sich vor, ich würde Sie zwingen, ein Abonnement zu zahlen, das Sie gar nicht wollen. Darum geht es doch bei unseren Fernsehgebühren. Und deshalb zahle ich die nicht, seit Jahren schon. Das ist doch reiner Zwang", erklärt hingegen ein junger Mann.
Und ein anderer zerreißt jedes Jahr in einem vielfach angeklickten YoutubeVideo demonstrativ die Rechnung zur Zahlung der Fernsehgebühren.
Italiener, die diese Steuer nicht zahlen, denn darum handelt es sich bei den Fernsehgebühren für die RAI, Italiens einzigen öffentlich-rechtlichen Fernseh- und Rundfunkanbieter, gehen in der Regel straffrei aus. Der RAI gelingt es nur selten, Steuerhinterziehern in Sachen Fernsehen und Rundfunk auf die Spur zu kommen.

Gebührenfreiheit für Wählerstimmen

Matteo Renzi, Chef der italienischen Sozialdemokraten, weiß, dass Italiens unbeliebteste Steuer die Fernsehgebühren sind. Und er befürchtet, dass seine Partei bei den kommenden Parlamentswahlen im März wahrscheinlich nur knapp über 20 Prozent aller Stimmen erreichen wird, also zu wenig, um allein regieren zu können. Deshalb erklärte er jetzt, im Fall seines Wahlsieges die verhasste Steuer abschaffen zu wollen.
Ein erstaunlicher Meinungswandel - noch im April 2016 verteidigte Renzi die Fernsehgebühren und verkündete, damals noch als italienischer Regierungschef, eine so genannte "Revolution", um möglichst viele Italiener zur Zahlung dieser Steuer zu
"Die Fernsehgebühren kosteten im letzten Jahr 113 Euro. Wir haben sie auf 100 Euro gesenkt, und zukünftig werden sie mit der Strom- oder Gasrechnung zusammen gezahlt. So müssen alle bezahlen und können nicht mehr die Gerissenen spielen. Das ist richtig so!"
Der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi in der TV-Sendung "Porta a porta" Ende November 2016, die in dem öffentlich-rechtlichen Sender RAI ausgestrahlt wird.
Matteo Renzi (l) bei einer Fernsehdiskussion im öffentlich-rechtlichen Sender RAI© picture alliance /dpa / Giuseppe Lami
Eine Entscheidung, die damals bei vielen Italienern für Wut sorgte – und es rechten Parteien leicht machte, mit dem Versprechen auf die Abschaffung der Fernsehgebühren politische Sympathien zu gewinnen. Nur vor diesem Hintergrund wird Matteo Renzis jetzt verkündeter Meinungswandel in Sachen Fernsehgebühren verständlich: er will mit seiner Entscheidung zusätzliche Wählerstimmen gewinnen. Ob diese Rechnung aufgehen wird ist allerdings noch unklar.
Das Wegfallen der Fernsehgebühren wäre für die RAI ein schwerer Schlag. Durch diese Steuer erhält das Staatsunternehmen mit seinen rund 11.500 Mitarbeitern zirka 2,5 Milliarden Euro jährlich. Das Geld reicht bei weiten nicht aus, und so schreibt die RAI rote Zahlen: im vergangenen Jahr waren es etwa 400 Millionen Euro. Ein Fehlbetrag, der ausgeglichen werden könnte, wenn die RAI mehr Werbung ausstrahlen würde. Das darf sie aber nicht, da sie als öffentlich-rechtliches Unternehmen an strenge gesetzliche Vorgaben gebunden ist.

Werbelimit soll aufgehoben werden

Aus diesem Grund verkündet Renzi auch eine Reform der Werbelimits für die RAI. Bisher darf die RAI nur eine bestimmte Quantität an täglicher Werbung ausstrahlen – ganz anders als Silvio Berluconis TV-Unternehmen MEDIASET. Renzi will das Werbelimit für die RAI aufheben, gleichzeitig mit der Abschaffung der ungeliebten Fernsehgebühren. Ideen, die Oppositionsführer Silvio Berlusconi gar nicht gern sieht:
"Die RAI muss endlich ein echter öffentlich-rechtlicher Sender werden, wie in Frankreich, in Deutschland und in anderen Staaten, mit entsprechenden nichtkommerziellen Programminhalten. Das ist in Italien nicht der Fall, wo die RAI mit ihren Programminhalten das Privatfernsehen zu kopieren versucht".
Berlusconi befürchtet, dass die RAI, so wie Renzi sie haben möchte - ohne Fernsehgebühren und mit mehr Werbung- zu einem noch gefährlicheren Konkurrenten für seine MEDIASET werden könnte: denn die RAI, und genau das passt Berlusconi nicht, bietet immer mehr Programme, die dem privaten Kommerzfernsehen ähneln.

Mehr Werbung, mehr Gebühren, dafür ein anspruchsvolleres Programm

Auch die überzeugten Verteidiger des öffentlich-rechtlichen Fernsehens und Rundfunks, darunter RAI-Programmdirektoren, prominente Journalisten wie Roberto Saviano, Schriftsteller wie Dacia Maraini und viele andere Intellektuelle, fordern ihrerseits höhere Fernsehgebühren und notfalls auch mehr Werbung. Mit dem alleinigen Ziel, und das unterscheidet sie von Berlusconi, endlich die Programminhalte der RAI anspruchsvoller zu gestalten.
Sie wollen eine RAI mit weniger Shows, weniger US-amerikanischen-TV-Serien und mit mehr Kultur, mehr Dokus, mehr klassischer Musik, mehr inhaltlichen Ansprüchen. Doch mit diesen Forderungen stehen sie auf verlorenem Posten: Matteo Renzi scheint fest dazu entschlossen, die öffentlich-rechtliche RAI zum Spielball seiner politischen Ziele zu machen. Bei seinen Reformideen geht es ihm nur um das Thema Finanzen, nicht um die Inhalte.
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