DDR-Geschichte

Bürgerrechtlerin und "Staatsfeind"

Auf Transparenten fordern Teilnehmer des friedlichen Demonstrationszuges am 10.10.1989 durch die Leipziger Innenstadt immer wieder "Freiheit" - hier auf einem Banner mit drei Ausrufungszeichen zu lesen.
Auf Transparenten fordern Teilnehmer des friedlichen Demonstrationszuges am 10.10.1989 durch die Leipziger Innenstadt immer wieder "Freiheit". © picture alliance / Lehtikuva Oy
Von Thomas Klug · 01.09.2014
Katrin Hattenhauer war eine der wenigen, die in Leipzig die Montagsdemonstrationen ins Leben riefen. Ein Pfarrer, der sie damals an ihrer politischen Arbeit hindern wollte, erhielt Jahre später das Bundesverdienstkreuz. Sie selbst ist weniger bekannt. Den Ruf als Störenfried hat sie seit 1989, als sie am 4. September in Leipzig das erste Transparent entrollte.
Sind Sie ein Störenfried, Katrin Hattenhauer?
"Der Spruch auf dem Transparent war: Für ein offenes Land mit freien Menschen. Gegenfrage: Ist man ein Störenfried, wenn man sich das wünscht."
Gut zwei Monate bevor in Berlin die Mauer niedergehämmert wurde, machte sich in Leipzig ein Dutzend Menschen auf, um Plakate zu entrollen. Dies wurde zum Beginn der Montagsdemonstrationen. Eines der Transparente trug Katrin Hattenhauer. In der DDR genügte das, um als Störenfried zu gelten. Oder in der Sprache der Obrigkeit als Staatsfeind. Und ein Plakat, dessen Aufschrift sich nicht die Staatspartei selbst ausgedacht hatte, konnte nur feindliche Hetze sein.
"Für mich stand am 4. September fest, dass ich das machen werde. Es gab darum viele Diskussionen innerhalb unseres Freundeskreises oder innerhalb unserer politischen Gruppierung, dass Leute gesagt haben, das sollten wir nicht tun, denn wir sind nur wenige und wenn wir uns vorne anstellen und sofort gesehen werden, dann können wir nicht mehr wie in den letzten Jahren Dinge anstoßen, die sich dann entwickeln, sondern wenn wir sichtbar werden, birgt das auch die Gefahr, dass wir ins Gefängnis kommen und wir fehlen dann draußen."
Verherrlichungen lehnt Hattenhauer ab
Eine Woche später wird Katrin Hattenhauer verhaftet. Es war nicht ihre erste Festnahme, doch die erste, bei der sie nicht nach 24 Stunden wieder freigelassen wurde. Die Verhaftung sollte abschrecken. Doch der Plan der Staatssicherheit ging nicht auf.
Die DDR irgendwo zwischen Fußnote der Geschichte und schönstem Land der Welt. Von Verherrlichungen hält Katrin Hattenhauer nichts.
"Also, es wird ja so ein Bild der DDR manchmal heraufbeschworen, wo ich oft gesagt habe: Schönes Land, hätte ich auch gern gelebt."
Katrin Hattenhauer hat sich daran gewöhnt, dass andere als Helden des Herbstes von 1989 gelten. Diejenigen, die damals gleich politische Karrieren anstrebten. Das wollte sie nicht. Sie war damals Anfang 20 und wollte die neue Welt kennenlernen. Aber immerhin wurde sie eingeladen, als im Jahr 2009 der 20. Jahrestag der friedlichen Revolution am Brandenburger Tor gefeiert wurde. Internationale Staatsgäste durften Reden halten, zum Beispiel Dimitri Medwedew, damals russischer Präsident. Diejenigen, die 1989 als erste auf die Straße gingen, sollten kurz und spontan auf die Fragen von Thomas Gottschalk antworten. Katrin Hattenhauer nahm ihm das Mikrofon aus der Hand und sagte, was sie sich überlegt hatte:
"Ich finde, dass diese Revolution zeigt für jeden, der heute so alt ist wie wir damals waren, wie ich damals war, zu sagen, wenn du etwas träumst, wenn du etwas machen willst, wenn du dich beteiligen willst mit bürgerschaftlichem Engagement, dann tu es, denn diese Geschichte zeigt, dass es machbar ist, dass du es machen kannst."
Misstrauen statt Anerkennung
Bei einem Umtrunk danach kam der Regierende Bürgermeister von Berlin mit Katrin Hattenhauers Mann zusammen …
"… und sagte, ich muss mal einen mit Ihnen trinken, denn Sie sind der Mann von der Frau, wo wir alle auf der Tribüne gedacht haben: Oh Gott, jetzt passiert es, jetzt hat sie das Mikro und was wird sie machen? Sie wird Medwedew klein machen. Mein Mann sagte nur: Das findet alles in Ihrem Kopf statt, dass Sie denken, dass die Leute die soviel riskiert haben, heute an so einem Tag, der ein Fest ist, dafür nutzen würden, irgendjemandem eins reinzudrücken und das platzen zu lassen."
Jede Gesellschaft braucht Störenfriede. Aber ein Störenfried darf nie mit Anerkennung rechnen, eher mit Misstrauen. Da ist es egal, ob das politische System ein anderes geworden ist. Für Katrin Hattenhauer ist das eine Erkenntnis, die ihr nicht gefällt:
"Natürlich hört man das nicht gerne, weil man ja selbst denkt, ich habe es für etwas getan, für dieses freie Land, für diese Demokratie, in der wir jetzt leben können, wo jeder sich beteiligen kann. Und dass man es dann etwas argwöhnisch beäugt – natürlich tut das weh, das sag ich ganz ehrlich, das ist nicht einfach."
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