DDR-Sportlerin Ines Geipel

    "Laufen, bis man aus sich rausgelaufen ist"

    Die Schriftstellerin und Doping-Expertin Ines Geipel, die Arme verschränkt, an eine graue Betonmauer gelehnt.
    Die Schriftstellerin und Doping-Expertin Ines Geipel. © Ines Geipel (privat)
    23.09.2018
    Die ehemalige DDR-Leichtathletin Ines Geipel war 14, als ihre Eltern sie auf ein Stasi-Internat in Thüringen brachten. Über die Zeit hat sie einen Roman und später ein Hörspiel geschrieben. Bis heute lassen die Autorin manche Erinnerungen nicht los.
    Deutschlandfunk Kultur: Frau Geipel, 1999 veröffentlichten Sie Ihren Roman "Das Heft", in dem Sie über das Leben junger Mädchen in einem Internat in den Wäldern schreiben. Auch Sie haben ein Internat im thüringischen Wickersdorf besucht, das eng mit der Stasi verbunden war. Welche Erinnerungen aus der Zeit begleiten Sie bis heute?
    Ines Geipel: Ich war 14, als meine Eltern mich aufs Internat schickten. Das war nicht so ohne damals. Einerseits war ich traurig, meine Geschwister nicht mehr um mich zu haben, andererseits gab es auch das Gefühl von Erlösung. Die Verhältnisse zuhause waren ziemlich hochkarätig.
    Deutschlandfunk Kultur: Sie stammen aus einem stramm kommunistischen Haushalt, Ihr Vater soll als Spion für die Staatssicherheit der DDR gearbeitet haben.
    Geipel: Ich wusste damals nichts darüber. Das klärte sich erst 2004. Und Wickersdorf, die Ikone der Reformpädagogik in der Weimarer Republik, nannte man zu DDR-Zeiten rote Kaderschmiede. Von den Ursprungsideen war da nicht mehr viel da. Die Reformpädagogik war ab 1953 in der DDR ja verboten.
    Deutschlandfunk Kultur: Wie haben Sie sich an der Schule zurechtgefunden?
    Geipel: Wickersdorf liegt mitten im Thüringer Wald, fernab von allem. Ich kam aus Dresden, aus einer Stadt mit viel Kultur. Das war schon mal schwierig, sich da überhaupt einzugewöhnen. Wir waren 14, verdammt jung, wir wollten was erleben, aber dort im Wald war tote Hose. Nur die Bäume, die Tiere und die Ideologie. Das war nicht ganz einfach. Jeder hat da auf seine Art seine Not gehabt. Aber starke Landschaften, das merkt man erst später, machen was mit einem. Da war offenbar im Inneren einiges los.
    Deutschlandfunk Kultur: Mit 24 wollten Sie erstmals aus der DDR fliehen. Hatten Sie schon früher einen solchen Plan gefasst, während Ihrer Schulzeit?
    Geipel: Nein, dafür war ich viel zu jung und auch viel zu eingespurt. Wie gesagt, ich komme aus einer beinharten Kommunistenfamilie, war also ein indoktriniertes Kind. Aus diesem Kokon musste ich mich erstmal Schritt für Schritt rausarbeiten. Ich bin viele Umwege gegangen bis zu meiner späteren Flucht.
    Deutschlandfunk Kultur: Welche Rolle spielte das Laufen bei Ihren allmählich sich entwickelnden Fluchtfantasien?
    Geipel: Das war natürlich meine Hauptbeschäftigung. Ich bin nach der Schule raus aufs Feld und so lange gelaufen, bis ich todmüde umfiel. Laufen, um etwas für sich zu finden, einen Raum, der nicht angegriffen werden konnte. Das war die Rettung. So schnell laufen, bis man sich hinter sich lässt, aus sich rausgelaufen ist. Es ist die Rettung, aber naja, es bleibt natürlich eine Flucht.
    Deutschlandfunk Kultur: Über all das haben Sie ja 1999 geschrieben. 2002 haben Sie dann ein Hörspiel aus Ihrem ersten Roman entwickelt. Wie kamen Sie darauf?
    Geipel: Ulrich Gerhardt, Heike Tauch und ich hatten eine Produktion über Inge Müller gemacht, ich hatte Inge Müllers Texte kurz zuvor herausgegeben. Und ihr Rhythmus, ihre knappe Sprache wie vor dem Absturz, das war für mich eine Erfahrung mit Worten und der Anstoß. Da wollte ich was übersetzen.
    Deutschlandfunk Kultur: Inge Müller war die zweite Ehefrau von Heiner Müller. Sie hat auch Ihre schriftstellerische Arbeit geprägt?
    Geipel: Diese äußerste Verknappung, diese Binnenspannung der Verse bei ihr. Dieses Füllen der Wörter mit Energie, Druck, auch Schmerz. Dieser Stil hatte einen ziemlich Nachhall in mir, auch wenn ich letztlich was komplett anderes gemacht habe. Aber die Wörter von Inge Müller haben ein mentales Klima, einen Geschmack, es sind wirklich ihre eigenen. Sie können nur so zueinander stehen, und es muss eben auch was drin sein in ihnen. Sie sind von innen gefüllt. Es geht um was. Sonst kann man`s auch lassen. Das habe ich, dächte ich, von ihr mitgenommen.
    Deutschlandfunk Kultur: Wie war es für Sie, die Figuren aus Ihrem Roman im Hörspielstudio entstehen zu sehen?
    Geipel: Das war deshalb großartig, weil es was völlig anderes geworden ist als der Roman. Etwas ganz Fremdes für mich. Es hat mit dem, was ich als Text in mir hatte, nichts mehr zu tun. Das wusste ich so nicht, dass ein Text sich so fremd stellen kann. Ich höre den und habe das alles nie gehört. Als könne ein Text selbst was kreieren.
    Deutschlandfunk Kultur: Sie haben sich jahrelang für die Opfer von Zwangsdoping in der DDR stark gemacht, Sie waren selbst davon betroffen. Wie gut gehen Engagement und Schreiben für Sie zusammen?
    Geipel: Ach, ich pendle da immer. Es gibt die Romane, die literarischen Sachbücher, das Publizistische und auch das politische Engagement. Mein letztes Buch "Tochter des Diktators" war ein Roman. Wenn ich mich lange genug im Politischen rumgebalgt habe, um für die Opfer was zu erreichen, muss ich irgendwann in die Bilder und in den Ton. Sonst fühlt sich in mir alles ganz trocken an. Das ist wie Ein- und Ausatmen. Ich brauche beides.
    Das Gespräch führte Philipp Eins
    Ines Geipel betrieb acht Jahre lang Hochleistungssport in DDR. Nach einem Germanistikstudium in Jena floh sie 1989 nach Westdeutschland und studierte Philosophie und Soziologie in Darmstadt. Sie ist Schriftstellerin und Professorin für Verskunst an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch".
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