De Maizière warnt vor Erpressbarkeit Deutschlands nach Ablauf des Ultimatums der Irak-Geiseln

Im Gespräch mit Ernst Rommeney und Matthias Thiel |
Der Chef des Bundeskanzleramts und Minister für besondere Aufgaben, Thomas de Maizière, CDU, hat vor dem Hintergrund des Ablaufs des Ultimatums für die deutschen Geiseln im Irak die Unerpressbarkeit Deutschlands betont. Der internationale Terrorismus lasse sich vielleicht militärisch nicht besiegen, deshalb müsse man alles tun, um Anschlägen vorzubeugen. Die Einschränkung der Bürgerrechte zugunsten einer erhöhten Sicherheit sei immer ein schwieriger Abwägungsprozess, sagte er.
Deutschlandradio Kultur: Das Schicksal der beiden Geiseln im Irak, von Mutter und Sohn, einer deutsch-irakischen Familie ist nur eines in einer langen Reihe von Ereignissen hier in Europa, aber auch im Nahen Osten, im Mittelmeerraum, wo auch immer. Ist diese Art von Bedrohung durch internationalen Terrorismus, wie wir es ganz allgemein sagen, das, womit wir jetzt leben müssen, gerade wenn deutsche Soldaten im Ausland agieren?

Thomas de Maizière: Ich fürchte, ja, und für eine unabsehbare Zeit. Der internationale Terrorismus lässt sich vielleicht militärisch nicht besiegen. Wir müssen alles tun, um uns vorzubereiten, um vorzubeugen, damit er möglichst Deutschland nicht erreicht oder wir Anschläge verhindern, aber eine Sicherheit dazu gibt es nicht. Vor allem dürfen wir uns nicht insoweit erpressen lassen, dass wir unser außen- oder sicherheitspolitisches Handeln davon abhängig machen, was Terroristen von uns erwarten.

Deutschlandradio Kultur: Einschränkung der Bürgerrechte: Wie weit gehen wir da? Wie weit können wir uns unsere eigene Freiheit durch die Bedrohung des internationalen Terrorismus nehmen lassen?

Thomas de Maizière: Die ganze Geschichte des Rechtsstaates, des Aufbaus des Rechtsstaates ist ein Abwägungsprozess zwischen Freiheit und Sicherheit. Ich empfehle, dass da nicht jeder rechthaberisch sagt, wenn das passiert, dann ist man verantwortlich für einen Anschlag, oder wenn das unterbleibt, dann ist man verantwortlich für einen Überwachungsstaat. Nein, das sind alles schwierige Abwägungsprozesse.

Richtig ist, dass internationaler Terrorismus unser Finanzsystem, unsere Reisefreiheit, die Bewegungsfreiheit, die wir haben, das Asylrecht, alles das, missbraucht, um sich so vorzubereiten, um hier oder anderswo Anschläge zu machen. Wir müssen uns dagegen wappnen, aber wir werden unseren Rechtsstaat deswegen nicht opfern.

Deutschlandradio Kultur: Aber wenn Bundesinnenminister Schäuble jetzt erneut Sicherheitsgesetze vorschlägt, zum Beispiel über biometrische Daten, über den Umgang mit den Passfotos und dergleichen mehr, stellt sich für viele die Frage: Geht das nicht an unsere Bürgerrechte? Geht das nicht zu weit?

Thomas de Maizière: Was heißt, „es geht an unsere Bürgerrechte“? Bürgerrecht ist auch das Recht auf Sicherheit. Was Bürger zu recht von ihrem Staat erwarten können, ist, dass er alles tut, um die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten. Dazu gehört auch Strafverfolgung und Vorbeugung von Straftaten. Es gibt dazu Grenzen. Die werden ausgelotet. Manchmal sagt das Bundesverfassungsgericht auch, die Grenze ist zu weit, aber mein Rat ist, ohne dass wir jetzt zu sehr in Details gehen sollten, im Kampf gegen den internationalen Terrorismus im Zweifel für die Sicherheit.

Deutschlandradio Kultur: Aber die Daten, die dort gesammelt werden, gehen doch in Richtung Überwachungsstaat. Wenn Fingerabdrücke jetzt gesammelt werden sollen, auch die biometrischen Daten aus den Augen, das hat doch inzwischen im Grunde genommen Orwellsche Züge. Der Bürger muss sich doch auf allen Ebenen seines Lebens verfolgt fühlen.

Thomas de Maizière: Zunächst mal ist unser Staat kein Überwachungsstaat, sondern ein demokratischer Rechtsstaat. Darauf lege ich Wert. Jeder Bürger hat eine Steuernummer und deswegen ist der Steuerstaat kein schrecklicher Staat. Jeder Bürger ist verpflichtet, sich beim Einwohnermeldeamt melden zu lassen, und trotzdem überwacht ihn nicht der Staat. Wir haben in verschiedenen Stellen, gerade bei Kriminalitätsschwerpunkten Kontaktbereichsbeamte oder ähnliches, die für Sicherheit sorgen. Die schauen präventiv danach, ob jemand was im Schilde führt. Deswegen werden Bürger nicht überwacht.

Und wir haben an großen Plätzen Videokameras, um Diebstählen und anderen Gewalttätigkeiten vorzubeugen, und das findet große Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger. Unter bestimmten Voraussetzungen haben wir für Eingriffe einen Richtervorbehalt. Die Justiz ist Teil des Staates, aber unabhängige Justiz. Und wenn wir dort ein ausgewogenes Verhältnis finden zwischen dem Kenntlichmachen von gefährlichen Situationen für den Staat und dem Schutz einer Intimsphäre, etwa der Wohnung, dann ist ein Ringen in einem demokratischen Rechtsstaat um das vernünftige Verhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit, aber das Gegenteil von Überwachung.

Deutschlandradio Kultur: Es stellt sich aber immer wieder in all diesen Diskussionen und jetzt auch erneut die Frage, dass es doch im Grunde um die Qualität von Ermittlungsarbeit geht. Nehmen wir mal das Beispiel in der jüngsten Zeit mit dem neuen Fall dieser deutsch-irakischen Familie. Da ist erstmals eine deutsprachige Website aufgetaucht, wo Botschaften und Videos gezeigt worden sind. Da fragt sich natürlich der Bürger: Kann man nicht schlicht so eine „Globale Islamische Medienfront“ vom Netz nehmen?
Thomas de Maizière: Das geht technisch nicht. Wir haben keinen Zugriff darauf, was jemand in Saudi-Arabien, im Irak, in China, in Mexiko oder in den USA ins Netz stellt. Der Preis für die Tatsache, dass wir Handel mit der ganzen Welt treiben, was Teil unseres Wohlstands ist, ist auch Einflussnahme von außen auf uns – heißt Reisebewegung, heißt Internet und ähnliches. Auch im Fernsehen, viele sagen, da müsst ihr halt bestimmte Dinge im Fernsehen verbieten. Ja, wenn irgendetwas abgestrahlt wird und irgendeine Satellitenschüssel irgendetwas empfängt, dann kann das schlechterdings nicht verboten werden.

Was ich allerdings für geboten halte und wo wir noch sehr viel besser werden müssen, ist die Beobachtung des Internets, etwa im Blick auf Aufklärung gegen Kinderpornographie, bei internationalem Terrorismus und ähnliches. Das ist ein technisches Problem. Das ist auch ein Problem, ob wir genug Fremdsprachenleute haben, die irgendwelche arabischen Dialekte können und ähnliches. Das Internet ist eine zusätzliche Chance, auch eine zusätzliche Bedrohung, aber es lässt sich nicht verbieten.

Deutschlandradio Kultur: Infolgedessen wollen Sie auch die privaten Computer online durchsuchen lassen. Ist das verfassungsrechtlich möglich? Wie ist da Ihre Einschätzung?

Thomas de Maizière: Wir haben ja eine ausgefuchste Rechtsprechung zum Umgang mit dem Telefon. Und nun geht das Internet durch Telefonkabel oder online. Deswegen haben wir es eigentlich rechtlich wie ein Telefon behandelt. Das entspricht dem aber nicht, sondern die Kommunikation über das Internet ist sehr viel freizügiger geworden, als es ein Telefongespräch gewesen ist. Darauf müssen wir rechtlich reagieren. Das wird jetzt auch in einer, denke ich, maßvollen Weise versucht.

Jeder, der das Internet benutzt, auch privat, nicht nur im Verhältnis zum Staat, muss wissen, dass er sich damit sehr viel offener macht, als er das vielleicht glaubt. Jeder kann einen Trojaner bekommen. Es können Informationen abgesaugt werden. Da ist mir schon lieber, dass zur Bekämpfung von Geldwäsche, von Kinderpornographie unter bestimmten rechtlichen Voraussetzungen der Staat auch diese Online-Durchsuchungen macht. Das ist vielleicht sogar auch ein milderes Mittel als eine Wohnung zu durchsuchen.

Deutschlandradio Kultur: Und da wird Karlsruhe mitspielen, glauben Sie?

Thomas de Maizière: Das muss man probieren, wie weit man gehen kann. Und dann ist jeder eingeladen, eine Verfassungsbeschwerde einzulegen, und dann wird Karlsruhe darüber zu entscheiden haben. Aber im Vorhinein das immer sicher zu prognostizieren, das geht nicht. Im Umgang mit neuer Technik, muss sich auch der Rechtsstaat versuchsweise der Regelung dieses Themas nähern dürfen. Das ist kein Vorwurf, sondern das ist der Tatsache geschuldet, dass es sich um eine neue Technologie handelt.

Deutschlandradio Kultur: Sie sind zuständig für die Geheimdienste, zumindest für die Koordination und für die Kontrolle, direkt zuständig für den Bundesnachrichtendienst. Nun gehört zur Kontrolle auch die parlamentarische Kontrolle. Warum müssen sich die Abgeordneten immer wieder beschweren, dass sie in dem parlamentarischen Kontrollgremium schlecht informiert werden, mehr aus den Medien erfahren als von Ihnen?

Thomas de Maizière: Wenn Sie ernsthaft mit den Mitgliedern des parlamentarischen Kontrollgremiums reden, dann werden die Ihnen sagen, dass die Informationspolitik dieser Bundesregierung der Großen Koalition offener ist als viele vorherige Bundesregierungen. Das ist eine bewusste Entscheidung. Wir bejahen die parlamentarische Kontrolle. Sie ist notwendig, auch gegenüber Geheimdiensten, Nachrichtendiensten, aber sie muss eben auch nicht öffentlich stattfinden. Denn wenn die Kontrolle, auch die parlamentarische Kontrolle, gegenüber Nachrichtendiensten öffentlich ist, dann können Sie Nachrichtendienste insgesamt abschaffen.

Das Problem, was wir haben, ist weniger eine mangelnde Informationspolitik durch die Bundesregierung, sondern sind die Durchstechereien zum Teil aus den Diensten selbst an den Zuständigen vorbei oder Informationsgewinnung zum Teil auch von Journalisten, die mit dem Ethos des Presserats nicht immer etwas zu tun haben, oder Durchstechereien auch aus der Politik. Das ist unser Problem. Dadurch wird die Sicherheit, auch die internationale Zusammenarbeit eher gefährdet als durch manches andere.

Deutschlandradio Kultur: Trotzdem hakt es immer wieder noch an der Kontrolle. Wenn man an die jüngsten Ereignisse denkt, was die Journalistenbespitzelungen angeht, gab es ja durchaus immer wieder neue Fragen, die aufgetaucht sind. Muss man die Geheimdienstkontrolle in Deutschland nicht neu organisieren – vielleicht zum Beispiel auch einen Geheimdienstbeauftragten einführen, der so ähnlich unabhängig arbeitet wie der Datenschutzbeauftragte?

Thomas de Maizière: Das Thema der so genannten Bespitzelung von Journalisten ist ja nicht neu, sondern ist ein Vorgang, der weit zurückreicht, die letzten Vorgänge bis vor einigen Jahren, aber jedenfalls nicht aktuell ist. Dort ist genau das Element eines Sonderermittlers genutzt worden. Das parlamentarische Kontrollgremium hat einen ehemaligen Bundesrichter beauftragt auf der Basis des entsprechenden Gesetzes, wo das vorgesehen ist, wie ein Sonderermittler einen Bericht zu machen hat. Mit großer Wirkung. Der wird jetzt Gegenstand des Untersuchungsausschusses sein. Also, es gibt dieses Instrument.

Aber noch einen Dritten, neben Regierung und Parlament, der unabhängig von Untersuchungsausschüssen eine solche Aufgabe wahrnehmen kann, davon halte ich nicht viel. Wir müssen arbeiten und kontrolliert werden. Aber wenn die Zahl der Beauftragten nachher größer ist als die Zahl derer, die echt arbeiten, dann wird das in diesem Land schwierig.

Deutschlandradio Kultur: Sie waren ja mal Innenminister und Justizminister in Sachsen. Wenn Sie mit dem Blick dieses Fachmanns aus der Ermittlungsarbeit auf die internationale Zusammenarbeit der Geheimdienste schauen, gerade auf das, was wir jetzt aus dem Untersuchungsausschuss hören: Polizei und auch Staatsanwälte dürfen nicht so zusammenarbeiten, wie sich das die Geheimdienste leisten. Das ist alles nicht gerichtsverwertbar, da sind vieles Gerüchte. Ist Ihnen das so lieb?

Thomas de Maizière: Darauf kommt es nicht an, sondern die Nachrichtendienste haben den Auftrag Informationen zu gewinnen, um ein Lagebild erstellen zu können. Das ist unverzichtbar für jede politische Führung, was das Ausland angeht, als auch, was das Inland angeht. Nehmen Sie nur mal die Frage des iranischen Raketenprogramms und des Nuklearprogramms. Dort versuchen wir – auch in internationaler Zusammenarbeit – aufzuklären und trotzdem gibt es durchaus Unterschiede in der Auffassung, wie weit der Iran nun ist. Das ist nun mal so.

Wenn ich versuche etwas aufzuklären, von dem ich nicht ganz genau weiß, wie es ist, dann kommt es zu unterschiedlichen Auffassungen. Das kann gar nicht gerichtsverwertbar sein. Das sind Einschätzungen. Die Quellen, mit denen man arbeitet, sind oft unzuverlässig. Da sind Wichtigtuer dabei. Da sind Nachrichtenhändler dabei. Da sind unseriöse Leute dabei. Da muss man die Spreu vom Weizen trennen. Nein, nachrichtendienstliche Arbeit ist mühsam. Sie ist geboten, aber sie kann nie Mathematik ersetzen.

Deutschlandradio Kultur: Aber der Fall Kurnaz zeigt doch, dass auch Menschen davon abhängig sind, ohne dass sie dann hinterher das Recht haben, vor Gericht zu gehen, wie es in Deutschland bei irgendeiner Behördenentscheidung wäre, und zu sagen, ich protestiere dagegen mit meinem Anwalt.

Thomas de Maizière: Ja, auch in der Frage der Einschätzung der Gefährlichkeit von Herrn Kurnaz gab es unterschiedliche Auffassungen. Die gibt es bis heute. Auch das kennen wir aus dem täglichen Leben. Die Einschätzung über Menschen ist unterschiedlich. Ganze Gerichte befassen sich mit der Zuverlässigkeit von Zeugenaussagen.

Immer, wenn es um Menschen geht, gibt es unterschiedliche Auffassungen. Das muss auch möglich sein, dass der eine Dienst sagt, ich halte jemanden für gefährlich, der andere Dienst sagt, ich halte den für einen Hochstapler und der ist nicht gefährlich. Und dann ist es der Auftrag der politischen Führung, sich auf eine Seite zu stellen, eine Meinung zu vertreten und dafür dann auch die Verantwortung zu übernehmen.

Deutschlandradio Kultur: Herr de Maizière, als Kanzleramtsminister sitzen Sie auch in der Föderalismuskommission. Föderalismusreform II steht an. Hauptpunkt in dieser Kommission sind die Finanzen, die Neuordnung der Finanzen und die Regelung der Schulden. Werden Sie am Ende der Legislaturperiode eine Lösung parat haben und ein Ergebnis parat haben, sich mit den Ländern geeinigt haben, wie in Zukunft eine Schuldenfalle für Deutschland vermieden werden kann?
Thomas de Maizière: Ich hoffe das und wir haben uns das auch vorgenommen, dass wir in dieser Legislaturperiode versuchen wollen, zu einem Abschluss zu kommen. Insbesondere das Schuldenthema ist entscheidungsreif. Es gibt viele Vorschläge. Der Sachverhalt ist schwierig, aber übersichtlich. Alle Beteiligten sind bereit sich dieses Themas anzunehmen.

Schwierig sind die Fragen: Gibt es dann Sanktionen? Was wird mit den Steuersündern? Gibt es eine Frage der Entschuldung? Wie bestraft man nicht die Länder, die ordentlich gewirtschaftet haben? Es gibt ganz viele Fragen, die da anstehen. Aber, wenn es eine Aufgabe dieser großen Koalition in der Föderalismusreform gibt, dann die, für unsere Kinder und Enkel zu vermeiden, dass wir weiter unbesorgt Schulden aufnehmen – hast was, kannste – gegenüber einer kleiner werdenden Generation. Und wenn wir uns das gelänge, dann machte diese Kommission alleine schon einen Sinn.
Deutschlandradio Kultur: Muss nicht aber auch Föderalismusreform I noch nachgebessert werden? Es gab eine Neuordnung der Zuständigkeiten mit den Ländern. Trotzdem wird weiter immer gejammert. Wir haben es jüngst gerade beim Nichtrauchergesetz gesehen. Die bundespolitische Einheitlichkeit geht verloren, auch in der Bildungspolitik zum Beispiel. Muss da bei der Föderalismuskommission II noch mal nachjustiert werden?

Thomas de Maizière: Nein, die ist ja noch nicht so alt. Wir hatten mehrere solcher Entscheidungen der Aufteilung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern im Grundgesetz. Es gab auch immer Streit zwischen Bund und Ländern, wer für was zuständig ist. Es gab auch immer Streit, wer was zu bezahlen hat. Wir sollten mit diesem Ergebnis jetzt erst mal arbeiten und nicht ständig am Grundgesetz rumfummeln.

Richtig ist, dass auf Länder neue Aufgaben zugekommen sind und dass sie diese Aufgaben auch selbstbewusst wahrnehmen sollten und nicht dann, wenn es schwierig wird, gleich nach dem Bund rufen. Umgekehrt sollte der Bund akzeptieren, dass er für bestimmte Dinge nicht mehr zuständig ist. Ich finde, beim Nichtraucherschutz hat das alles in allem ganz gut funktioniert und beim Ladenschluss auch. Und so wird es auch bei der Kinderbetreuung im Ergebnis ganz gut funktionieren.

Deutschlandradio Kultur: Ja, wirklich? Denn Krippenplätze sind kommunale, sind Landessache! Was kümmert sich da der Bund drum? Kann man da nicht ganz rigoros sein – macht, was ihr wollt?

Thomas de Maizière: Ja, das könnte man so sehen, aber die Vereinbarkeit von Mutter-, Vatersein und Berufstätigkeit, Erwerbstätigkeit ist etwas, was den Bund angeht. Und deswegen finde ich es richtig, dass die Familienministerin dieses Thema pusht. Aber klar muss auch bleiben, die Hauptverantwortung liegt bei den Kommunen und den Ländern und das wissen sie auch.

Deutschlandradio Kultur: Die Haushaltsentwürfe für 2008 sind in der Bearbeitung, auch der einzelnen Ministerien. Ihre Priorität ist, Sie nannten es schon, die Haushaltssanierung. Welche neuen Projekte sind noch möglich? Viele Versprechungen hat die Koalition ja schon gemacht. Und dann haben pfiffige Finanzmenschen ausgerechnet, dass dafür wieder 47 Milliarden Euro fehlen würden. Kann man überhaupt noch neue Projekte angehen? Wie sieht da der Plan für 2008 aus?

Thomas de Maizière: Der Prozess einer Haushaltsaufstellung ist ganz normal. Die Ressorts melden an. Der Finanzminister sagt, ich habe Geld für nix. Und im Ergebnis kommt dann ein Kompromiss raus. Ich vermute, das kennt jede Familie in Deutschland, wenn ein Familienrat gehalten wird, wie man eigentlich seine Jahresplanung macht.

Deutschlandradio Kultur: Das ist das Ritual. Und wo setzen Sie die Prioritäten jetzt?

Thomas de Maizière: Deswegen darf man nicht alles, was da jetzt gesagt wird, auf die Goldwaage legen. Da ist viel, wie Sie sagen, Ritual dabei. Richtig ist, dass wir nur scheinbar viel Geld haben. Wir haben Steuermehreinnahmen, das ist wahr, aber wir haben einen Teil der Steuermehreinnahmen schon verplant. Und wir haben nach wie vor ein strukturelles Haushaltsdefizit. Was heißt das? Strukturelles Haushaltsdefizit heißt, dass ich mit den normalen Einnahmen meine normalen Ausgaben nicht leisten kann. Da sagt ja jeder Bürger: Ja, wie habt ihr es denn bisher gemacht? Na durch zwei Dinge: erstens durch Verschuldung und zweitens durch Vermögensveräußerungen.

Nur in zwei, drei Jahren ist Schluss damit. Dann hat der Bund kein Vermögen mehr, das er veräußern kann. Deswegen müssen wir weiter den Weg der strukturellen Entschuldung des Bundeshaushalts fortsetzen. Die Nettokreditaufnahme muss also runter. Im Ergebnis wird es also einen Kompromiss geben, der den Kurs der Haushaltskonsolidierung klar fortsetzt und einen Teil der Steuermehreinnahmen vielleicht in neue Projekte steckt. Und dann muss man abwägen: Kinderbetreuung, Sicherheit, Verteidigung, Forschung, auswärtige Kulturpolitik, Wirtschaftsförderung. Da wird es dann einen schwierigen Abwägungsprozess geben können, aber alle Wünsche können nicht erfüllt werden.

Deutschlandradio Kultur: Die rot-grüne Reformpolitik Agenda 2010, aber auch das Reformkonzept von Angela Merkel setzten eindeutig auf Lohnkostensenkung. Das schließt eigentlich Steuersenkung aus. Warum gibt es immer noch die Diskussion? Entweder will man die Sozialversicherung reformieren über den Steuersäckel, über die öffentlichen Ausgaben, oder man lässt es bleiben.

Thomas de Maizière: Unsere Steuerquote ist im internationalen Vergleich letztlich nicht übertrieben hoch. Unsere Steuerquote für Unternehmen ist hoch. Deswegen machen wir die Unternehmenssteuerreform. Was uns im internationalen Vergleich belastet, ist die Summe von Steuerquote und Abgabenquote. Abgaben sind das, was die Bürgerinnen und Bürger als Abzüge bezeichnen, also die Beiträge für Arbeitslosenversicherung, Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Rentenversicherung. Das ist in der Summe zu hoch und da wollen wir runter. Und wir sind ja auch runter gegangen, wenn Sie an die Senkung der Arbeitslosenversicherung denken. Das ist auch der richtige Weg, weil das die Lohnkosten drückt. Für Steuersenkung sehe ich in dieser Legislaturperiode keinen Spielraum.

Deutschlandradio Kultur: Ein Streitpunkt in der Koalition sind die Mindestlöhne. Herr de Maizière, kann es der Staat hinnehmen, wenn eine Friseurin unter vier Euro nach Tarif verdient? Müssen wir nicht Mindestlöhne – zumindest in bestimmten Branchen, aber auch flächendeckend in bestimmten Bundesländern – einführen?

Thomas de Maizière: Der Friseurtarif, auf den Sie anspielen, ist ein Tarifvertrag, der zwischen selbstbewussten Gewerkschaften und selbstbewussten Arbeitgebern mit Verträgen abgeschlossen worden ist. Das ist jetzt nicht irgendein Kapitalistenknecht, der jemand schlecht bezahlt, sondern das ist das Ergebnis eines Tarifvertrages, der auch für allgemeinverbindlich erklärt worden ist. Der Staat ist gut beraten, sich in die Lohnfindung nicht einzumischen.

Bei Friseuren kommt noch hinzu, dass wir da viel Teilzeitarbeit haben, dass wir auch Trinkgelder und ähnliches haben und einen hohen Schwarzmarktanteil, gerade in Ostdeutschland. Sie wissen, dass ungefähr die Hälfte der Köpfe in Ostdeutschland privat geschnitten und nicht beim Friseur geschnitten wird. Das ist ja eine alte Tradition, die auch damit zu tun hat, dass es früher nicht so viele Friseure gab.
Deutschlandradio Kultur: Aber dafür gibt es da kein Trinkgeld.

Thomas de Maizière: So ist es. Na ja, dafür gibt es vielleicht ein Stück Torte oder ein Bier hinterher. Das hat ja auch was Kommunikatives. Ich will das gar nicht schlecht reden, aber das ist schon auch Teil der Lebenswirklichkeit. Also, der Staat sollte sich heraushalten aus der Lohnfindung. Er hat allerdings etwas gemacht, was faktischen Einfluss auf die Lohnfindung hat, nämlich den Regelsatz des Arbeitslosengeldes II. Jemand, der nicht arbeitet, bekommt mindestens das. Und das wirkt faktisch wie ein Mindestlohn. Deswegen ist die Frage erlaubt: Was passiert in den Fällen, in denen man darunter verdient. Wobei der Regelsatz des Arbeitslosengeldes II etwas mit Einkommen und das Thema Mindestlohn etwas mit der Lohnfindung zu tun hat. Lohn und Einkommen sind aber etwas grundsätzlich anderes.

Wir versuchen in der Koalition einen Kompromiss in all diesen Fragen zu finden. Wichtig ist mir dabei, dass wir uns auf das Ziel verständigen. Das Ziel darf nicht sein, Arbeitsplätze zu vernichten, sondern muss eher sein, dass Arbeitsplätze geschaffen oder jedenfalls nicht zerstört werden. Richtig ist auch, dass der Staat nicht ausgebeutet werden darf, dass der Arbeitgeber so wenig zahlt und die Differenz zahlt der Staat. Wie wir das alles hinkriegen, darüber werden wir verhandeln. Ende April geht es weiter und ich bin zuversichtlich, dass wir ein Ergebnis erzielen können, was der wirtschaftlichen Entwicklung und dem Wettbewerb nicht schadet und trotzdem faire Löhne sicherstellt.

Deutschlandradio Kultur: Die SPD will das Thema notfalls beerdigen und dann zum Wahlkampfschlager machen. Muss die Union sich da noch bewegen?

Thomas de Maizière: Also, wer aus Angst vor Wahlkampfthemen versucht da ein bestimmtes Ergebnis zu verhandeln, sollte gar nicht erst anfangen zu verhandeln. Angst ist bei Verhandlungen kein guter Ratgeber.

Deutschlandradio Kultur: Sie mögen klassische Musik, aber auch Bildende Kunst. Was finden Sie denn an der Neuen Leipziger Schule so interessant?

Thomas de Maizière: Das ist interessant, dass Sie das ansprechen. Ich war neulich dazu bei einer Ausstellungseröffnung und ich habe einen Vertreter der Neuen Leipziger Schule bei mir im Büro hängen: Carsten Nikolai, der inzwischen allerdings in Berlin lebt. Die Leipziger Schule ist dadurch bekannt geworden, dass da noch gemalt und nicht nur irgendwelche Video-Collagen zusammengestellt werden. Heute ist das Spektrum breiter. Es wird auch nicht nur gemalt.

Aber dass gerade aus Ostdeutschland, aus Leipzig über drei, vier Generationen eine Qualität von Bildender Kunst entsteht, die in der Welt Beachtung findet, das ist etwas Wunderbares für die ostdeutsche Entwicklung. Das gibt es im Bereich der Musik noch in ein, zwei Fällen. Das gibt es im Bereich Technologie in ein, zwei Fällen. Aber das ist der richtige Weg auch für die Entwicklung Ostdeutschlands – nicht Mitleidsbonus, nicht, wir wollen auch mal was haben, nicht, wir sind Bürger zweiter Klasse, sondern: Von uns gehen Impulse in die Welt, nach Deutschland und darüber hinaus aus und darauf können wir stolz sein. Das ist das, was mich an der Neuen Leipziger Schule so freut und reizt.

Deutschlandradio Kultur: Herr de Maizière, wir danken Ihnen für das Gespräch.