Datenschützer fordert Signal der Politik zu umstrittenem Meldegesetz

Karsten Neumann im Gespräch mit Gabi Wuttke |
Das Vorstandsmitglied der Deutschen Vereinigung für Datenschutz, Karsten Neumann, erwartet vom Vermittlungsausschuss keine vernünftige Regelung für das umstrittene Meldegesetz. Er sei sehr skeptisch, da es im Vermittlungsausschuss zwischen Bund und Ländern häufig vor allem um den Handel von Geld gegen Zustimmung gehe.
Gabi Wuttke: Ein Eigentor hatte der Bundestag beschlossen mitten in der Fußball-Europameisterschaft. Die Kritik am neuen Meldegesetz war so vernichtend, dass der Bundesrat es heute in den Vermittlungsausschuss schicken wird. Zu offensichtlich ist, dass Adresshändler und Werbewirtschaft einen Blankoscheck für die persönlichen Daten der Bürger erhielten.

Die Deutsche Vereinigung für Datenschutz gehört zur Initiative „Meine Daten sind keine Ware“, die ein strenges Meldegesetz fordert. Was genau damit gemeint ist, und ob der Antrag von Nordrhein-Westfalen in Abstimmung mit allen Bundesländern streng genug ist, kann Vorstandsmitglied Karsten Neumann erklären, er ist jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen!

Karsten Neumann: Schönen guten Morgen, Frau Wuttke!

Wuttke: Die Länder wollen nicht den Widerspruch, sondern weiterhin die Zustimmung der Bürger zur Weitergabe ihrer Meldedaten, allerdings direkt bei den Firmen. Reicht Ihnen das?

Neumann: Das reicht uns ganz klar nicht. Natürlich ist es schon ein Fortschritt in dem neuen Gesetzentwurf, weg zu kommen von der bisherigen blanken Widerspruchslösung, aber die jetzt vorgesehene Einwilligungslösung, also die Voraussetzung, dass die Unternehmen eine Einwilligung vorlegen müssen, reicht uns nicht.

Ganz klar muss sein, die Bürger und Bürgerinnen sollen erklären, und zwar gegenüber dem Melderegister: Ja, ich möchte, dass meine Daten auch für gewerbliche Zwecke verwendet werden können.

Wuttke: Wie muss man sich denn ganz, ganz praktisch vorstellen, was für uns alle zu tun wäre, wenn der Antrag der Länder im Vermittlungsausschuss durchkommt?

Neumann: Wenn der jetzige Antrag durchkäme, hieße das, dass ein Unternehmen sich an die Meldebehörde wendet, sagt, ich möchte gern folgende 100.000 Adressen abgleichen, und ich sage Ihnen, dass diese 100.000 Betroffenen eingewilligt haben. Die Meldebehörde hat überhaupt keine Möglichkeit, das zu prüfen.

Die andere Variante ist die: Jeder, der sich meldet bei der Meldebehörde, jeder Bürger, bei einem Umzug oder bei der Geburt eines Kindes sagt, ja, grundsätzlich dürfen Unternehmen auch auf meine Daten zugreifen im Melderegister, das wäre der zweite, wesentlich unbürokratischere Weg und der einzige, der auch kontrolliert werden kann durch die Meldebehörden.

Wuttke: Wie kommen denn die Händler mit der Einwilligung um die Ecke? Woher haben sie sie, könnten sie sie haben?

Neumann: Ja, das kennen Sie ja vielleicht. Sie klicken sich durchs Internet, wollen ein bestimmtes Angebot aufmachen und müssen da so ein Häkchen setzen. Kaum jemand liest, was dahinter steht – oft ist es eine solche Einwilligung. Sie wollen eine Wohnung mieten, unterschreiben dem Makler ein Formular, wo Sie einwilligen in die Weitergabe Ihrer Daten.

Die Einwilligung ist heute bedauerlicherweise selten ein bewusster Akt, wo also der Bürger wirklich weiß und erfährt, was mit seinen Daten geschieht, sondern oft so geschickt als Voraussetzung formuliert, dass sie überhaupt nicht mehr freiwillig ist. Und die Freiwilligkeit ist aber nach dem Gesetz Voraussetzung für jede Wirksamkeit einer Einwilligung.

Wuttke: Der federführende Innenminister hat ganz klar gesagt: Unser Vorschlag, der Vorschlag der Länder soll verhindern, dass wir, die Bürger, zu Freiwild werden. Ist das denn eigentlich noch zu verhindern, wenn Sie sagen, wir tragen auch ein gerüttelt Maß an Mitverantwortung für die Daten, die schon kursieren?

Neumann: Ja ... es ist zu verhindern, wenn wir es schaffen, in der gegenwärtigen Debatte zur Modernisierung ja des gesamten Datenschutzrechtes, die ja nicht nur im Melderecht geführt wird, sondern auf europäischer Ebene mit einer europäischen Datenschutzverordnung, dazu führt, dass die Einwilligung tatsächlich wieder das wird, was das Gesetz darunter versteht, nämlich eine freiwillige Erklärung, die ich treffe, nachdem ich weiß, was der Betreffende tatsächlich mit meinen Daten macht.

Also aufgeklärt muss ich sein darüber, was dann mit meinen Daten passiert. Hier brauchen wir tatsächlich mehr Aufklärung nicht nur in der öffentlichen Debatte, sondern durch denjenigen, der die Daten verwenden will. Diesen Kampf wollen wir nicht aufgeben – die Deutsche Vereinigung für Datenschutz ist deshalb gegründet worden.

Und deshalb wäre es auch wichtig, gerade in dieser Frage hier im Melderecht auch von der Politik ein klares Signal zu geben, zu sagen: Wir wollen die Bürgerinnen und Bürger in ihren Rechten stärken und nicht schwächen.

Wuttke: Ist das denn ein klares Signal, zu sagen, Meldebehörden sind keine Dienstleister? Wie sieht es denn überhaupt derzeit aus? Wer kriegt denn auf Nachfrage was von den Meldebehörden?

Neumann: Wir haben schon heute in dem Melderecht umfangreiche Tatbestände der Weitergabe von Daten. Es gibt beispielsweise die Möglichkeit, Meldedaten zu bekommen für Parteien vor Wahlen zu Wahlwerbezwecken, also alle Parteien, die sich an Wahlen beteiligen, können ins Meldeamt gehen und sagen, ich möchte die Daten aller Jugendlichen von 18 bis 23 Jahren haben, und bekommen sie.

Wuttke: Das heißt, die NPD hat meine Daten auch.

Neumann: Auch die NPD kann Ihre Daten bekommen, ganz klar. Und die Schwierigkeit sozusagen, die damit genauso wie mit der Weitergabe an Adressbuchverlage zum Beispiel, ist, dass diese Daten in aller Regel elektronisch weitergegeben werden. Einem elektronisch gespeicherten Datum, einer elektronisch gespeicherten Anschrift sehen Sie nicht mehr an, woher sie kommt. Ob sie aus der Meldebehörde kommt oder ob der Bürger selbst bei mir im Laden war und mir seine Daten gegeben hat.

Genau das ist die Schwierigkeit, die vorgesehene „strenge“ – in Anführungszeichen – Zweckbindung der Innenminister kann effektiv niemand prüfen. Und dann ist jedes Verbot und jedes Bußgeld Augenwischerei, wenn ich nicht auch daneben jemanden habe, der überhaupt in der Lage ist, es zu prüfen.

Wuttke: Gibt es einen Unterschied zwischen Adressbuchverlagen und Adresshändlern?

Neumann: Das Gesetz macht ihn. Wie er dann praktisch aussieht, wird dann die Praxis zeigen. Ich bin gerade über den Punkt sehr erstaunt, denn beispielsweise eine der Hochburgen wie das Land Hamburg hat in seinem Landesgesetz ganz bewusst diese Forderung gestrichen, also diese Möglichkeit gestrichen, dass Adressbuchverlage diese Daten bekommen.

Also der Unterschied verwischt sich in der Praxis extrem, denn jeder, der dann solche Datensätze bekommt, wird sie auch wieder in seine eigenen Datenbestände einpflegen, dann wieder mit den Datenbeständen anderer, bei der Deutschen Post beispielsweise gibt es dazu Dienstleister, abgleichen. Und so entsteht ein Riesen-Pool von personenbezogenen Daten aller Bürgerinnen und Bürger, ein Schattenmelderegister, nur eben wirtschaftlich verwendet.

Wuttke: Nun steht ja im Entwurf, dass es bei Verstoß gegen ein Gesetz, das wir jetzt noch nicht genau kennen, Bußgelder geben soll. Da merkt man dann ja immer auf und denkt sich, also wenn die Politik das mit rein nimmt, dann weiß sie selber, dass da jetzt kein ganz kompaktes Paket zusammengeschnürt hat. Wie hoch sollen denn die Bußgelder sein?

Neumann: Also bei den hier – also bei einer unzulässigen Weitergabe von Werbedaten dann durch die werbende Industrie oder bei einer anderweitigen Verwendung droht dann den Unternehmen ein Bußgeld von 50.000 Euro. Das klingt erst einmal für den einzelnen Bürger sehr viel, für Unternehmen ist es eher im Vergleich zu sehen. Das – ich nenne es jetzt mal „normale“ Datenschutzrecht also nach dem Bundesdatenschutzgesetz, das Recht, was gilt zwischen Unternehmen, hätte für denselben Tatbestand ein Bußgeld von 300.000 Euro. Das heißt, auch an diesem Punkt zeigt sich deutlich, dass hier offensichtlich halbherzig gearbeitet wurde.

Wuttke: Nehmen wir das Stichwort Halbherzigkeit zum Schluss noch mal auf, Herr Neumann. Wie viel verdient denn die öffentliche Hand jetzt schon an der Abfrage von Meldedaten?

Neumann: Ja, das wissen wir bedauerlicherweise nicht genau, da die Transparenz in der öffentlichen Verwaltung noch nicht so weit ist, dass man solche Zahlen bundesweit tatsächlich erheben könnte. Es gab Befragungen, und es gibt einzelne Kommunen, was man hochrechnen kann auf einen Betrag von circa zwölf Millionen. Die Bundesregierung selbst in ihrem Gesetzentwurf geht in Summe durch dieses neue Melderecht von einer Entlastung für die Wirtschaft von 118 Millionen Euro aus.

Ich denke, durch die anstehenden Einnahmen auf sozusagen kommunaler Seite dürfte der Betrag ähnlich hoch sein. Das wird auch der Grund sein, oder das ist auch der Grund, weshalb ich persönlich sehr skeptisch bin, ob im Vermittlungsausschuss, wo es ja in der Regel um den Handel Geld gegen Zustimmung zwischen den Ländern und dem Bund geht, tatsächlich wir eine vernünftige Regelung erwarten können.

Deshalb bitte, an alle Bürgerinnen und Bürger: Wenn Sie nicht wollen, dass Ihre Meldedaten verkauft werden, gehen Sie heute vor den Bundesrat, machen Sie Ihren Protest laut und sagen Sie deutlich: „Die Daten gehören mir!“

Wuttke: Sagt Karsten Neumann von der Deutschen Vereinigung für Datenschutz im Deutschlandradio Kultur. Ich danke Ihnen sehr! Schönen Tag!

Neumann: Vielen Dank!


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