Dauer-Proteste in Rumänien

"Wir wollen die Diebe loswerden"

Die Polizei geht gegen Demonstranten in der Hauptstadt Bukarest vor
Die rumänische Polizei geht gegen Demonstranten vor: Nach den Ausschreitungen haben mittlerweile mehr als 200 Menschen Strafanzeige gegen die Gendarmerie gestellt. © AFP
Von Srdjan Govedarica und Andrea Beer · 21.08.2018
In Rumänien scheint Korruption System zu haben. Schon seit 2017 gehen Bürger dagegen auf die Straße. Aber nie wurden die Proteste so gewaltsam niedergeschlagen wie in der vorletzten Woche, nachdem die Regierung beschlossen hatte, die Gesetze zur Korruptionsbekämpfung zu lockern.
Der Siegesplatz im Herzen Bukarests am Abend des 10. August. Chaos bricht aus, Tränengasgranaten detonieren, in der Luft hängt ein beißender Geruch. Die Augen brennen, jeder Atemzug ist schmerzhaft. Wer kann, flieht über die breiten Boulevards, die sternförmig auf den Platz zulaufen. Doch das gelingt nicht allen. Dieser junge Mann sieht noch ziemlich mitgenommen aus:
"Ja, es war ziemlich schlimm, besonders für die Augen. Für die Nase und den Mund habe ich das Tuch hochgezogen."
Das Tränengas verschießt die Gendarmerie. Ein ursprünglich militärischer Verband mit polizeilichen Aufgaben. Auf dem Siegesplatz hat die Gendarmerie eine Schutzzone errichtet um den Regierungspalast. Doch inzwischen kommt es überall auf dem Platz zu Zusammenstößen.
Rückblick: Die Demonstration beginnt am späten Nachmittag ohne Gewalt. Immer mehr Menschen strömen zum Siegesplatz, die Stimmung ist nicht bedrohlich, aber auch nicht fröhlich, denn die Menschen sind wütend auf die sozialdemokratisch geführte Regierung.
"Ich bin [es] satt, wenn ich so viele Leute, arme Leute in Rumänien sehe. Arme Leute, ohne Geld, ohne Chance zum Leben. Und ich will diese Guvern [Regierung] nicht mehr sehen, wenn ich sehe, [dass sie] so viel klauen, Geld klauen, von uns."
Gheorghe Nicorut trägt Schwarz-Rot-Gold. Denn er lebt eigentlich in Deutschland, in der Nähe von Mannheim. Wie viele andere auf dem Siegesplatz schmückt er sich mit dem Landesfarben seiner Wahlheimat. Denn zu der Demonstration haben Auslandsrumänen aufgerufen. Mehr als vier Millionen Rumänen leben im Ausland, der sozialdemokratisch geführten Regierung stehen sie mehrheitlich kritisch gegenüber.
Sie nutzen die Urlaubszeit, um die inländische Zivilgesellschaft zu unterstützen, die nun schon seit anderthalb Jahren immer wieder auf die die Straße geht. Unternehmer Gheorghe Susa ist aus Berlin angereist.
"Ich weiß nicht, ob sie ein Beispiel von uns nehmen oder nicht, aber ich glaube es wäre der richtige Zeitpunkt, jetzt aufzustehen und zu sagen, wir machen etwas."

"Sie wollen uns Angst einjagen"

Gegen 18:30 Uhr kippt die Stimmung. Eine Gruppe gewaltbereiter junger Männer greift die Gendarmerie an der Absperrung zum Parlamentspalast an. Später werden sie als Hooligans bezeichnet, doch bisher ist unklar, wer sie genau waren. Opposition und Aktivisten mutmaßen, es könnten bezahlte Provokateure oder gar Kriminelle gewesen sein. In hohem Bogen prasseln Plastikflaschen und Transparente auf die Gendarmen nieder, diese antworten mit Tränengas.
Das ist der Startschuss zu einem Gewaltexzess, der bis spät in die Nacht andauern wird. Die Gendarmen liefern sich Straßenschlachten mit den Gewalttätern. Deren Zahl ist schwer zu schätzen. Später wird von mehreren Dutzend die Rede sein. Irgendwann unterscheidet die Gendarmerie nicht mehr. Viele friedliche Demonstranten kommen unter die Räder. 450 Menschen müssen notverarztet werden, darunter auch Gendarmen.
Tausende Menschen stehen auf einem Platz. Von oben ist grünes Licht zu sehen. Es sind Laserpointer der Demonstranten.
Mehr als 80.000 Menschen versammeln sich am 11. August vor dem Regierungssitz.© Vadim Ghirda / AP / dpa
Wie konnte es zu dieser exzessiven Gewalt auf dem Siegesplatz kommen? Und von wem ging sie aus? Die Demonstranten geben eindeutig der Gendarmerie die Schuld, wahllos geprügelt zu haben anstatt die Gewalttäter zu isolieren. Aktivist Cristian-Mihai Dide ist seit anderthalb Jahren bei jeder Demonstration dabei, die Gewalt des 10. August lässt ihn entsetzt zurück.
"Ich habe erwartet, dass es vielleicht zur Gewalt kommen könnte, aber ich habe mir nicht vorstellen können, dass es so übel ausgehen wird. Es war sehr, sehr gewalttätig. Sie wollen uns Angst einjagen, indem sie Gewalt anwenden, deswegen machen sie das."

"Repression gegen Demonstrierende ist inakzeptabel"

Der umstrittene Gendarmerie-Einsatz und die Ausschreitungen haben viele in Rumänien tief schockiert. Mehr als 200 Menschen haben inzwischen Strafanzeige gegen die Gendarmerie gestellt. Die Generalstaatsanwaltschaft ermittelt rund um den umstrittenen Einsatz. Das Parlament hat Sommerpause und die rumänische Innenministerin Carmen Dan äußert sich erst rund 24 Stunden später. Die Innenministerin kann keine Fehler bei der Gendarmerie erkennen.
"Das war kein Konflikt zwischen Gendarmen und friedlichen Demonstranten oder Rumänen aus der Diaspora, sondern mit Hooligans, die gegen den Staat aktiv waren. Die Gendarmerie muss die Sicherheit überwachen und die öffentliche Ordnung wiederherstellen, wenn es Probleme gibt, und das war der Fall."
Demonstrationsteilnehmer haben einen gestürzten Polizisten vor dem Regierungssitz der rumänsichen Hauptstadt eingekreist. 
Gewaltexzesse gegen Demonstranten: Mehr als 450 Menschen werden verletzt.© Vadim Ghirda/AP/dpa
Carmen Dan kritisiert auch Klaus Johannis, der sich aus ihrer Sicht unerlaubterweise in die Untersuchungen einmischt. Denn der rumänische Präsident bewertet den Einsatz der Gendarmerie an diesem schwarzen Freitag völlig anders als sie und ihre Parteigenossen der sozialdemokratischen PSD. Das Vorgehen und die unbegründete Aggressivität der Gendarmen auf dem Siegesplatz seien nicht hinnehmbar, sagt Johannis, als er sich in einem Video an die Öffentlichkeit wendet.
"Die gewalttätige, brutale Repression gegenüber Demonstrierenden ist inakzeptabel. Der Angriff auf unschuldige Menschen, der Angriff auf Journalisten, der Angriff auf Frauen und Kinder, all das ist undenkbar in einem europäischen Staat und die Schuldigen müssen identifiziert und schleunigst bestraft werden. Die Zivilcourage der Bürger ist mit Tränengas, Wasserwerfern und übereifrig ausgeteilten Schlägen 'belohnt' worden."

"Sie haben unsere Zukunft gestohlen"

Die Proteste richten sich gegen neue Gesetze im Justizbereich, die die sozialdemokratisch geführte Regierung mit ihrer satten Parlamentsmehrheit in den letzten Monaten beschlossen hat. Im Schnellverfahren und unter Missachtung der Änderungsanträge, wie die Opposition kritisiert. Rumänien sei mit den neuen Gesetzen ein Paradies für Straftäter geworden, so spitzt es der Oppositionsabgeordnete Dan Barna zu. Er ist Chef der kleinen Antikorruptionspartei "Union zur Rettung Rumäniens".
"Seit eineinhalb Jahren kämpfen wir, im Parlament und die Menschen auf der Straße, und dabei geht es nicht um Krankenhäuser, das Bildungssystem oder die beste Strategie zur Entwicklung der Infrastruktur, sondern es geht immer um die Justiz. Und es ging immer um die Frage, ob es dem Parlamentspräsidenten Dragnea gelingt, dem Gefängnis zu entgehen oder nicht. So simpel ist das. Und das hat einen großen Frust in der Bevölkerung verursacht. Gerade war ich zehn Tage im Land unterwegs und in Gesprächen mit den Menschen habe ich immer wieder eins gehört: Wir wollen diese Diebe loswerden. Sie haben unser Land und unsere Zukunft gestohlen. Und es waren auch Wähler der Sozialdemokraten darunter, die meine Petition unterschrieben haben, weil diese Regierung die Kinder dazu bringt, sich anderswo in Europa einen Job zu suchen und Rumänien zu verlassen."
In Rumänien wird gegen viele amtierende Politiker ermittelt wegen Korruptions- oder Betrugsverdachts. Einige wurden deswegen verurteilt. Diese Initative sammelt Unterschriften für ihre Forderung "Keine Straftäter in öffentlichen Ämtern".
Die Initiative des Oppositionspolitikers Dan Barna sammelt Unterschriften für ihre Forderung: "Keine Straftäter in öffentlichen Ämtern".© Deutschlandradio / Knüppel/Götzke
Mit seiner Petition will der Oppositionspolitiker Dan Barna ein landesweites Referendum durchsetzen. Denn er möchte in der rumänischen Verfassung verankern, dass verurteilte Straftäter oder auf Bewährung Verurteilte keine öffentlichen Ämter bekleiden dürfen.
Das würde auch Liviu Dragnea betreffen, den mächtigen Chef der regierenden Sozialdemokraten. Gegen Dragnea wird wegen Veruntreuung von EU-Millionen ermittelt, er ist wegen Wahlmanipulation vorbestraft und wurde vor Kurzem wegen Beihilfe zum Amtsmissbrauch in erster Instanz verurteilt. Sein Gesicht mit dem stets akkuraten Schnurrbart ziert bei den Protesten viele Schilder. Denn für Regierungskritiker steht der vorbestrafte Parlamentspräsident geradezu symbolhaft für Rechtsbeugung und Korruption im Land. Auch diesen Rumänen macht das wütend.
"Weil dieses Land geführt wird von einem verurteilten Straftäter. Als einer, der in Deutschland lebt, schäme ich mich, sagen zu müssen, dass ich ein gebürtiger Rumäne bin."
Dieser Mann fordert "Demisia", was auf Deutsch "Rücktritt" heißt und sich auf die aktuelle sozialdemokratische Regierung bezieht, deren Mitglieder als korruptionsfreundlich gelten.
Dieser Mann fordert "Demisia": den "Rücktritt" der sozialdemokratische Regierung.© Deutschlandradio / Srdjan Govedarica
"Muie PSD" – Das ist der Claim der Protestbewegung in Rumänien. Der Spruch verbindet den Parteinamen der regierenden Sozialdemokraten mit einem Kraftausdruck, der sich schwer übersetzen lässt. "Fuck PSD" trifft es am ehesten. Der Spruch hat in diesem Sommer eine steile Karriere gemacht. Auf Demonstrationen ist "Muie PSD" immer wieder zu hören und zu sehen – auf T-Shirts, Regenschirmen und vor allem auf Autonummernschildern. Denn alles begann mit einem Nummernschild aus Schweden.
"Als ich in Schweden war, wollte ich mir ein Auto kaufen und ich dachte, wenn es ein teures Auto wird, lasse ich mir ein Wunschkennzeichen darauf machen"

"Sie lügen die Leute an"

Razvan Stefanescu ist eher der stille Typ. Der hochgewachsene und gutaussehende Mann Mitte 40 ist gerade auf Heimaturlaub in Bukarest, denn eigentlich lebt er in Schweden, wo er als Kraftfahrer arbeitet. Kurz vor dem Urlaub kauft er sich einen teuren Audi und sein Wunschkennzeichen ist ein Statement gegen die rumänische Regierung.
"Sie lügen die Leute an, sie lügen die armen Leute an. Ich habe Freunde, die sagen, mein Sohn möchte ins Kino gehen, aber ich habe kein Geld. Was soll ich ihm sagen, fragen sie mich. Warum kann er nicht ins Kino?"
Razvan Stefanescu überlegt lange, welchen Spruch er auf sein schwedisches Nummernschild drucken lassen soll, er wälzt sogar Wörterbücher. Am Ende entscheidet er sich für "Muie PSD" und greift einen Spruch auf, der schon vereinzelt auf Demonstrationen zu sehen war.
"Ich wollte etwas aussuchen, das legal ist, denn ich wollte keine Probleme haben".
Doch es kommt anders. Razvan Stefanescu will mit seinem neunjährigen Sohn einen Ausflug machen, als ihn ein Polizeiwagen überholt und zum Anhalten auffordert.
"Dann wollte er meine Papiere sehen, ich gab ihm die Papiere und dann sagte er, dass ich die Nummernschilder abmontieren soll. Und ich sagte: Wenn sie es machen wollen, müssen sie es selbst abmontieren. Dann fingen sie an, das Kennzeichen abzuschrauben und ich filmte sie dabei."
Ein Polizist kniet in einem Handyvideo, um das Nummernschild eines Autos abzunehmen.
"Muie PSD" - übersetzt "Fuck PSD": ein Polizist nimmt das umstrittene Nummernschild ab. Das Internet-Video geht viral.© Screenshot: facebook.com / Razvan Stefanescu
Das Video verbreitet sich auf Facebook wie ein Lauffeuer und macht den Spruch "Muie PSD" landesweit bekannt. Razvan Stefanescu kommt mit einer Strafanzeige davon, weil sein Nummernschild nur Buchstaben und keine Ziffern enthält und er wird zur nationalen Berühmtheit. Als politischen Aktivisten sieht er sich selbst aber nicht.
"Nein. Ich habe PSD draufgeschrieben, weil sie jetzt an der Macht sind. Und weil sie so sind, wie sie sind. Wären sie gut, hätte ich keinen Grund, mich zu beklagen."

Ein Gehörloser, der angeblich die Polizei anschreit

Cristian-Mihai Dide ist vom Typ ist eine Art Manager des zivilen Ungehorsams und im Umgang mit den Medien erfahren. Im Gegensatz zu Razvan Stefanescu nennt er sich ganz klar Aktivist.
"Ich mache das die letzten zwei Jahre. Gerade kämpfe ich gegen das Innenministerium, hauptsächlich gegen die Gendarmerie, die sehr viel dafür tun, die Meinungsfreiheit zu beschneiden. In Bukarest insbesondere haben wir ein großes Problem mit der Meinungsfreiheit und gerade kämpfe ich gegen die Behörden, weil sie gegenüber friedlichen Demonstranten ihre Macht missbrauchen."
Iona Duia ist gehörlos und verwendet die Gebärdensprache. Er gehört zu den Demonstranten der ersten Stunde und sein Fall ist besonders kurios. Die Gendarmerie wirft ihm vor, an einer unerlaubten Demonstration teilgenommen haben. Beweisen sollen das die lautstarken Rufe des Gehörlosen. 450 Euro Strafe zahlen, in Rumänien eine Stange Geld. Cristian-Mihai Dide dazu:
"Auf dem Strafbefehl stand, dass er sein Missfallen gegen die Regierungspartei ausgedrückt hat, indem er sie angebrüllt hat. Wir fanden das sehr witzig. Das ist nur vor Gericht dann gestrichen worden."

"Das Volk muss auf die Straßen"

Cristian Mihai Dide gehört zu den bekanntesten Gesichtern der Protestbewegung in Rumänen. Auch am 10. August ist Cristian Mihai Dide ein gefragter Mann und tingelt zwischen seinem Büro und dem Siegesplatz hin und her, wo später 100.000 Menschen demonstrieren werden. Uns gibt er zum Abschied noch Folgendes mit auf den Weg:
"Wenn das Volk einen demokratischen Staat möchte, muss es seine Macht zeigen. Das Volk muss auf die Straßen und sagen: Guckt mal, wir sind 100.000 Menschen, wir sind mit euren Entscheidungen unzufrieden. 100.000 Menschen, das ist nichts, was du ignorieren kannst."
Die Veränderungen im rumänischen Strafgesetzbuch und der Strafgesetzordnung haben die Proteste immer wieder angefacht. Korruption-Verurteilte und Korruptionsverdächtige sollen künftig leichter straffrei davonkommen. Amtsmissbrauch künftig mit maximal fünf Jahren bestraft werden. Und überhaupt nur noch strafbar sein, wenn der Amtsmissbrauch einem Täter oder dessen Familie einen persönlichen Vorteil verschafft. Freunde oder Kollegen können damit also leicht begünstigt werden.
Die umstrittenen Gesetze betreffen auch Richter und Staatsanwälte. Bei Justizirrtümern und Schadensersatzforderungen sollen sie leichter zur Kasse gebeten oder sogar ins Gefängnis kommen können. Zudem soll der Justizminister weit mehr Einfluss auf Postenbesetzungen haben als bisher. Und noch ein Punkt begünstigt aus Sicht der Kritiker die Korruption, anstatt sie zu bekämpfen: Wegen Diebstahls, Steuerhinterziehung oder Geldwäsche Verdächtige sollen dann nicht mehr in Untersuchungshaft kommen, bereits gefällte Urteile angefochten werden können.

"Ist es normal, dass ein Straftäter das Parlament anführt?"

Von den neuen Gesetzen profitieren Spitzenpolitiker wie Liviu Dragnea, der mächtige Chef der regierenden Sozialdemokraten. Weil er vorbestraft ist, kann Liviu Dragnea zwar nicht zum Premierminister aufsteigen, doch andere Spitzenämter verbietet ihm kein Gesetz. Als Parlamentspräsident zieht Liviu Dragnea die Fäden in der Regierung und er gilt als Schattenpremier Rumäniens. Muss der 55-Jährige vor Gericht erscheinen, ist er meist von Journalisten und Regierungsgegnern umringt, so wie im Mai 2018.
"Sie sind ein Straftäter, Herr Dragnea, warum treten Sie dann nicht zurück? Ist es für Sie normal, dass gerade ein Straftäter das Parlament anführt? Sie sind ein Verbrecher, warum treten Sie nicht zurück?"
Laura Codruţa Kövesi vor einem Mikrofon.
Die ehemalige Chefin der rumänischen Anti-Korruptionsbehörde, Laura Codruţa Kövesi, wurde zum Rücktritt gedrängt. © AFP
Demonstranten beschimpft Liviu Dragnea schon mal als Unrat oder sogar als Ratten. Er gibt sich als Opfer einer Hexenjagd der Justiz. Seine Intimfeinde sind die Ermittler der international anerkannten rumänischen Antikorruptionsbehörde, kurz DNA.
"Die Antikorruptionsbehörde ist eine Willkürjustiz, die sich auf erfundene Beweise, Bedrohungen und Inszenierungen stützt. Darum geht es hier."
Vor allem die unbeirrbare Staatsanwältin Laura Codruta Kövesi war dem mächtigen Liviu Dragna ein Dorn im Auge. Bis vor Kurzem war sie Chefin der Antikorruptionsbehörde – und auf einer Bilanzpressekonferenz im Februar wurde Laura Codruta Kövesi wie immer deutlich. Die Justiz sei unter dem Beschuss der Politik.
"Wir können nicht über 2017 sprechen, ohne auf die Herausforderungen dieses Jahres hinzuweisen, die Versuche, Gesetze zu verändern und die beispiellosen Angriffe auf uns und auf unsere Tätigkeit. Es wurden Gesetzesänderungen vorgeschlagen, die eine Entkriminalisierung gewisser Straftaten wie Korruption verfolgten, die Abschaffung gewisser rechtlicher Instrumente und ein anderer Status von Staatsanwälten."

"Die Korruption kann besiegt werden"

Im Juli 2018 muss Laura Codruta Kövesi gehen. Auf Betreiben der Regierung wird Präsident Johannis gezwungen, die Staatsanwältin abzusetzen. Sie geht mit folgenden Worten.
"Und am Ende meine Botschaft für die Rumänen und für die rumänische Gesellschaft: Die Korruption kann besiegt werden. Gebt nicht auf!"
Liviu Dragnea verkündet unterdessen, Staatsanwälte und Geheimdienste hätten die Macht in Rumänien übernommen und würden herrschen wie die kommunistische Securitate. Auch Präsident Johannis sei Teil dieses angeblichen Parallelstaats, den EU und NATO unterstützen würden.
Ausländischen Medien gibt Liviu Dragnea so gut wie nie ein Interview. Beim ARD Studio Wien macht er Ende 2016 eine seltene Ausnahme. Das Gespräch dreht sich auch um Korruption und am Ende macht er eine verräterische Bemerkung. Er möge diese Art der politischen Debatte nicht, sondern wolle über das Parteiprogramm und die Zukunft Rumäniens diskutieren und nicht über solchen "Bullshit – Entschuldigung – wie Korruption".
Der Analyst Radu Magdin hat in der Vergangenheit die Sozialdemokraten beraten. Den umstrittenen Schattenpremier Rumäniens Liviu Dragnea sieht er so:
"Dragnea ist ein sehr pragmatischer Parteichef und ich denke er ist viel klüger, als die meisten denken. Denn er hat Politik und Koalitionen verstanden. Was die Justizgesetze angeht, hat er eine Menge Leute hinter sich. Nicht nur die Sozialdemokraten und seinen Koalitionspartner die liberale ALDE-Partei. Denn der Frust über die Arbeit der Antikorruptionsbehörde der letzten Jahre besteht nicht nur dort. Auch die größte Oppositionspartei, die PNL, ist betroffen. Alle Parteien deren Mitglieder angeklagt wurden finden im Grunde, dass der Kampf gegen die Korruption zu schnell oder zu weit gegangen ist."
Anders als die regierenden Sozialdemokraten und die liberale ALDE-Partei hat die PNL allerdings alle korrupten und korruptionsverdächtigen Politiker aus Führungspositionen entfernt.

"Wir sind Zeugen einer Revolution"

Die Bilanz der Antikorruptionsbehörde kann sich übrigens in der Tat sehen lassen. Allein 2017 haben die Sonderstaatsanwälte mehr als 11.000 Fälle bearbeitet. In 3800 Fällen konnten sie die Ermittlungen abschließen und 1000 neue Anklagen erheben. Ein Drittel davon gegen hochrangige Beamte oder Politiker, darunter drei Minister. 2017 wurden darüber hinaus mehr als 700 Angeklagte rechtskräftig verurteilt. Für den Bukarester Politanalysten Dan Tuturica ist das der Beweis, dass sich in Rumänien etwas bewegt hat.
"Als die Sozialdemokraten 2005 die Wahl verloren haben, gab es in Rumänien zum ersten Mal eine echte Demokratisierung im Bereich der Justiz. Zum ersten Mal seit 60 Jahren wurde auch die politische Elite zur Verantwortung gezogen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel von früher: Wenn ein höherer kommunistischer Funktionär, sagen wir mal, eine Frau überfahren hat, dann passierte nichts. Er musste nicht einmal seinen Führerschein abgeben. Und auch bei einem Mord gab es keine Gerechtigkeit. Und dann zu sehen, dass sich Minister vor Gericht verantworten und erklären müssen, woher sie ihr Vermögen haben oder wie ihre Unterschrift auf ein Dokument kommt, dann ist das eine Revolution. Wir sind Zeugen einer Revolution."
Eine Revolution, deren Gegner viel zu verlieren haben. Ob einfacher Bezirksbürgermeister oder mächtiger Regierungschef. Korruption und Amtsmissbrauch sind seit Jahren auf allen politischen Ebenen ein Problem in Rumänien. Seit 2011 gibt es immer wieder Proteste dagegen und mehrere Regierungen mussten bereits zurücktreten. Seit Ende 2016 sind in Rumänien wechselnde sozialdemokratisch geführte Regierungen an der Macht. Diese haben die rumänische Justiz inzwischen zum Teil unter politische Kontrolle gestellt. Nach der Gewalt auf dem Siegesplatz am 10. August 2018 zieht Präsident Klaus Johannis eine bittere Bilanz:
"In den vergangenen eineinhalb Jahren hat die sozialdemokratische Partei die Gesellschaft durch umstrittene Maßnahmen, durch eine chaotische und irrationale Regierung verstört. Gleichzeitig sind umstrittene oder offen gegen die Verfassung gerichtete Gesetze verabschiedet worden. Staatsanwälte und Richter werden immer wieder angegriffen. Was hat diese Regierung eigentlich vor mit den Rumänen? Es gibt einen offensichtlichen Bruch zwischen den Rumänen und ihrer Regierung."
Die Folgen der umstrittenen Justizgesetze, die sind unterdessen sehr konkret. Sollten alle in Kraft treten, sei mit Freisprüchen in 215 Amtsmissbrauchsverfahren zu rechnen, warnt die Antikorruptionsbehörde. Mehr als 2000 Ermittlungsverfahren oder bei Gericht anhängige Verfahren könnten zudem eingestellt werden müssen. Das hält Generalstaatsanwalt Augustin Lazar für möglich. Viele Demonstranten wünschen sich seit Langem mehr Unterstützung aus Brüssel und sie hoffen, dass vielleicht die anstehende Ratspräsidentschaft Anfang 2019 den Focus auf Rumänien lenkt. Denn so viel ist sicher, das Land steht vor weiteren Protesten.
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