DDR-Geschichte

Als die Sozialisten gingen, kamen die Kapitalisten

Das ehemalige Staatsratsgebäude der DDR in Berlin, in dem inzwischen die European School of Management and Technology (emst) untergebracht ist, aufgenommen am 06.10.2014.
Das ehemalige Staatsratsgebäude der DDR in Berlin, heute die European School of Management and Technology (emst) © picture alliance / dpa / Foto: Tim Brakemeier
Von Christiane Habermalz |
Einst wurden von hier aus die Geschicke der DDR gelenkt. Bis zur Wende hatte der Staatsrat der DDR im Staatsratsgebäude in Mitte seinen Amtssitz. Ironie der Geschichte: Heute werden dort in einer Privatschule Führungskräfte für die Wirtschaft ausgebildet.
Als das Staatsratsgebäude der DDR im Oktober 1964 eingeweiht wurde, da war der ehemalige Ministerpräsident Brandenburgs, Manfred Stolpe, 27 Jahre alt. Heute ist er einer der vielen Gäste, die zur 50-Jahrfeier des Gebäudes geladen sind – vielleicht der einzige, der auch zur Einweihung da gewesen sein könnte, als Zaungast zumindest. Doch Gelegenheit, ihn zu fragen, gibt es nicht, denn er ist schnell verschwunden unter all den vielen jungen, wohlfrisierten Menschen mit Sektgläsern in der Hand.
Elite-Wirtschaftsschule nach Harvard-Vorbild
Denn das ehemalige Machtzentrum des Arbeiter- und Bauernstaates ist heute Sitz der ESMT, der European School of Management and Technology, einer privaten Elite-Wirtschaftsschule nach Harvard-Vorbild. Auch das eine Ironie der Geschichte – ein Umstand, auf den ausgerechnet Ex-Kanzler Gerhard Schröder hinweist:
"Damit hat die Geschichte der gesamten DDR-Nomenklatura ein echtes Schnippchen geschlagen. Im ehemaligen Amtssitz des Staatsrates, dem für die politische Inszenierung wichtigsten Bauwerk der DDR, befindet sich heute eine Kaderschmiede des kapitalistischen Führungsnachwuchses."
Schröder gehört wie Stolpe zu den älteren Gästen, und er ist der Festredner des Abends – in seiner Funktion als Nachmieter von Honecker und Co. Denn zwei Jahre lang diente das Gebäude auch als provisorisches Kanzleramt, von 1999 bis 2001, nach dem Umzug der Bonner Republik nach Berlin. Im sogenannten Diplomatensaal tagte jeden Montag um 9.30 Uhr das Kabinett, erzählt Schröder.
"Mir war dieser Raum schon von einem früheren Besuch der DDR bereits bekannt. Hier wurde ich 1985 als Vorsitzender der niedersächsischen SPD-Landtagsfraktion vom Vorsitzenden des Staatsrates Erich Honecker empfangen. Hätte mir, meine Damen und Herren, damals jemand gesagt, dass ich 13 Jahre später als Bundeskanzler eines geeinten Deutschlands hier die Sitzungen der Bundesregierung leiten würde, hätte ich ihn wohl für leicht verrückt erklärt."
Geschichtsbereinigung der neuen Machthaber
Der Irrsinn der Zeitenläufe lässt sich gut an Gebäuden ablesen, so sie denn nicht abgerissen werden, immer gern praktizierte Geschichtsbereinigung der neuen Machthaber. Wie der Palast der Republik nach der Wende, dem seinerseits das Hohenzollernschloss weichen musste, das 1950 von der DDR-Führung gesprengt wurde, und das derzeit gerade für 500 Millionen Euro wiederersteht, aus Beton und barocken Gipsrepliken.
Doch Walter Ulbricht zerstörte damals nicht das ganze Schloss, nein, ein Teil wurde verschont: Der Balkon, von dem aus Karl Liebknecht am 9. November 1918 die sozialistische Republik ausrief – im Wettstreit mit dem Sozialdemokraten Philipp Scheidemann, der fast zeitgleich vom Reichstag aus die Deutsche Republik ausrief. Scheidemann war zwei Stunden früher dran, was vielleicht damals die Sache gegen Liebknecht entschied. Das Portal IV mit Liebknechts Balkon aber wurde vom Imperialismus-Vorwurf rehabilitiert und, und damit schließt sich der Kreis, in die Fassade des neu errichteten Staatsratsgebäudes integriert.
"Ich glaube, wir müssen einfach akzeptieren, dass dieses Gebäude unglaublich viele Schichten und Geschichten Deutschlands widerspiegelt",
sagt Alexander Koch, Direktor des Deutschen Historischen Museums, der sich mit diesen Dingen auskennt. Schröder will heute nicht auf Russland angesprochen werden, schon gar nicht anderweitig auf Politik. Zum Balkon sagt er dann aber doch etwas, er behauptet, ihn nie betreten zu haben.
"Ich habe weder hier noch auf dem Balkon des Reichstags gestanden. Insofern bin ich eher ein neutraler Vertreter der Arbeiterbewegung."
Museumsdirektor Koch sagt dann noch, dass er im neuen Humboldtforum, wie das Schloss dann ja heißen soll, wenn es fertig ist, eine Ausstellung für den abgerissenen Palast der Republik integrieren will, mit Teilen der Originalausstattung und so.
Das wird dann eine Rekonstruktion des Palastes in der Kopie des Schlosses, das anstelle des Palastes am Ort des historischen Schlosses errichtet wurde. Uff. Liebknechts Balkon aber bleibt hier. Vielleicht kommen die Bauarbeiter von der Schlossbaustelle gegenüber, um eine Kopie anzufertigen. Originalgetreu, versteht sich.
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