Dauerbaustelle Gesundheitsreform

12.08.2006
Zu teuer, zum Teil unnütz, gar gefährlich: Mitten in die erhitzte Diskussion um die Dauerbaustelle Gesundheitsreform platzte im Juni eine Studie, die den deutschen Arzneimittelmarkt und die Verschreibungspraxis der Ärzte kritisch unter die Lupe nimmt: Der Arzneimittelreport 2006 der Gmünder Ersatzkasse.
Eines der Ergebnisse: 2005 wurden deutlich mehr Medikamente verordnet, als zu Jahresbeginn geplant, darunter nach wie vor zu viele teure Originalmedikamente, obwohl diese längst durch preiswertere Nachfolgeprodukte, so genannte Generika, ersetzt werden könnten. Der Leiter der Studie, Prof. Dr. Gerd Glaeske, Professor für Arzneimittelversorgung der Universität Bremen: "Deshalb erscheint es fast als vorsätzliche Verschwendung von Versichertengelder, wenn solche Analogprodukte auch noch einen fast 20-prozentigen Zuwachs erreichen."

Auch Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt sparte bei der Vorstellung des Reports nicht mit Kritik: "Drei Milliarden Euro werden für Arzneimittel ausgegeben, die den Patienten nicht besser helfen als preisgünstigere." Ihr Ministerium versucht, der Kostenexplosion mit einem seit Mai geltenden Arzneimittel-Sparpaket entgegenzuwirken.

Der deutsche Arzneimittelmarkt - der drittgrößte der Welt - ist hart umkämpft.
Auf dem deutschen Markt gibt es ca. 60.000 Arzneimittel, in der Schweiz gerade mal 25 Prozent davon. Manche Medikamente sind hierzulande bis zu viermal teurer als in anderen EU-Staaten. Schätzungsweise 16.000 Pharmareferenten sind im Dienst der Hersteller unterwegs, um besonders neue Arzneimittel an Ärzte und Apotheken zu bringen. "Die Mittel werden einfach gnadenlos häufig und massiv beworben. Sie werden als Innovationen dargestellt, ohne dass ihr therapeutischer Nutzen bewiesen wäre", so Gerd Glaeske, der auch Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen ist. Wie lukrativ der Arzneimittelmarkt ist, zeigt nicht zuletzt der aktuelle Rechtstreit um die Zulassung der niederländischen Versand-Apotheke "Doc Morris" in Deutschland.

Kritik an der Pharmabranche ist Walter Köbele, Vorstandsvorsitzender der Firma Pfizer, gewohnt. Der US-amerikanische Konzern ist der mit Abstand größte Arzneimittelhersteller der Welt. Seine Verkaufsschlager: Das Potenzmittel "Viagra", aber auch Medikamente gegen Alzheimer, erhöhte Cholesterinwerte und Rheuma. Köbele ist auch Vorstandsmitglied des VFA, des Verbands Forschender Arzneimittel, der die Ergebnisse des Reports entschieden zurückweist: "Die behaupteten Sparmöglichkeiten existieren nur auf dem Papier", so VFA-Geschäftsführerin Cornelia Yzer. Analogpräparate seien ein wichtiger Teil hochwertiger Arzneimittelversorgung – ihr Preis damit gerechtfertigt.

Die Patienten indes verfolgen die Diskussionen mit wachsender Verunsicherung: Schließlich wollen sie die bestmögliche medizinische Versorgung, allerdings auch zu einem verträglichen Preis und nicht auf Kosten steigender Krankenkassenbeiträge.

"Dauerbaustelle Gesundheitsreform – Das Milliardengeschäft mit Arzneimitteln" – darüber diskutiert Gisela Steinhauer heute von 9 Uhr 07 bis 11 Uhr mit dem Prof. Dr. Gerd Glaeske und Walter Köbele. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der kostenlosen Telefonnummer 00800 / 2254 – 2254 oder per Email unter gespraech@dradio.de.


Informationen im Internet unter:
www.vfa.de
www.zes.uni-bremen.de