David Bezmozgis: Natascha.

Interessante, ja dramatische Familienzusammenhänge garantieren noch nicht automatisch gute Bücher: Die Gefahr des Auswalzens, sprich der leserermüdenden Detailschwelgerei, besteht hier ebenso wie jene der allzu flotten Anekdotenseligkeit à la "Wie das Leben halt so spielt". David Bezmozgis' literarisches Debüt "Natascha" vermeidet diese Sackgassen jedoch mit geradezu traumwandlerischer Sicherheit.
Geboren 1973 im damals noch sowjetischen Lettland, emigrierte Bezmozgis mit seinen Eltern Anfang der achtziger Jahre nach Toronto, wo er heute noch lebt und arbeitet; sein Erzählungsband wurde nicht nur in Kanada zum Bestseller, sondern fand auch bereits das Lob eines prominenten Kollegen: "Ein Debüt, das sich liest wie das Werk eines großen Meisters", konstatierte kein Geringerer als T. C. Boyle, ein Romancier, der nicht gerade für unverbindliche Nettigkeiten bekannt ist.

In der Tat schafft David Bezmozgis auf knapp 200 Seiten genau das, wofür Josef Skvorecky, ein anderer, allerdings bereits seit 1969 in Toronto lebender Emigrant, in "Der Seeleningenieur" mehr als dreimal soviel Platz brauchte: In beiden Fällen geht es, vereinfacht gesagt, um die Symbiose zwischen östlicher Tiefenerfahrung und westlicher Leichtigkeit - inklusive der Erfahrung, dass eben dieses leichtere Leben weder mit Oberflächlichkeit noch mit paradiesischen Zuständen verwechselt werden sollte. Es geht jedenfalls hoch her in der lettisch-jüdischen Familie des jungen Ich-Erzählers Mark Berman: Da sucht der Vater eine berufliche Zukunft als Masseur, während die Mutter unkt und diverse Onkel und Tanten ebenfalls ihren Senf dazu geben, bis in der Titel gebenden Gestalt der Cousine Natascha auch noch die Liebe ihren Auftritt hat.

Also doch ein fröhliches Mischpochen-Gewusel wie bei Wladimir Kaminer? Ja und nein. Auch Bezmozgis ist ein gutgelaunter Menschenbeobachter und der Situationskomik keineswegs abgeneigt, und doch ist seine Ironie niemals erkauft mit einer heute mehr denn je populären Verharmlosung des sowjetischen Totalitarismus. Nein, die Familie hatte durchaus gute Gründe, jenem Körper und Seelen zerstörendem System den Rücken zu kehren - eine Einsicht, die Mark Berman übrigens gerade dann mit logischer Unabweisbarkeit kommt, als er und sein Vater zufällig in Toronto auf einen KGB-Funktionär stoßen, der während eines Auslandswettbewerbs sowjetischen Gewichthebern als Bewacher zugeteilt ist. Dabei ist der Mann keineswegs ein kaltes Monster, sondern von geradezu schmierigem Paternalismus. "Merk dir das immer", sagt Vater Berman nach dieser Begegnung,"Aus dem Grund sind wir weggegangen. Damit du nie darauf angewiesen bist, Leute wie den zu kennen." Was Mark stattdessen in dieser und den folgenden Geschichten kennen lernt, ist das widersprüchliche Tohuwabohu einer freien Gesellschaft - zu seinem Erkenntnisgewinn und zum Vergnügen des Lesers.

David Bezmozgis: Natascha. Stories. Deutsch von Silvia Morawetz.
Kiuepenheuer & Witsch, Köln 2005, 187 S., 17, 20 Euro