Dauerbrenner im Nachkriegskino

Claudia Dillmann im Gespräch mit Susanne Führer · 15.01.2013
Erst mit Verspätung kam "Vom Winde verweht" heute vor 60 Jahren zur deutschen Uraufführung. Doch er hatte großen Erfolg, in manchen Kinos lief er zweieinhalb Jahre am Stück. "Das Publikum liebte ihn, die Leute standen Schlange, sie fuhren mit Bussen zum Kino", sagt Claudia Dillmann, Direktorin des Frankfurter Filmmuseums.
Susanne Führer: Dass der Film "Vom Winde verweht" ein Erfolg werden würde, damit hatte man gerechnet, schließlich handelte es sich um die Verfilmung des Romans "Gone with the Wind" von Margaret Mitchell, einem Pulitzer-preisgekrönten Bestseller. Aber wohl niemand hatte damit gerechnet, dass "Vom Winde verweht" insgesamt zehn Oskars gewinnen und inflationsbereinigt bis heute das kommerziell erfolgreichste Werk der Filmgeschichte würde. Bernd Sobolla schildert die Story des Films.

Weltpremiere hatte er 1939 in den USA, aber erst am 15. Januar 1953, also heute vor 60 Jahren, wurde er zum ersten Mal in Deutschland gezeigt, mit 14-jähriger Verspätung. Von Claudia Dillmann, der Direktorin des Frankfurter Filmmuseums, wollte ich wissen, wie das deutsche Publikum denn damals reagierte.

Claudia Dillmann: Ja, das deutsche Publikum war natürlich von diesem Film fasziniert, er hatte ja zunächst gestartet in München im Filmcasino, wo er übrigens zwölf Monate am Stück gelaufen ist. Insgesamt war der Film nicht überall in den Kinos zu sehen, sondern er startete im Januar in München und ging dann sukzessive in andere acht deutsche Städte, zuletzt nach Berlin, dort lief er dann in der "Kurbel" in Charlottenburg, da übrigens zweieinhalb Jahre am Stück, was für insbesondere die damals noch vorhandenen Platzanweiserinnen und auch den Vorführer, glaube ich, insgesamt eine starke Belastung war. Das Publikum liebte ihn, die Leute standen Schlange, also sie fuhren mit Bussen zum Kino – er lief überall in den deutschen Städten nur in einem Kino, das heißt, es war eine ganz besondere Angelegenheit.

Führer: Und wieso war das so eine Belastung für die Platzanweiser, weil der so lang ist, der Film?

Dillmann: Na ja, insgesamt war er lang, die starteten morgens um 11:00 Uhr, der Film lief dreimal am Tag, er lief jeweils 2 Stunden und 50 Minuten, und wenn ein einziger Film ein ganzes Jahr läuft, dann können die Platzanweiserinnen nachher jedes Wort mitreden.

Führer: Weltpremiere hatte "Vom Winde verweht" ja 1939, da herrschten in Deutschland zwar schon seit sechs Jahren die Nationalsozialisten, aber die USA waren ja noch nicht in den Zweiten Weltkrieg eingetreten, das passierte erst '41. Wurden denn vorher eigentlich noch amerikanische Filme in Deutschland gezeigt grundsätzlich?

Dillmann: Ja, es wurden noch amerikanische Filme gezeigt, bis zum Kriegseintritt der USA, aber diese Filme wurden vorab sozusagen geprüft und auf ihre Tauglichkeit fürs deutsche Publikum befunden durch die Nationalsozialisten. Dieser Film, "Vom Winde verweht", war 1940, also ein Jahr nach seiner Premiere in Amerika dann von Goebbels und von Hitler angeschaut worden, und sowohl Hitler wie auch Goebbels fanden diesen Film großartig, und zwar so großartig, dass sie ihn dem deutschen Publikum nicht zeigen wollten. Also sie empfanden die Überlegenheit Hollywoods als zu stark gegenüber der deutschen Filmindustrie.

Goebbels hat diesen Film – also der Propagandaminister Joseph Goebbels – hat diesen Film dann Regisseuren und Schauspielern vorgeführt und sozusagen angeordnet, sich daran ein Beispiel zu nehmen. Und eine direkte Folge davon ist übrigens dann der Film "Münchhausen".

Führer: Mit Hans Albers – aber bevor wir auf den kommen, worin lag denn die Überlegenheit?

Dillmann: Ich denke, das handwerklich Perfekte, die Opulenz, die Kostüme, die Bauten, das Starensemble, aber natürlich auch die Farbe, diese sehr, sehr ausgefeilte Farbdramaturgie in Technicolor von "Vom Winde verweht" ist ja etwas, was bis heute noch wirkt. Und dieses war eben und ist eben ein Meilenstein, auch insgesamt, auch heute gesehen …

Führer: Und in Deutschland gab es damals noch keine Farbfilme?

Dillmann: In Deutschland gab es erste Experimente mit Farbfilmen, von Agfacolor, und der Auftrag für "Münchhausen" ging eben dahin, einen ausgesprochen dramatisch und dramaturgisch ausgefeilten Farbfilm zu machen.

Führer: Ja, wo dann der Hans Albers mit seinen blauen Augen die Hauptrolle spielt, und es ...

Dillmann: Ja, aber auch ganz viele weitere Stars des deutschen Films. Also man hat sich schon auch in den Bauten, in den Tricks – also es gibt ja viele Tricks in "Münchhausen" – versucht, sich an Hollywood ein Beispiel zu nehmen.

Führer: Für damalige Verhältnisse ja aufwendige Spezialeffekte.

Dillmann: Ja, absolut.

Führer: Kann denn Ihrer Ansicht nach "Münchhausen" mit "Vom Winde verweht" tatsächlich mithalten?

Dillmann: Nein, also das denke ich nicht. "Münchhausen" ist ein guter Film, ist sicherlich über den Durchschnitt des deutschen Films, der kam ja 1943 dann in die Kinos, während der Schlacht um Stalingrad, als Jubiläumsfilm der Ufa. Er ist nett, aber er ist natürlich nicht von solcher Opulenz und von einer derartigen Perfektion wie "Vom Winde verweht".

Führer: Heute vor 60 Jahren hatte "Vom Winde verweht" Deutschlandpremiere, darüber spreche ich in Deutschlandradio Kultur mit Claudia Dillmann, der Direktorin des Frankfurter Filmmuseums.

Frau Dillmann, wenn man mal zurückblickt, vor 1933 gab es ja eigentlich auf der Welt zwei große Filmnationen, das waren Deutschland und die USA, und dann, während des Nationalsozialismus mussten manche, wollten ja auch viele große deutsche Filmemacher, ob jetzt Regisseure oder Autoren oder Schauspieler, Deutschland dann verlassen. Viele sind dann in die USA gegangen. Dann gab es so gut wie keine US-amerikanischen Filme mehr in Deutschland, ab 1941 gar keine mehr. Ab wann wurden denn eigentlich wieder amerikanische Filme gezeigt in Deutschland?

Dillmann: Na ja, direkt also sozusagen nach dem Krieg. Die meisten Kinos waren ja zerstört, aber in den einzelnen Besatzungszonen und in den Sektoren von Berlin begannen, kann man schon sagen, wenige Wochen nach der Kapitulation, begannen die ersten Kinos zu spielen. Diese Kinos unterstanden der Militäradministration der jeweiligen, das heißt, sie durften nicht Filme spielen, die ihnen gerade so in den Sinn kamen, sondern dieses Programm war vorgeschrieben, es musste genehmigt werden, es war in gewisser Weise zensiert.

In den US-Zonen hat man dann vor allen Dingen Hollywoodfilme angeboten, die auch in gewisser Weise eine Reeducation-Funktion hatten, also die Deutschen zur Demokratie erziehen sollten, eben indem man Biopics gezeigt hat von Edison oder Abraham Lincoln und so weiter. Und außerdem wurden noch mal alte deutsche Filme gesichtet, um sie dann freizugeben dem Nachkriegspublikum. Also es fing ganz langsam an, aber dann beschleunigte es sich sehr schnell. Und die Kinos waren ja ganz, ganz wichtig. Es gab ja vielfach keine Theater mehr, Kinos waren der einzige Ort für viele, das Kino um die Ecke, um tatsächlich sich zu entspannen.

Führer: Das heißt, im Grunde genommen ist das auch die Zeit, in der dann der Siegeszug der Hollywoodfilme in Deutschland einsetzte?

Dillmann: Hollywood hatte nicht die Überlegenheit über die Spielpläne, wie es sie heute hat. Also noch bis weit in die 50er-Jahre hinein war der Anteil der deutschen Produktionen an den Spielfilmen immer höher als der amerikanische, das ist heute nicht mehr so. Hier liefen ja auch französische Filme, englische, italienische, schwedische, also die Bandbreite dessen, was auf den Leinwänden geboten wurde, war breiter.

Führer: Das heißt, Sie würden jetzt nicht sagen, dass die heutige internationale Dominanz Hollywoods auch ein Erbe des Nationalsozialismus ist?

Dillmann: Nein, würde ich nicht sagen, weil die ja überall stattfindet. Das ist einfach auch eine gewisse Wirtschaftsmacht, die dahinter steckt, hinter Hollywood, aber womöglich auch ein – zumindest seit dem Blockbuster – nicht nur Wirtschaft, sondern auch von Anfang an das Bestreben Hollywoods, die Geschichten international zu erzählen, einem weltweiten Publikum versuchen nahezubringen. Also das haben die Amerikaner sicherlich zur Perfektion entwickelt.

Führer: Wenn wir jetzt noch mal auf den Film gucken, "vom Winde verweht", der fasziniert ja heute immer noch Millionen Menschen. Das Buch auch, aber der Film eigentlich noch mehr. Womit erklären Sie das, Frau Dillmann?

Dillmann: Nun ja, ich denke, das ist ein Film, der sozusagen alles hat, glänzende Schauspieler, eines der berühmtesten Liebespaare der Filmgeschichte, der zeithistorische Hintergrund, vor allen Dingen große, große Bilder, mitreißende Dramaturgie, eine ausgezeichnete Musik, ja, eben auch Farben – der Film wurde ja dann farbrestauriert –, die heute noch beeindrucken. Und diese Geschichte zwischen Scarlett O'Hara und Rhett Butler, die ist einfach romantisch, und drum herum, wenn Atlanta brennt, ist es dramatisch, also dieser Film hat ganz viele Aspekte, die großes Kino ausmachen.

Führer: Und ganz ungewöhnlich für einen Hollywoodfilm: Er hat kein Happy End.

Dillmann: Er hat kein Happy End, das ist korrekt, und er hat ein sehr starkes Ende, wie ich finde. Es ist kein Happy End, auch wenn sie dann am Ende sagt, morgen ist auch noch ein Tag.

Führer: Und heute vor 60 Jahren hatte der erfolgreichste Film aller Zeiten "Vom Winde verweht" in Deutschland Premiere. Das war Claudia Dillmann, die Leiterin des Deutschen Filminstituts und Direktorin des Frankfurter Filmmuseums. Danke fürs Gespräch, Frau Dillmann!

Dillmann: Gerne!

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Clark Gable als Rhett Butler und Vivien Leigh als Scarlett O'Hara in "Vom Winde verweht"
Clark Gable als Rhett Butler und Vivien Leigh als Scarlett O'Hara in "Vom Winde verweht"© AP-Archiv