David gegen Goliath

Vorgestellt von Andreas Baum |
Eine rührende Geschichte: Da macht sich ein kleiner Journalist auf, einen der bekanntesten und erfolgreichsten Medienunternehmer Deutschlands aus dem Sattel zu stoßen. Denn das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel", das in seinem typischen Jargon der skeptischen Allwissenheit über alles und jeden in der Republik schreibt und urteilt, und über interne Gespräche berichtet, als hätten seine Reporter dabei gesessen, muss sich nie dieser Kritik aussetzen. Das will Oliver Gehrs ändern.
Tatsache ist: Das Buch ist wenig besprochen worden in den deutschen Feuilletons. Daraus gleich eine Beißhemmung der Journalisten abzuleiten gegen den mächtigen Herausgeber passt zu dem Bild, das Gehrs von ihm zeichnen will: Aust sei ein Mann, der politische Prinzipien, selbst die Pressefreiheit seinen Interessen untergeordnet habe.

Dies sei eine Abrechnung eines gedemütigten Ex-Spiegel-Redakteurs, sagen die wenigen Kritiker. Oliver Gehrs wehrt sich, tapfer.

"Das ist ja so der Versuch, das jetzt auch ein bisschen zu diskreditieren, indem gesagt wird, der ist damals möglicherweise rausgeworfen worden, da gibt's auch so Stimmen, die das insinuieren, das stimmt auch nicht. Ich bin damals gegangen, weil ich ein Angebot von der Süddeutschen Zeitung hatte und hab auch schon jetzt in den letzten Tagen mal meine Kündigung durchs Land gefaxt, damit das mal klar ist."

Erschwerend kommt für Gehrs hinzu, dass er kaum einen seiner Informanten nennt - nun mag man vermuten, dass es da enge Kontakte gibt, etwa zu Jakob Augstein, der mit Aust um das Erbe seines Vaters focht, und der gemeinsam mit Gehrs bei der Süddeutschen Zeitung gearbeitet hat. Oder zu einem ehemaligen Spiegel-Chef, der es sich mit Aust verscherzt hat und der nun bereitwillig skurrile Interna aus dem Redaktionsalltag preisgibt. Besser wäre es gewesen, wenn Gehrs seine Angriffe gegen Aust mit plausiblen Beweisen unterfüttert hätte. So bleibt der Eindruck, dass hier viel Klatsch ausgewalzt wird, "Flurfunk", und Ressentiments. Immerhin: Einigen Kollegen nötigt es offenbar hinter vorgehaltener Hand Respekt ab, dass sich das mal einer traut.

"Das ist ja schon ein Armutszeugnis für diese Gesellschaft, dass gesagt wird: Der schreibt ein Buch über den Spiegel. Das ist aber mutig. Stellen Sie sich mal vor, was ist das für eine Aussage. Dass da niemand mal drauf kommt und sagt: Warum ist das eigentlich so mutig? Was haben wir eigentlich für eine Pressefreiheit in diesem Land, müsste man doch eigentlich alles sagen können. Meine Erfahrung als Medienjournalist ist ja sowieso die, dass ausgerechnet die Leute, die ihr Geld damit verdienen, über andere Leute zu publizieren das sind die, die am angefasstesten sind, die sind auf einmal auf den Barrikaden wenn selber über sie geschrieben wird."

Das Buch beginnt mit einer Szene wie aus einem Mafia-Krimi: Da ruft Gabor Steingart, der lange als Austs Kronprinz galt, bei Gehrs an und empfiehlt ihm dringend, diese Biographie nicht zu schreiben. So wird dem Leser suggeriert: Hier hat einer unter Einsatz mindestens seiner Karriere akribisch recherchiert. Zu Tage gekommen ist der spannende Lebenslauf eines Ausnahmejournalisten: Aust hat sich hochgearbeitet, zunächst unter Ausnutzung der Linken Flanke. "Konkret", das Magazin, bei dem Ulrike Meinhoff Kolumnistin war, gehört zu den Stationen, aber auch das anarchistische Sex-Blatt St. Pauli-Nachrichten. Der echte Erfolg beginnt mit einem Buch, dem Bader-Meinhoff-Komplex, dann folgt Spiegel-TV und am Ende, endlich, der Spiegel selbst. Eigentlich, sagt Gehrs, wollte er das Buch nicht gegen Aust schreiben, sondern mit ihm. Zweimal hätten sich die beiden getroffen, um über die Biographie zu sprechen.

"Er merkte, ach Mensch, da ergibt sich die Chance, doch noch ein Stückchen größer zu werden, dadurch dass jemand eine Biographie verfasst und gleichzeitig mag er den aber nicht wirklich und ich glaube das Schlimmste ist, diese Art von Nicht-Kontrolle. Stefan Aust ist ja jemand, der die Sachen sehr gern unter Kontrolle hat. Und wenn jemand eine Biographie über Sie schreibt, dann ist das nicht gegeben, außer es wird eine autorisierte Biographie, und das hat ihm nicht behagt."

Aust setzt seine Position ein, um Privatinteressen durchzusetzen, das ist der unterschwellige Vorwurf dieses Buches. Als der leidenschaftliche Pferdezüchter erfahren muss, dass eines seiner Lieblingsrösser in eine weggeworfene Bierbüchse getreten ist, wird sofort ein Spiegel-Titel zum Dosenpfand gemacht. Später polemisiert das Blatt gegen die Windkraft - denn Aust möchte verhindern, dass in Sichtweite seines Gestütes Windmühlen errichtet werden. Ohne Zweifel: Stefan Aust hat ein Händchen für Themen und weiß, wie man Auflage schafft. Daraus aber genau formuliert der moralisierende Biograph seine Anklage. Der Spiegel darf nicht nach der Quote schielen wie RTL und SAT1, fordert Gehrs, sondern soll sich seiner Rolle als kritisches Medium bewusst sein. Rührend, auch das.

Oliver Gehrs: Der Spiegel-Komplex. Wie Stefan Aust das Blatt für sich wendete
Droemer/Knaur, München 2005
335 Seiten, 19,90 Euro