David gegen Goliath
Der Automobilzulieferer Mitec hat den Ford-Konzern wegen Vertragsbruchs auf Schadenersatz verklagt. Der US-Autohersteller habe 2007 einen langfristigen Liefervertrag mit der Mitec-Tochter enginetec gebrochen.
Zudem habe Ford das Mitec-Teil, ein Massenausgleichssystem zur Dämpfung von Motorgeräuschen und -vibrationen, in Japan und Mexiko und damit im Dollar-Raum bauen lassen. Das wurde Eins zu Eins abgekupfert, heißt es in dem Unternehmen. Den Schaden für den mittelständischen Thüringer Autozulieferer mit rund 850 Beschäftigten bezifferte man auf 20 Millionen Euro.
Werksleiter Thomas Fischer eilt durch die moderne Produktionshalle. Vorbei an riesigen Fertigungsmaschinen, die durch schmale Fließbänder verbunden sind. Vollautomatisch fahren hier die Bauteile von Maschine zu Maschine.
"Man muss sich das vorstellen, wie eine Modelleisenbahn und viele Waggons, die aneinander hängen, und im Prinzip da über die Linie fahren und jetzt ist kaum etwas los, da fährt mal eine Lok vorbei und dann war’s das."
Die Mitec AG, ein mittelständischer Automobilzulieferer im thüringischen Eisenach, spürt – genau wie der Rest der Branche – derzeit den Nachfrage-Einbruch. Dabei gibt es kaum ein Auto unter dessen Motorhaube sich nicht eines der von Mitec hergestellten Produkte - sogenannte "Massenausgleichssysteme" - befindet. Das technisch komplizierte System – auch "Balancer" genannt – gleicht Motor-Vibrationen und -Geräusche aus und sorgt dafür, dass kleine Motoren genauso ruhig laufen wie größere.
"Wir beliefern BMW, wir beliefern den Daimler, wir beliefern Volkswagen, die Volkswagen-Gruppe. Wir beliefern alle nahmenhaften OEMs, bis auf Ford."
Von dem Auto-Hersteller Ford werde er keinen einzigen Auftrag mehr annehmen, hatte Mitec-Chef Dr. Michael Militzer jüngst verkündet. Und Klage gegen die Ford Motor Company, mit Sitz in Michigan, USA, eingereicht: Auf Vertragsbruch. Ein kleiner thüringischer Zulieferer zerrt einen US-Weltkonzern vor Gericht - das sorgt in der Branche für Aufsehen.
Der Mechatroniker Frank Wolf arbeitet seit sieben Jahren bei der Mitec Enginetec, in der Maschinen-Instandhaltung. Er erinnert sich noch genau an den Jahresbeginn 2007.
Wolf: "Von einem Tag auf den anderen wurde die Produktion eingestellt für die Firma Ford, obwohl wir bis dahin Qualität abgliefert haben, wir haben einen Preis von Ford bekommen, den Q1 und von daher konnte ich das eigentlich nicht nachvollziehen, dass auf einmal dieses qualitativ hohe Produkt nicht mehr gefordert wird von Ford."
450.000 "Balancer" hatte die Mitec Enginetec bis dahin Jahr für Jahr für Ford produziert. Doch plötzlich war damit Schluss. Ford forderte keine "Balancer" mehr ab. Die Maschinen in dem eigens erbauten, super-modernen Werk standen still. Mechatroniker Wolf schüttelt den Kopf.
Wolf: "Und gedacht habe ich, ganz ehrlich, da geht’s bestimmt ums Geld, weil damals - wie auch jetzt die Gründe auch rauskommen – war der Euro auch hoch im Vergleich zum Dollar, und da konnte man wirklich eins und eins zusammenzählen, dass es wirklich ums Geld ging."
Im ersten Stock des Fertigungsgebäudes sitzt Dr. Michael Milizer an seinem Schreibtisch und druckt die akutellen Wirtschaftsmeldungen aus. Der 60jährige Mitec-Chef hat zum Kampf David gegen Goliath geblasen:
"Ich habe sehr viel positive Zuschriften bekommen bezüglich unserer Klage gegen Ford. Und es hat auch Anrufe im Einkauf gegeben, man würde die Firma Mitec gerne beliefern. Das sind also Reaktionen, die ich nicht erwartet hätte ..."
Militzer bittet ins Besprechungszimmer. Am Treppenaufgang hängen Urkunden, verliehen von großen Automobil-Herstellern.
"Das sind Quality-Preise von der Firma Mazda. Dann haben wir vor zwei Jahren den Powertrain-World-Award gewonnen, für Qualität, als einziger weltweit ... Ist sehr hübsch, dass man so etwas bekommt ..."
Doch solche Auszeichnungen können nicht darüber hinwegtäuschen: Die Zulieferer-Branche ist ein beinhartes Geschäft. Ein Geschäft, indem sich die Mitec AG über Jahre behauptet hat. Anfang der 90er übernahm Militzer das ehemalige Wartburg-Werk in Eisenach. Investierte seitdem rund 250 Millionen Euro und schuf fast 1.000 Arbeitsplätze. Das kleine ostdeutsche Unternehmen Mitec anvancierte zum Weltmarktführer bei Massenausgleichssystemen. Ford beeindruckte das offenbar wenig:
Militzer: "Wie ein amerikanischer Konzern einen Zulieferer, der hier eine Fabrik gebaut hat für ihn, der jahrelang positiv geliefert hat, nur aufgrund des nicht hedgen wollens des Dollars oder der vielleicht katastrophalen eigenen Situation solche Maßnahmen ergreift, das ist beispiellos und das darf nicht Schule machen."
Militzer zündet sich eine Zigarette an. Und erinnert sich, wie der Vertrag mit Firma Ford zustande kam:
"Ford war eigentlich einige Jahre zurück und Ford hat wohl erkannt, dass der Trend in diese Richtung geht und hat dann versucht in einen bereits designten Motor diese Technologie noch zu implementieren ..."
450.000 Balancer jährlich soll Mitec liefern. 300.000 an Ford-Mexiko und 150.000 an Mazda in Japan. Ford ist damals mit 30 Prozent an dem japanischen Autohersteller beteiligt. Um diesen und andere Aufträge erfüllen zu können, baut die Mitec AG ab März 2001 das neue Werk in Krauthausen bei Eisenach. Investiert 35 Millionen Euro. Vor Vertragsabschluss muss der Zulieferer allerdings sämtliche Konstruktionsunterlagen offen legen. Das erwarten Hersteller wie Ford:
Militzer: "Wenn sie das nicht tun, sind sie aus dem Wettbewerb gleich draußen. Sie können sich nur schützen, indem sie ein Patent haben. Wenn sie ein Patent haben sind sie nicht der gewünschte Zulieferer, weil sie können nicht ausgetauscht werden weltweit."
Ein Patent schützt zwar davor, dass die Produkte kopiert werden. Patent-geschützte Produkte aber lassen sich – zumindest in der Autobranche – nur schwer verkaufen. Denn Austauschbarkeit ist Trumpf. Auch seine Kostenkalkulation muss der Zulieferer offenlegen.
Militzer: "Das sind die Bedingungen, unter denen wir heute arbeiten müssen, und die kommen im wesentlichen aus Amerika."
Der Vertrag, der schließlich mit Ford zustande kommt, läuft auf Euro-Basis. Der Euro aber wird im Laufe der Jahre immer stärker gegenüber dem Dollar.
Militzer: "Und als der Dollar 1,30 war kam man eben mit dem Ansinnen, wir sollten die Kosten um 30 Prozent senken. Ich wäre froh, wenn nur ein Bruchteil dessen bei deutschen Automobile-Zulieferern verdient werden würde, dem ist nicht so und deswegen konnten wir dem auch nicht entsprechen."
Mitec versucht trotzdem, Ford entgegen zu kommen. Macht Einsparungs-Vorschläge, die der Auto-Hersteller aber nicht akzeptiert. Zufällig stößt ein Mitec-Mitarbeiter dann auf eine verirrte E-Mail.
Militzer: "Ja, es war wohl ein Fehler von Ford. Ford hat – wie andere auch – ein internes Kommunikationssystem, das auch den Zulieferern zur Verfügung steht und hier hat man aus Japan eine Email in das System hineingeschickt, dass eben bedeutet, dass wir als Mitec "ressourced" werden sollen."
Sprich: Ersetzt werden. In Eisenach schrillen die Alarmglocken. Militzer fliegt in die USA, in die Ford-Zentrale. Will wissen, ob stimmt, was in der Mail steht. Bei Ford versucht man Militzer zu beruhigen, er solle sich keine Sorgen machen.
Militzer: "Wir sind davon ausgegangen, dass dort nicht die Wahrheit gesagt wurde, wir haben dann in Japan, in einem Ersatzteil-Shop unser Bauteil kaufen
wollen und siehe da, es war die erste Kopie, sodass man davon ausgehen muss, dass in Japan erstmalig kopiert wurde ..."
Eine exakte Kopie des Mitec-Balancers, sagt Militzer. Der Unternehmer schickt eine Mitarbeiterin ins Fordwerk nach Mexiko. Sie berichtet: Dort würden 58.000 nachgebaute Balancer gehortet. Im Frühjahr 2007 dann kommt das endgültige Aus. Ford ruft von heute auf morgen keine Balancer mehr ab. Für die Mitec bedeutet das: 35 Millionen Euro weniger Umsatz.
"Ein Entzug von 35 Millionen Umsatz, bei 155 Millionen – zu diesem Zeitpunkt – Gesamtumsatz ist eine Situation, wo man sich wundert, dass wir das überlebt haben und wenn wir nicht so viel Eigenkapital gehabt hätten, hätte uns das sicher zu diesem Zeitpunkt schon umgeworfen, nicht."
Militzer versucht "auf normalem Wege", wie er sagt, mit Ford einen Kompromiss zu schließen. Eine Entschädigung für den Umsatzverlust auszuhandeln. Vergeblich. So entschließt man sich zur Klage. Aus prozeßökonomischen Gründen klagt die Mitec zunächst auf einen Schaden von 500.000 Euro. Auch wenn Unternehmer Militzer den realen Verlust auf 20 Millionen Euro beziffert. Doch darum allein geht es ihm nicht:
Militzer: "Wenn sie mit Anstand alt werden wollen, privat wie im Geschäft, dann geht es darum, hier in Thüringen zumindest 1.000 Arbeitsplätze zu schützen und wenn die durch unsaubere Mittel angegriffen werden, dann gibt es normalerweise eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Wie man so schön sagt, den Schwanz einzuziehen und zu sagen, man könnte mit Sippenhaft bestraft werden, oder aber die anderen Kunden zu informieren, was wir getan haben, wir haben allen signalisiert, ob Daimler oder BMW, es geht ausschließlich gegen Ford ..."
Und dessen "amerikanische Methoden" wie Militzer es nennt. Ob die anderen Automobil-Hersteller das verstehen, bleibt abzuwarten. Militzer zündet sich noch eine Zigarette an. Äußerlich wirkt er völlig ruhig.
Militzer: "Es ist immer ein Risiko dabei, wenn sie so etwas tun, das ist klar, aber – ich wiederhole mich – es geht hier um den Standort Eisenach und wir sind ein recht großer Zulieferer in Ostdeutschland und wir lassen uns auf diese unsauberen Mittel unsere Firma nicht zerschießen."
Für Militzer steht fest: So kann es nicht weiter gehen. Er fordert faire Preise, das Teilen von Risiken und mittelfrisitge Perspektiven, statt Quartals-Entscheidungen. Und das ausgerechnet in Krisen-Zeiten. "Ich gelte als naiv, das einzufordern" sagt der Unternehmer. Und kann doch nicht anders:
Militzer: "Denn hier sind alle Dämme gebrochen und man sollte vielleicht auch die Krise oder gerade die Krise ausnutzen, um vielleicht wieder zu faireren und vernünftigeren Automobil-Zulieferer-Beziehungen zu kommen."
Weiteres Thema:
Situation der thüringischen Automobilhersteller
Von Ulrike Greim
Zittern bei den Automobilherstellern, großes Zittern bei denen, die von ihnen abhängen: Automobilzulieferer. Das ist die Momentaufnahme in der Autoindustrie. Es häufen sich in den letzten Tagen die Meldungen über die ersten Insolvenzen. Weitere stehen zu befürchten. Denn gerade die kleinen und mittelständischen Betriebe sind den großen Wellenbewegungen der Wirtschaft ausgeliefert. Ulrike Greim berichtet über Zorn, Sorge und Hoffnung in der Thüringer Automobilzulieferindustrie.
"Die Frau Merkel hat mal gesagt, dass wir das Herz der deutschen Wirtschaft seien. Wenn das nicht mehr schlägt, wird es sicher schwierig werden."
Michael Militzer sitzt im Präsidium der Mitgliederversammlung der Thüringer Automobilzulieferer. Ihr Zusammenschluss, der automotive Thüringen, ist eine Interessenvertretung von kleinen und mittelständischen Betrieben, die für die großen Automobilwerke arbeiten. Es geht um 13.000 Beschäftigte.
"Wir sitzen unverschuldet auf Fixkosten, wir bauen Eigenkapital ab, schwächen uns und verschulden uns zunehmend bis zu einer Grenze, wo die Banken nicht mehr mitspielen."
Militzer, Chef einer Eisenacher Firma für Antriebstechnik, Mitec, fasst vor seinen Kollegen die aktuelle Situation zusammen. Es ist still im Saal. Die Herren in den dunklen Anzügen, einige wenige Frauen sind dabei, hören in großer Betroffenheit zu. Sie, die kleinen Zulieferer, produzieren zwar mittlerweile 70 bis 80 Prozent der Teile eines Autos, aber sie sitzen am kürzeren Hebel. Die großen Automobilhersteller, die als OEM's bezeichnet werden, diktieren ihnen - gewollt oder ungewollt - die Situation.
"Die Risiken sind nicht mehr bei den OEM's, die sind ausschließlich bei uns. Und man nennt sie uns Marktrisiken. Aber die Bedingungen, unter denen wir uns zu finanzieren haben, das Risiko, das wir zu tragen haben, wird hier in keinster Weise berücksichtigt."
Die Automobilzulieferbranche in Thüringen verzeichnet Umsatzrückgänge von null bis zu 50 Prozent - je nach Betrieb, je nach Angebotspalette. Die Betriebschefs sagen: was sollen wir tun: unsere Technologie stimmt, die Strategie stimmt, die Entwicklung stimmt, aber die ganze Geschichte gerät in Schieflage. Die OEM's vergeben Aufträge, stornieren sie aber urplötzlich wieder. Da ist aber das Material ist schon geordert und liegt nun im Lager, bezahlt. Die Atmosphäre im Saal des automotive ist angespannt. So schwer und so risikoreich war es noch nie, heißt es. Der Aufbau Ost sei in Gefahr.
Das Mikro wird frei gegeben. Es melden sich gestandene Unternehmer. Die einen etwas ängstlich, sie wollen nicht so laut klagen, wollen ihre Auftraggeber nicht verstimmen. Andere sind ebenfalls zornig. Beispiel: die Eisenacher Firma Truck-Lite, sie produziert Automobilleuchten. Geschäftsführer Stephan Pfingsten klagt über Preisdrückerei:
"Es kommt häufig vor: man hat vertragliche Absprachen, die mit sehr spitzem Stift kalkuliert sind, das heißt: für uns ist die Marge ohnehin schon sehr gering. Über mehrere Jahre wird das kalkuliert. Und dann passiert es ihnen, dass in die Laufzeit der Projekte hinein die Kunden dann sagen: ja, es tut uns leid, wenn sie nicht noch mal zehn Prozent mit dem Preis runter gehen, dann werden wir gucken, ob wir nicht im Weltmarkt jemanden finden, der es billiger machen kann."
Mit Preisen in Fernost oder Ost-Mitteleuropa können die Fachkräfte in Eisenach - trotz zehn des prozentigen Ost-Abschlags nicht mithalten. Dazu komme, dass die Banken spitze Finger bekommen. Eigentlich, so sagt es der Unternehmer wäre kürzlich die Verlängerung eines Kredites eine Formalie gewesen. Aber:
"Man sagt uns durch die Hintertür: nein, wir werden euch diesen Kredit nicht verlängern, und man sagt uns zwischen den Zeilen relativ deutlich, dass es einzig und allein mit unserer Zugehörigkeit zu dieser Industrie zu tun hat. Also die Automobilindustrie wird von den Banken sehr skeptisch gesehen."
Von den Banken, die nun von Steuergeldern gestützt werden. Steuern, die sie als Firma erwirtschaften. Hier stehe Vieles auf dem Kopf. Die Interessenvereinigung überlegt laut, ob es angesichts dieser vielen Risiken, in die die Unternehmen unverschuldet geraten, sich nicht das Land zum Beispiel an den Firmen beteiligen könnte, zumindest zeitweise. Es bleibt ein Denkanstoß.
Eine Stunde später stehen die Mitglieder des automotive in einer Präsentationshalle der Messe Erfurt. Es ist die interne Eröffnung der Automesse. Mitten zwischen den neuen Modellen der großen Marken steht eine Bühne, grell beleuchtet. Ein Moderator, der offensichtlich für seine gute Laune bezahlt wird, hofiert Händler, Autofirmen, Hersteller. Ein Acapella-Quartett besingt die Route 66.
Aber nach Feiern ist vielen der Anwesenden nicht. Die Show, die hier abläuft, wirkt fast deplaziert. Dabei sind die Redner durchaus geteilter Meinung, ob dies nun eine Konjunkturdelle ist, oder der Anfang vom Ende. Hier: Thüringens Wirtschaftsminister Jürgen Reinholz:
"Wenn der Bundesminister Glos sagt, wir werden in diesem Jahr in Minuswachstum von 2,25 Prozent haben, dann mag das sicher auf den Durchschnitt Deutschlands zutreffen, für Thüringen gehe ich davon nicht in dieser Größenordnung aus. Da steh ich auch weiter dazu. Und ich denke, dass die breite Aufstellung der Branchen in Thüringen da mir auch recht geben wird."
Allerdings: Die Automobilzulieferer sind der größte Industriezweig, stärker als das Ernährungsgewerbe, das bis vor kurzem noch die Nummer eins im Freistaat Thüringen war. Mittlerweile holen die Produzenten von Gelenkwellen, Innenraumleuchten, Antriebsmotoren das meiste Geld in die Kassen. 3,6 Milliarden Euro Umsatz in 2007, das ist ein Plus von 20 Prozent. Doch der Boom ist rückläufig, das weiß auch der Wirtschaftsminister.
"Wir haben ein eigenes Hilfspaket in Thüringen geschnürt mit rund 700 Millionen Euro im Pott, und ich denke, dass das Geld gut angelegt ist um über diese Konjunkturschwäche hinweg zu kommen."
Natürlich, grummeln die Zulieferer, die Verlängerung des Kurzarbeitgeldes auf 18 Monate, die Beihilfen für Qualifizierung, die helfen schon. Aber Zinsverbilligungsprogramme helfen eher den Banken, sagen die Unternehmer, und Investitionshilfen nützen nur denen, die investieren wollen, aber wer wolle das derzeit schon?
Ein nächster Redner kommt vom prominentesten Automobilhersteller in Thüringen. Volker Brien, Marketingdirektor der Adam Opel AG, hebt die Rolle des Eisenacher Werkes für Region hervor. Aus gutem Grund: Um die 1700 Beschäftigten des Werkes strickt sich ein enges Netz von Zulieferern. Die haben mit Bangen die Kurzarbeits-Phasen im letzten Jahr und Anfang dieses Jahres beobachtet. Für Februar sind wieder zehn Tage vorgesehen, in denen die Bänder still stehen. Doch hier, zur Automesse, kein Wort davon. Im Gegenteil: Optimismus. Dank Abwrackprämie. Denn davon profitierten die Kleinwagen, sagt der Opel-Mann.
"Ich saß gestern mit unseren Händlern zusammen und ich kann ihnen sagen: die Stimmung in unserer Händlerschaft ist so gut, wie sie es seit Jahren nicht mehr war. Die Schauräume sind voll, Aufträge werden geschrieben, und eine kleine Sonderkonjunktur für die Automobilindustrie scheint über die Umweltprämie in Gang zu kommen."
Er prognostiziert, dass im Eisenacher Werk, in dem der Corsa gebaut wird, zusätzliche Produktionen eingeplant werden können, wenn der Motor der Automobilindustrie wieder angesprungen ist. Dennoch: die Autoindustrie dürfe nicht auf die Politik warten.
"Wir können und in der Zukunft sicher nicht auf die Politik verlassen, wenn es darum geht, Absatzsteigerungen oder die Ankurbelung der Nachfrage zu verbessern. Die Automobilindustrie selbst - wir müssen die Zukunft gestalten. Und wir müssen neue Fahrzeuge und neue Produkte auf den Markt bringen, um Kunden zum Kauf zu bewegen."
Innovative Produkte können und müssen dabei natürlich auch von den Zulieferern kommen. Es geht also um Kooperation. Es geht um einen neuen Impuls im festgefahrenen Dialog. Überhaupt müsse wieder mehr geredet werden - offen und ehrlich, sagt auch der Eisenacher Unternehmer Stephan Pfingsten. Denn die Krise zeige, dass die bisherige Art des Umgangs in die Sackgasse geführt habe. Die Probleme seien einfach zu grundsätzlich geworden.
"Ich glaube nur, dass sich die Probleme nicht auf die Wirtschaft beschränken, also auch nicht auf die Automobilindustrie. Genauso, wie das Ganze keine Finanzkrise ist. Sondern ich glaube, das ist eine Krise unseres westlichen Wertesystems, wo es in den letzten Jahren - wir alle, ich nehme mich da nicht aus - drauf gedrillt werden 'erstmal Ego', erstmal ich selbst, wie komme ich selbst am besten weiter."
Die Krise könne aber, so hofft der Unternehmer, einen Umschwung bewirken. Zurück zu den alten Werten, wie sozialer Verantwortung, wie Respekt und Verlässlichkeit.
Unternehmensethik ist gefragt. Unternehmer statt Manager, und Bankiers, statt Banker.
Die Thüringer Zulieferer wissen noch nicht, ob die Krise zu meistern ist. Und wie viel Staat hier wirklich sinnvoll wäre. Thüringens Wirtschaftsminister Jürgen Reinholz bleibt optimistisch. Die großen Gewinne der vergangenen Jahre lassen sich fortsetzen, sagt er, wenn wir jetzt nicht alles schlecht reden.
"70 Prozent des wirtschaftlichen Erfolges ist und bleibt nun mal Psychologie. Und ich bitte sie einfach: packen sie an, dann wird es uns auch gelingen Deutschland und Thüringen auf den Stand zu bringen, den wir Mitte 2008 gehabt haben. Herzlichen Dank!"
Werksleiter Thomas Fischer eilt durch die moderne Produktionshalle. Vorbei an riesigen Fertigungsmaschinen, die durch schmale Fließbänder verbunden sind. Vollautomatisch fahren hier die Bauteile von Maschine zu Maschine.
"Man muss sich das vorstellen, wie eine Modelleisenbahn und viele Waggons, die aneinander hängen, und im Prinzip da über die Linie fahren und jetzt ist kaum etwas los, da fährt mal eine Lok vorbei und dann war’s das."
Die Mitec AG, ein mittelständischer Automobilzulieferer im thüringischen Eisenach, spürt – genau wie der Rest der Branche – derzeit den Nachfrage-Einbruch. Dabei gibt es kaum ein Auto unter dessen Motorhaube sich nicht eines der von Mitec hergestellten Produkte - sogenannte "Massenausgleichssysteme" - befindet. Das technisch komplizierte System – auch "Balancer" genannt – gleicht Motor-Vibrationen und -Geräusche aus und sorgt dafür, dass kleine Motoren genauso ruhig laufen wie größere.
"Wir beliefern BMW, wir beliefern den Daimler, wir beliefern Volkswagen, die Volkswagen-Gruppe. Wir beliefern alle nahmenhaften OEMs, bis auf Ford."
Von dem Auto-Hersteller Ford werde er keinen einzigen Auftrag mehr annehmen, hatte Mitec-Chef Dr. Michael Militzer jüngst verkündet. Und Klage gegen die Ford Motor Company, mit Sitz in Michigan, USA, eingereicht: Auf Vertragsbruch. Ein kleiner thüringischer Zulieferer zerrt einen US-Weltkonzern vor Gericht - das sorgt in der Branche für Aufsehen.
Der Mechatroniker Frank Wolf arbeitet seit sieben Jahren bei der Mitec Enginetec, in der Maschinen-Instandhaltung. Er erinnert sich noch genau an den Jahresbeginn 2007.
Wolf: "Von einem Tag auf den anderen wurde die Produktion eingestellt für die Firma Ford, obwohl wir bis dahin Qualität abgliefert haben, wir haben einen Preis von Ford bekommen, den Q1 und von daher konnte ich das eigentlich nicht nachvollziehen, dass auf einmal dieses qualitativ hohe Produkt nicht mehr gefordert wird von Ford."
450.000 "Balancer" hatte die Mitec Enginetec bis dahin Jahr für Jahr für Ford produziert. Doch plötzlich war damit Schluss. Ford forderte keine "Balancer" mehr ab. Die Maschinen in dem eigens erbauten, super-modernen Werk standen still. Mechatroniker Wolf schüttelt den Kopf.
Wolf: "Und gedacht habe ich, ganz ehrlich, da geht’s bestimmt ums Geld, weil damals - wie auch jetzt die Gründe auch rauskommen – war der Euro auch hoch im Vergleich zum Dollar, und da konnte man wirklich eins und eins zusammenzählen, dass es wirklich ums Geld ging."
Im ersten Stock des Fertigungsgebäudes sitzt Dr. Michael Milizer an seinem Schreibtisch und druckt die akutellen Wirtschaftsmeldungen aus. Der 60jährige Mitec-Chef hat zum Kampf David gegen Goliath geblasen:
"Ich habe sehr viel positive Zuschriften bekommen bezüglich unserer Klage gegen Ford. Und es hat auch Anrufe im Einkauf gegeben, man würde die Firma Mitec gerne beliefern. Das sind also Reaktionen, die ich nicht erwartet hätte ..."
Militzer bittet ins Besprechungszimmer. Am Treppenaufgang hängen Urkunden, verliehen von großen Automobil-Herstellern.
"Das sind Quality-Preise von der Firma Mazda. Dann haben wir vor zwei Jahren den Powertrain-World-Award gewonnen, für Qualität, als einziger weltweit ... Ist sehr hübsch, dass man so etwas bekommt ..."
Doch solche Auszeichnungen können nicht darüber hinwegtäuschen: Die Zulieferer-Branche ist ein beinhartes Geschäft. Ein Geschäft, indem sich die Mitec AG über Jahre behauptet hat. Anfang der 90er übernahm Militzer das ehemalige Wartburg-Werk in Eisenach. Investierte seitdem rund 250 Millionen Euro und schuf fast 1.000 Arbeitsplätze. Das kleine ostdeutsche Unternehmen Mitec anvancierte zum Weltmarktführer bei Massenausgleichssystemen. Ford beeindruckte das offenbar wenig:
Militzer: "Wie ein amerikanischer Konzern einen Zulieferer, der hier eine Fabrik gebaut hat für ihn, der jahrelang positiv geliefert hat, nur aufgrund des nicht hedgen wollens des Dollars oder der vielleicht katastrophalen eigenen Situation solche Maßnahmen ergreift, das ist beispiellos und das darf nicht Schule machen."
Militzer zündet sich eine Zigarette an. Und erinnert sich, wie der Vertrag mit Firma Ford zustande kam:
"Ford war eigentlich einige Jahre zurück und Ford hat wohl erkannt, dass der Trend in diese Richtung geht und hat dann versucht in einen bereits designten Motor diese Technologie noch zu implementieren ..."
450.000 Balancer jährlich soll Mitec liefern. 300.000 an Ford-Mexiko und 150.000 an Mazda in Japan. Ford ist damals mit 30 Prozent an dem japanischen Autohersteller beteiligt. Um diesen und andere Aufträge erfüllen zu können, baut die Mitec AG ab März 2001 das neue Werk in Krauthausen bei Eisenach. Investiert 35 Millionen Euro. Vor Vertragsabschluss muss der Zulieferer allerdings sämtliche Konstruktionsunterlagen offen legen. Das erwarten Hersteller wie Ford:
Militzer: "Wenn sie das nicht tun, sind sie aus dem Wettbewerb gleich draußen. Sie können sich nur schützen, indem sie ein Patent haben. Wenn sie ein Patent haben sind sie nicht der gewünschte Zulieferer, weil sie können nicht ausgetauscht werden weltweit."
Ein Patent schützt zwar davor, dass die Produkte kopiert werden. Patent-geschützte Produkte aber lassen sich – zumindest in der Autobranche – nur schwer verkaufen. Denn Austauschbarkeit ist Trumpf. Auch seine Kostenkalkulation muss der Zulieferer offenlegen.
Militzer: "Das sind die Bedingungen, unter denen wir heute arbeiten müssen, und die kommen im wesentlichen aus Amerika."
Der Vertrag, der schließlich mit Ford zustande kommt, läuft auf Euro-Basis. Der Euro aber wird im Laufe der Jahre immer stärker gegenüber dem Dollar.
Militzer: "Und als der Dollar 1,30 war kam man eben mit dem Ansinnen, wir sollten die Kosten um 30 Prozent senken. Ich wäre froh, wenn nur ein Bruchteil dessen bei deutschen Automobile-Zulieferern verdient werden würde, dem ist nicht so und deswegen konnten wir dem auch nicht entsprechen."
Mitec versucht trotzdem, Ford entgegen zu kommen. Macht Einsparungs-Vorschläge, die der Auto-Hersteller aber nicht akzeptiert. Zufällig stößt ein Mitec-Mitarbeiter dann auf eine verirrte E-Mail.
Militzer: "Ja, es war wohl ein Fehler von Ford. Ford hat – wie andere auch – ein internes Kommunikationssystem, das auch den Zulieferern zur Verfügung steht und hier hat man aus Japan eine Email in das System hineingeschickt, dass eben bedeutet, dass wir als Mitec "ressourced" werden sollen."
Sprich: Ersetzt werden. In Eisenach schrillen die Alarmglocken. Militzer fliegt in die USA, in die Ford-Zentrale. Will wissen, ob stimmt, was in der Mail steht. Bei Ford versucht man Militzer zu beruhigen, er solle sich keine Sorgen machen.
Militzer: "Wir sind davon ausgegangen, dass dort nicht die Wahrheit gesagt wurde, wir haben dann in Japan, in einem Ersatzteil-Shop unser Bauteil kaufen
wollen und siehe da, es war die erste Kopie, sodass man davon ausgehen muss, dass in Japan erstmalig kopiert wurde ..."
Eine exakte Kopie des Mitec-Balancers, sagt Militzer. Der Unternehmer schickt eine Mitarbeiterin ins Fordwerk nach Mexiko. Sie berichtet: Dort würden 58.000 nachgebaute Balancer gehortet. Im Frühjahr 2007 dann kommt das endgültige Aus. Ford ruft von heute auf morgen keine Balancer mehr ab. Für die Mitec bedeutet das: 35 Millionen Euro weniger Umsatz.
"Ein Entzug von 35 Millionen Umsatz, bei 155 Millionen – zu diesem Zeitpunkt – Gesamtumsatz ist eine Situation, wo man sich wundert, dass wir das überlebt haben und wenn wir nicht so viel Eigenkapital gehabt hätten, hätte uns das sicher zu diesem Zeitpunkt schon umgeworfen, nicht."
Militzer versucht "auf normalem Wege", wie er sagt, mit Ford einen Kompromiss zu schließen. Eine Entschädigung für den Umsatzverlust auszuhandeln. Vergeblich. So entschließt man sich zur Klage. Aus prozeßökonomischen Gründen klagt die Mitec zunächst auf einen Schaden von 500.000 Euro. Auch wenn Unternehmer Militzer den realen Verlust auf 20 Millionen Euro beziffert. Doch darum allein geht es ihm nicht:
Militzer: "Wenn sie mit Anstand alt werden wollen, privat wie im Geschäft, dann geht es darum, hier in Thüringen zumindest 1.000 Arbeitsplätze zu schützen und wenn die durch unsaubere Mittel angegriffen werden, dann gibt es normalerweise eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Wie man so schön sagt, den Schwanz einzuziehen und zu sagen, man könnte mit Sippenhaft bestraft werden, oder aber die anderen Kunden zu informieren, was wir getan haben, wir haben allen signalisiert, ob Daimler oder BMW, es geht ausschließlich gegen Ford ..."
Und dessen "amerikanische Methoden" wie Militzer es nennt. Ob die anderen Automobil-Hersteller das verstehen, bleibt abzuwarten. Militzer zündet sich noch eine Zigarette an. Äußerlich wirkt er völlig ruhig.
Militzer: "Es ist immer ein Risiko dabei, wenn sie so etwas tun, das ist klar, aber – ich wiederhole mich – es geht hier um den Standort Eisenach und wir sind ein recht großer Zulieferer in Ostdeutschland und wir lassen uns auf diese unsauberen Mittel unsere Firma nicht zerschießen."
Für Militzer steht fest: So kann es nicht weiter gehen. Er fordert faire Preise, das Teilen von Risiken und mittelfrisitge Perspektiven, statt Quartals-Entscheidungen. Und das ausgerechnet in Krisen-Zeiten. "Ich gelte als naiv, das einzufordern" sagt der Unternehmer. Und kann doch nicht anders:
Militzer: "Denn hier sind alle Dämme gebrochen und man sollte vielleicht auch die Krise oder gerade die Krise ausnutzen, um vielleicht wieder zu faireren und vernünftigeren Automobil-Zulieferer-Beziehungen zu kommen."
Weiteres Thema:
Situation der thüringischen Automobilhersteller
Von Ulrike Greim
Zittern bei den Automobilherstellern, großes Zittern bei denen, die von ihnen abhängen: Automobilzulieferer. Das ist die Momentaufnahme in der Autoindustrie. Es häufen sich in den letzten Tagen die Meldungen über die ersten Insolvenzen. Weitere stehen zu befürchten. Denn gerade die kleinen und mittelständischen Betriebe sind den großen Wellenbewegungen der Wirtschaft ausgeliefert. Ulrike Greim berichtet über Zorn, Sorge und Hoffnung in der Thüringer Automobilzulieferindustrie.
"Die Frau Merkel hat mal gesagt, dass wir das Herz der deutschen Wirtschaft seien. Wenn das nicht mehr schlägt, wird es sicher schwierig werden."
Michael Militzer sitzt im Präsidium der Mitgliederversammlung der Thüringer Automobilzulieferer. Ihr Zusammenschluss, der automotive Thüringen, ist eine Interessenvertretung von kleinen und mittelständischen Betrieben, die für die großen Automobilwerke arbeiten. Es geht um 13.000 Beschäftigte.
"Wir sitzen unverschuldet auf Fixkosten, wir bauen Eigenkapital ab, schwächen uns und verschulden uns zunehmend bis zu einer Grenze, wo die Banken nicht mehr mitspielen."
Militzer, Chef einer Eisenacher Firma für Antriebstechnik, Mitec, fasst vor seinen Kollegen die aktuelle Situation zusammen. Es ist still im Saal. Die Herren in den dunklen Anzügen, einige wenige Frauen sind dabei, hören in großer Betroffenheit zu. Sie, die kleinen Zulieferer, produzieren zwar mittlerweile 70 bis 80 Prozent der Teile eines Autos, aber sie sitzen am kürzeren Hebel. Die großen Automobilhersteller, die als OEM's bezeichnet werden, diktieren ihnen - gewollt oder ungewollt - die Situation.
"Die Risiken sind nicht mehr bei den OEM's, die sind ausschließlich bei uns. Und man nennt sie uns Marktrisiken. Aber die Bedingungen, unter denen wir uns zu finanzieren haben, das Risiko, das wir zu tragen haben, wird hier in keinster Weise berücksichtigt."
Die Automobilzulieferbranche in Thüringen verzeichnet Umsatzrückgänge von null bis zu 50 Prozent - je nach Betrieb, je nach Angebotspalette. Die Betriebschefs sagen: was sollen wir tun: unsere Technologie stimmt, die Strategie stimmt, die Entwicklung stimmt, aber die ganze Geschichte gerät in Schieflage. Die OEM's vergeben Aufträge, stornieren sie aber urplötzlich wieder. Da ist aber das Material ist schon geordert und liegt nun im Lager, bezahlt. Die Atmosphäre im Saal des automotive ist angespannt. So schwer und so risikoreich war es noch nie, heißt es. Der Aufbau Ost sei in Gefahr.
Das Mikro wird frei gegeben. Es melden sich gestandene Unternehmer. Die einen etwas ängstlich, sie wollen nicht so laut klagen, wollen ihre Auftraggeber nicht verstimmen. Andere sind ebenfalls zornig. Beispiel: die Eisenacher Firma Truck-Lite, sie produziert Automobilleuchten. Geschäftsführer Stephan Pfingsten klagt über Preisdrückerei:
"Es kommt häufig vor: man hat vertragliche Absprachen, die mit sehr spitzem Stift kalkuliert sind, das heißt: für uns ist die Marge ohnehin schon sehr gering. Über mehrere Jahre wird das kalkuliert. Und dann passiert es ihnen, dass in die Laufzeit der Projekte hinein die Kunden dann sagen: ja, es tut uns leid, wenn sie nicht noch mal zehn Prozent mit dem Preis runter gehen, dann werden wir gucken, ob wir nicht im Weltmarkt jemanden finden, der es billiger machen kann."
Mit Preisen in Fernost oder Ost-Mitteleuropa können die Fachkräfte in Eisenach - trotz zehn des prozentigen Ost-Abschlags nicht mithalten. Dazu komme, dass die Banken spitze Finger bekommen. Eigentlich, so sagt es der Unternehmer wäre kürzlich die Verlängerung eines Kredites eine Formalie gewesen. Aber:
"Man sagt uns durch die Hintertür: nein, wir werden euch diesen Kredit nicht verlängern, und man sagt uns zwischen den Zeilen relativ deutlich, dass es einzig und allein mit unserer Zugehörigkeit zu dieser Industrie zu tun hat. Also die Automobilindustrie wird von den Banken sehr skeptisch gesehen."
Von den Banken, die nun von Steuergeldern gestützt werden. Steuern, die sie als Firma erwirtschaften. Hier stehe Vieles auf dem Kopf. Die Interessenvereinigung überlegt laut, ob es angesichts dieser vielen Risiken, in die die Unternehmen unverschuldet geraten, sich nicht das Land zum Beispiel an den Firmen beteiligen könnte, zumindest zeitweise. Es bleibt ein Denkanstoß.
Eine Stunde später stehen die Mitglieder des automotive in einer Präsentationshalle der Messe Erfurt. Es ist die interne Eröffnung der Automesse. Mitten zwischen den neuen Modellen der großen Marken steht eine Bühne, grell beleuchtet. Ein Moderator, der offensichtlich für seine gute Laune bezahlt wird, hofiert Händler, Autofirmen, Hersteller. Ein Acapella-Quartett besingt die Route 66.
Aber nach Feiern ist vielen der Anwesenden nicht. Die Show, die hier abläuft, wirkt fast deplaziert. Dabei sind die Redner durchaus geteilter Meinung, ob dies nun eine Konjunkturdelle ist, oder der Anfang vom Ende. Hier: Thüringens Wirtschaftsminister Jürgen Reinholz:
"Wenn der Bundesminister Glos sagt, wir werden in diesem Jahr in Minuswachstum von 2,25 Prozent haben, dann mag das sicher auf den Durchschnitt Deutschlands zutreffen, für Thüringen gehe ich davon nicht in dieser Größenordnung aus. Da steh ich auch weiter dazu. Und ich denke, dass die breite Aufstellung der Branchen in Thüringen da mir auch recht geben wird."
Allerdings: Die Automobilzulieferer sind der größte Industriezweig, stärker als das Ernährungsgewerbe, das bis vor kurzem noch die Nummer eins im Freistaat Thüringen war. Mittlerweile holen die Produzenten von Gelenkwellen, Innenraumleuchten, Antriebsmotoren das meiste Geld in die Kassen. 3,6 Milliarden Euro Umsatz in 2007, das ist ein Plus von 20 Prozent. Doch der Boom ist rückläufig, das weiß auch der Wirtschaftsminister.
"Wir haben ein eigenes Hilfspaket in Thüringen geschnürt mit rund 700 Millionen Euro im Pott, und ich denke, dass das Geld gut angelegt ist um über diese Konjunkturschwäche hinweg zu kommen."
Natürlich, grummeln die Zulieferer, die Verlängerung des Kurzarbeitgeldes auf 18 Monate, die Beihilfen für Qualifizierung, die helfen schon. Aber Zinsverbilligungsprogramme helfen eher den Banken, sagen die Unternehmer, und Investitionshilfen nützen nur denen, die investieren wollen, aber wer wolle das derzeit schon?
Ein nächster Redner kommt vom prominentesten Automobilhersteller in Thüringen. Volker Brien, Marketingdirektor der Adam Opel AG, hebt die Rolle des Eisenacher Werkes für Region hervor. Aus gutem Grund: Um die 1700 Beschäftigten des Werkes strickt sich ein enges Netz von Zulieferern. Die haben mit Bangen die Kurzarbeits-Phasen im letzten Jahr und Anfang dieses Jahres beobachtet. Für Februar sind wieder zehn Tage vorgesehen, in denen die Bänder still stehen. Doch hier, zur Automesse, kein Wort davon. Im Gegenteil: Optimismus. Dank Abwrackprämie. Denn davon profitierten die Kleinwagen, sagt der Opel-Mann.
"Ich saß gestern mit unseren Händlern zusammen und ich kann ihnen sagen: die Stimmung in unserer Händlerschaft ist so gut, wie sie es seit Jahren nicht mehr war. Die Schauräume sind voll, Aufträge werden geschrieben, und eine kleine Sonderkonjunktur für die Automobilindustrie scheint über die Umweltprämie in Gang zu kommen."
Er prognostiziert, dass im Eisenacher Werk, in dem der Corsa gebaut wird, zusätzliche Produktionen eingeplant werden können, wenn der Motor der Automobilindustrie wieder angesprungen ist. Dennoch: die Autoindustrie dürfe nicht auf die Politik warten.
"Wir können und in der Zukunft sicher nicht auf die Politik verlassen, wenn es darum geht, Absatzsteigerungen oder die Ankurbelung der Nachfrage zu verbessern. Die Automobilindustrie selbst - wir müssen die Zukunft gestalten. Und wir müssen neue Fahrzeuge und neue Produkte auf den Markt bringen, um Kunden zum Kauf zu bewegen."
Innovative Produkte können und müssen dabei natürlich auch von den Zulieferern kommen. Es geht also um Kooperation. Es geht um einen neuen Impuls im festgefahrenen Dialog. Überhaupt müsse wieder mehr geredet werden - offen und ehrlich, sagt auch der Eisenacher Unternehmer Stephan Pfingsten. Denn die Krise zeige, dass die bisherige Art des Umgangs in die Sackgasse geführt habe. Die Probleme seien einfach zu grundsätzlich geworden.
"Ich glaube nur, dass sich die Probleme nicht auf die Wirtschaft beschränken, also auch nicht auf die Automobilindustrie. Genauso, wie das Ganze keine Finanzkrise ist. Sondern ich glaube, das ist eine Krise unseres westlichen Wertesystems, wo es in den letzten Jahren - wir alle, ich nehme mich da nicht aus - drauf gedrillt werden 'erstmal Ego', erstmal ich selbst, wie komme ich selbst am besten weiter."
Die Krise könne aber, so hofft der Unternehmer, einen Umschwung bewirken. Zurück zu den alten Werten, wie sozialer Verantwortung, wie Respekt und Verlässlichkeit.
Unternehmensethik ist gefragt. Unternehmer statt Manager, und Bankiers, statt Banker.
Die Thüringer Zulieferer wissen noch nicht, ob die Krise zu meistern ist. Und wie viel Staat hier wirklich sinnvoll wäre. Thüringens Wirtschaftsminister Jürgen Reinholz bleibt optimistisch. Die großen Gewinne der vergangenen Jahre lassen sich fortsetzen, sagt er, wenn wir jetzt nicht alles schlecht reden.
"70 Prozent des wirtschaftlichen Erfolges ist und bleibt nun mal Psychologie. Und ich bitte sie einfach: packen sie an, dann wird es uns auch gelingen Deutschland und Thüringen auf den Stand zu bringen, den wir Mitte 2008 gehabt haben. Herzlichen Dank!"