"Datenschutz im Rückwärtsgang"

Von Gudula Geuther |
Aus Anlass des ersten Europäischen Datenschutztages haben Datenschützer die zunehmende Sammlung von Informationen kritisiert und einen wirksamen Schutz vor Missbrauch gefordert. Die Politik wies die Vorwürfe zurück und verteidigte die Maßnahmen mit dem Hinweis, dass der Staat die Menschen schützen müsse.
Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble sah sich teils harscher Kritik von Datenschützern ausgesetzt. Seit 2001 befinde sich der Datenschutz im Rückwärtsgang, befand etwa der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar:

"Ich würde es sehr begrüßen, wenn man wirklich mal konsequent nachvollzieht: Was hat die Rasterfahndung nach dem 11. September gebracht? Eine solche ehrliche Bewertung hat nicht stattgefunden. Es hat auch keine echte Bewertung der Anti-Terror-Gesetzgebung stattgefunden. Ich möchte, dass wir wirksame Instrumente zur Begrenzung von Datenverarbeitung bekommen, sowohl im öffentlichen als auch im privaten Bereich. Dass die Einzelnen wirksame Instrumente bekommen, um ihre Datenschutzrechte zur Geltung zu bringen. Und dass neue Befugnisse, die ja eingreifen auch in Bürgerrechte, stets und immer wieder auf den Prüfstand gelangen."

Der Abgeordnete im Europaparlament Alexander Alvaro zeichnete ein Bild zunehmender Überwachung:

"Wenn Sie auf kommunaler Ebene die Video-Überwachung öffentlicher Plätze nehmen, auf Länderebene die DNA-Analyse oder die Rasterfahndung. Auf Bundesebene die Konten-Überwachung, gegebenenfalls der gekippte Lauschangriff – es gibt ja noch den kleinen, und so weiter. Wenn wir auf europäischer Ebene den Passagierdatenaustausch mit den Vereinigten Staaten nehmen und es ist die Vorratsdatenspeicherung angesprochen worden. Dann frage ich mich, ab wann vielleicht jede Maßnahme, die einzeln noch zu rechtfertigen ist, in ihrer Summe verfassungswidrig ist. Und das gehört auch mal auf den Prüfstand."

Datenschutz ist Grundrechtsschutz – wie schützt der Staat die Freiheit, so der Titel der von den deutschen Datenschutzbeauftragten organisierten Podiumsdiskussion. Sicherheit und Freiheit müssten in eine Balance gebracht werden, konterte Schäuble.

"Diese Balance ist ein labiles Gleichgewicht. Diese Balance werden Sie immer wieder neu erringen müssen. Und wenn Sie bei dieser immerwährenden Aufgabe die Anforderungen an den Staat - unter neuen und an Qualität und Quantität zunehmenden Sicherheitsbedrohungen - das Menschenmögliche für Sicherheit zu tun, gering schätzen, werden Sie am Ende dem Anliegen, ein hinreichendes Maß an Schutz für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu erreichen, einen Bärendienst erweisen."

Anlass der Diskussion war der erste Europäische Datenschutztag. Der Rechtsprofessor und erste hessische Datenschutzbeauftragte Spiros Simitis kritisierte deshalb vor allem die EU-Kommission. Die sich selbst auf den Datenschutz verpflichtet habe und immer wieder eklatant gegen die eigenen Regeln verstoße. Bei der Übermittlung von Flugpassagierdaten an die USA oder bei der Vorratsdatenspeicherung. Die entsprechende Richtlinie verpflichtet die EU-Länder, alle Verbindungsdaten, des Telefons wie des Internets, mindestens sechs Monate lang zu speichern. Und zwar – so interpretiert es Simitis – erst einmal ohne konkrete Zweckbindung. Ziel der deutschen Ratspräsidentschaft müsse es sein, sich auf europäischer Ebene wieder mehr für den Datenschutz einzusetzen.

Ohne konkret auf die Vorratsdatenspeicherung Bezug zu nehmen, warnte die Verfassungsrichterin Christine Hohmann-Dennhart davor, im Bemühen um Sicherheit immer weiter das Vorfeld möglicher Straftaten zu durchleuchten.

"In dem Bereich, da verlieren sich die Konturen. In dem Bereich weiß man gar nicht mehr so sehr, wonach gesucht wird. Weshalb gesucht wird, mit welchem Ziel gesucht wird. Und dort, in diesem Bereich, da fängt es an, schwierig zu werden bei der Verhältnismäßigkeit."

Als Beispiel nannte sie das neue Polizeigesetz Nordrhein-Westfalens:

"Diese Prävention ist ja nicht mehr die Prävention, die wir vor zehn, fünfzehn Jahren hatten, sondern das Vor-Vor-Vorfeld erblickt uns ja. Und wenn ich dann eine Norm sehe, da heißt es: Datenabgleich kann auch ‚der Ermittlung eines Verdachts gegen Personen als mögliche Verursacher einer Gefahr…’ An einer solchen Formulierung sehen Sie dieses Vor-Vor-Vorfeld, und Sie sehen, was daraus werden kann im Hinblick auf Streubreite-Erfassung…"

Auch Simitis sah in dieser Vorverlagerung staatlicher Datensammlung ein wesentliches Problem und forderte einen bewussteren Umgang des Gesetzgebers:

"In dem Augenblick, in dem wir mehr und mehr in die Prävention übergehen, verschwimmt die Sprache, werden die Begriffe nicht mehr nachvollziehbar und die Grenzen undeutlich. Und das bedeutet: Wenn man in diesen Bereich gehen will – und man muss es partiell – dann muss man auch über Kompensationen nachdenken. Und über die höre ich zu wenig. Dazu zählen: Klare Fristen, Vernichtung der Daten nach einer bestimmten Zeit. Höchstmaß an Transparenz. Höhere Kontrolle. Konsequente Überprüfung der jeweiligen gesetzlichen Regelung auf ihre Wirkung. Das heißt: Je mehr Sie in die eine Richtung gehen, desto mehr müssen Sie in die andere Richtung Gegenmaßnahmen aufbauen."

Der SPD-Rechtspolitiker Dieter Wiefelspütz nahm das für sich in Anspruch und warb um Verständnis:

""Ich mache nur darauf aufmerksam: Wir sind nicht durchgeknallt und wild geworden. Sondern es gibt natürlich realer Weise heute ungleich größere Gefahren, die zu beherrschen sind als noch vor 30 Jahren. Wir werden schon weiter im Bereich von Prävention arbeiten müssen, auch als Gesetzgeber, angesichts von großen Gefahren in bestimmten Bereichen. Aber man muss in diesem Bereich natürlich sich ausgesprochen viel Mühe geben, um nicht die Risiken als Gesetzgeber in Kauf zu nehmen, die hier kritisch angesprochen worden sind. Denn dass das dann uferlos wird, das sehe ich sehr wohl. Deswegen brauchen wir an der Stelle den offenen Diskurs, die öffentliche Debatte, und sehr viel auch Streit, um immer wieder die Abwägung zu treffen, was richtig, was verantwortbar ist und was nicht."

In einem ganz ähnlichen Sinn forderte Simitis Politiker und Datenschützer zu Wachsamkeit auf:

"Datenschutz würde ich sagen, ist nur dann produktiv, wenn Sie ihn als Unruhe auffassen. Wenn Sie sich ständig die Frage stellen, ob das, was Sie wollen, nämlich die Grundvoraussetzungen einer demokratischen Gesellschaft zu sichern, stets auch durch das erreicht ist, was Sie gemacht haben, und wenn Sie gleichzeitig auch die Technologie Ernst nehmen, indem Sie sich ständig fragen: Was müssen wir denn an Neuem machen?"