DDR-Bürger

Nicht alle Mitläufer waren schlechte Menschen

Passanten stehen an der Mauergedenkstätte in Berlin.
Auch bei den Mitläufern der SED gab es Gewinner und Verlierer der Einheit, meint Andreas Zecher (hier die Mauergedenkstätte in Berlin). © dpa / picture alliance / Kay Nietfeld
Von Andreas Zecher · 03.11.2014
Wer war eigentlich der "DDR-Bürger"? Zumindest waren nicht alle schlecht, meint der Journalist Andreas Zecher. Er macht sich stark dafür zu differenzieren und bricht eine Lanze für Mitläufer - zumindest für zwei aus seiner nordostdeutschen Heimat.
Selbst nach 25 Jahren fällt es schwer, dem "Bürger der DDR" gerecht zu werden. Auch Ostdeutsche, die in der DDR einen Gutteil ihres Lebens verbracht haben, werden einander häufig nicht gerecht.
Gemeinsam ist ihnen, dass sie in den Augen der Westdeutschen irgendwie abgestempelt waren – noch dazu unterschiedslos. Schon deswegen hielten viele ihre DDR-Identität demonstrativ hoch. Die einen lobten die sozialistischen Errungenschaften, die anderen die Potenziale ihres Nischendaseins.
Schon früh kam der Wunsch auf, die Deutschen mögen einander ihre Biographien erzählen, einander zuhören, anstatt Klischees und Vorurteile aufzuwärmen, die doch nur verletzten. "Den" DDR-Bürger gab es nämlich nicht. Denn bis zu einem gewissen Maß war eine individuelle Lebensgestaltung zu DDR-Zeiten durchaus möglich.
Manch Bürgerrechtler ist heute vergessen
Wer aber das politische System grundsätzlich in Frage stellte, musste dafür einen hohen Preis zahlen, durfte nicht studieren, verlor den Job, stand unter Beobachtung und wurde gar mit Gefängnis bestraft. Ironie des Schicksals - manch Bürgerrechtler, der für eine Wende kämpfte, ist heute vergessen.
Auch bei den Mitläufern der SED gab es Gewinner und Verlierer der Einheit. Chancen boten sich auch jenen, die ihren Alltag zuvor nur äußerlich den propagierten Idealen angepasst hatten, und mehr oder weniger kaschiert zu erkennen gaben, dass die Doktrin der Partei für sie nicht das Non-Plus-Ultra sei.
Wer im Herbst 1989 eine derartige Differenzierung vorgenommen hätte, dem wäre vorgehalten worden, er wolle einen Teil des "staatsnahen" Personenkreises nachträglich zu Systemkritikern, zu Bürgern mit eigenem Kopf erklären. 25 Jahre später ließe sich dieser Vorwurf leicht entkräften, indem man sich das Nachwende-Engagement dieser Menschen anschaut.
Horst Klinkmann beispielsweise ist eine solche Persönlichkeit. Zu DDR-Zeiten galt er als Vater der künstlichen Niere, war Direktor der Klinik für Innere Medizin der Universität Rostock und der letzte Präsident der Akademie der Wissenschaften der DDR. Seinen Chefarztposten verlor er 1992. Doch ließ er sich durch die Demütigungen einer Evaluierungskommission nicht aus seiner Heimat vertreiben.
Herausragende Bedeutung für den Arbeitsmarkt im Nordosten
Nachdem ihn Lehraufträge in alle Welt geführt hatten, kehrte er nach Mecklenburg-Vorpommern zurück und setzte sich in diesem strukturschwachen Bundesland für den Aufbau einer modernen Gesundheitswirtschaft ein. Heute hat diese Branche mit 100.000 Beschäftigten eine herausragende Bedeutung für den Arbeitsmarkt im Nordosten.
Ein anderes Beispiel gibt Wolfgang Bordel. Im November 1989 war er der jüngste Theaterintendant der DDR, heute ist er der dienstälteste Deutschlands. Seine Spielstätte befindet sich weder in Leipzig noch in Rostock, sondern im vorpommerschen Anklam, das als demokratiefeindlich verrufen ist.
Anfang der 90er-Jahre wiesen ihn die Damen und Herren vom Deutschen Bühnenverein auf die existenzielle Bedrohung seines Theaters hin und empfahlen dessen Schließung. Der Intendant widersetzte sich trotzend diesem Rat. Er privatisierte sein Haus, erweiterte die Spielstätten und gründete eine Theaterakademie. Nur Bürgermeister von Anklam zu werden, das erreichte er nicht.
25 Jahre nach dem Mauerfall kommt kaum noch jemand in der Region auf die Idee, ihn daran zu erinnern, dass es ein Parteiauftrag war, der ihn einst zum Intendanten machte. Es gab "DDR-Bürger" mit oder ohne Parteibuch, die ihren Schnitt gemacht haben oder geschnitten wurden, und es gibt sie noch heute als engagierte Bürger mit eigenem Kopf und Verantwortungsbewusstsein für die Entwicklung ihrer Heimat.
Dr. Andreas Zecher, Jahrgang 1953, ist Journalist und Autor. Er lebt in der Nähe von Rostock. Mehr als 20 Jahre berichtete er für den in Neubrandenburg erscheinenden "Nordkurier" aus der nordöstlichen Küstenregion. Zuletzt erschienen: "Heute ein Frosch-Morgen ein König, Verrückte Geschichten aus Mecklenburg-Vorpommern" (Magma Verlag).
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Andreas Zecher© privat