"Datensammelwut des Staates ist unbegrenzt"

Rainer Brüderle im Gespräch mit Birgit Kolkmann |
Aus Sicht der FDP muss sich auch der Staat strengeren Datenschutzregeln unterwerfen. Es könne nicht sein, dass die öffentliche Hand mit persönlichen Angaben aus dem Melderegister handele, sagte der FDP-Fraktionsvize Rainer Brüderle. Zugleich forderte er, die Vorratsdatenspeicherung auszusetzen und die elektronische Gesundheitskarte nicht einzuführen.
Birgit Kolkmann: Adressen, Geburtsdaten, Kontonummern, Datenklau in großem Stil. Mehrere Fälle von illegalem Handel mit Millionen Bürgerdaten hatten in den letzten Wochen Verbraucher und Politik aufgeschreckt. Und der Datenmissbrauch in diesem großen Stil hat jetzt in erstaunlich kurzer Zeit zu Konsequenzen geführt. Beim Datenschutzgipfel gestern im Bundesinnenministerium einigten sich Innen-, Wirtschafts- und Justizminister zusammen mit den Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern darauf, die Gesetze zu verschärfen, obwohl sich Innenminister Schäuble zuvor noch dagegen ausgesprochen hatte. Jetzt muss jeder Bürger der Weitergabe seiner Daten ausdrücklich zustimmen. Das ist das wichtigste Ergebnis. Rainer Brüderle ist der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion und deren wirtschaftspolitischer Sprecher, jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen!

Rainer Brüderle: Guten Morgen, Frau Kolkmann!

Kolkmann: Herr Brüderle, ist es eine Entscheidung, die die Liberalen voll und ganz mittragen können?

Brüderle: Zunächst mal ist Handlungsbedarf da, und dieses Fachgespräch zum Gipfeltreffen hochstilisiert, sind zunächst Ankündigungen, die umgesetzt werden müssen. Wir hatten, Sie haben es erwähnt, eine Reihe unappetitlicher Skandale. Das darf aber nicht verdecken, dass die allermeisten Unternehmen natürlich ordentlich und korrekt arbeiten. Wir haben auch eine Situation, dass wir keine gute, klare gesetzliche Grundlage haben. Das Bundesdatenschutzgesetz stammt aus dem Jahr 1977, da sahen Computer noch wie Maschinen aus. Der Datenschutz beschränkte sich darauf, Briefe feucht zuzukleben. Und heute haben wir eine Situation, dass primär 80 Prozent der Daten im Privatsektor, Wirtschaftssektor gesammelt werden. Damals war das Verhältnis Staat – Bürger. Da ist schon Handlungsbedarf da, das muss man ein klares Signal setzen. Ein Punkt ist ein wichtiger, der aber sinnvoll praktikabel umgesetzt werden muss. Die Fachleute nennen das Opt-In-Verfahren. Das heißt, was Sie eben angesprochen haben, dass der Bürger seine Zustimmung geben muss, wenn seine Daten weitergegeben werden. Es gibt ja Fälle, die eklatant sind. Sie müssen sich bei einer Kommune melden als Bürger, Einwohnermeldeamt, das Melderegister. Und die Kommunen haben diese Melderegisterinformation verkauft an Unternehmen. Das kann ja nicht richtig sein. Ich bin gezwungen vom Gesetz, mich zu melden, mich zu offenbaren und dann kann auch ausgerechnet eine öffentliche Hand, eine Kommune beliebig damit Geld verdienen. Hier ist schon Handlungsbedarf und der Ansatz, eine Zustimmung der Bürger zum Umgang mit ihren Daten einzubeziehen, ist nicht verkehrt.

Kolkmann: Nun fragt man sich natürlich, wie soll dieses dann gehandhabt werden.

Brüderle: Das ist die Frage.

Kolkmann: Wenn hier der Bürger erst einmal gefragt werden muss oder wahrscheinlich dann angeschrieben werden muss, wie das ja einige Firmen durchaus auch ganz korrekt schon jetzt tun, dann steigt natürlich der Verwaltungsaufwand enorm und für viele Firmen natürlich auch noch mal die Kosten. Ist das denn noch für die Wirtschaft attraktiv?

Brüderle: Das muss praktikabel gemacht werden. Ich kann mir da verschiedene Wege vorstellen, dass man bei der Erhebung gleich informiert wird, ich bin einverstanden oder nicht einverstanden, dass meine Daten weitergegeben werden. Das wäre dann der einfache Weg. Es muss praktikabel sein, sonst werden auch ganze Sektoren natürlich in Schwierigkeiten hineinkommen. Und eins muss ich hier auch vorab sagen. Das ist jetzt populär inszeniert, weil wir die aktuellen Skandale haben, wie "Report" aus Mainz vor Kurzem berichtet hatte, dass die Krankenversicherung DRK Krankeninformationen an Unternehmen verkauft hat, aber die Bundesregierung, die Minister machen nichts, das Bankgeheimnis wiederherzustellen, etwa auch die Vorratsdatenspeicherung auszusetzen, die Datensammelwut des Staates ist unbegrenzt. Ich halte die elektronische Gesundheitskarte nach wie vor für falsch. Denn wenn die gesamte Krankengeschichte vom Menschen drauf festgehalten oder Bundesmelderegister, da gibt es viele Dinge, wo man sehr sorgfältig mit umgehen muss. Man hat jetzt einige private Schafe entdeckt. Deshalb greift man durch, weil sie selbst beim Staat, ich habe ja einige Beispiele genannt, wo der Staat und das Beispiel Melderegister sich nicht ordentlich verhält, ist man sehr lasch mit dem Umgehen dabei. Es muss schon mit Verstand umgesetzt werden, muss deutlich gemacht werden, es geht um den Datenschutz. Wir brauchen Vertrauen im Wirtschaftsverkehr. Das ist heute mit Computern, mit Informationsaustausch, mit Internet verbunden. Und Kundenvertrauen kriegt man nur, wenn saubere Regeln hat und Kundenvertrauen ist auch für die Unternehmen sehr wichtig.

Kolkmann: Dass Sie auf dieses Grundrecht der informationalen Selbstbestimmung, und darum geht es ja, pochen, das kann man, zumal da Sie ja Liberaler sind, sehr gut nachvollziehen. Aber Sie sind Liberaler auch im Hinblick, was die Wirtschaft angeht und da gibt es ja doch deutliche Warnungen vom der DIHK zum Beispiel und auch vom Bundesverband BITKOM. Die wollen mehr Freiheit und nicht noch mehr gesetzliche Bestimmungen, weil es auch berechtigte Interessen der Wirtschaft gebe, Kundendaten zu sammeln und dadurch auch Produkte verkaufen zu können. Wie verhalten Sie sich denn als Liberaler zwischen diesen beiden Polen?

Brüderle: Das ist ein Spannungsfeld, das ist auch ein legitimes Anliegen. Ich habe den Verbänden bei Diskussionen darüber empfohlen, dann macht doch Selbstverpflichtungsverfahren, macht doch von euch etwas und wartet doch nicht, bis der Staat handelt, weil es wieder irgendwo ein Skandal gab und die 98 Prozent ordentlich handelnde Unternehmen in Misskredit kommen, obwohl sie sich ordentlich verhalten.

Kolkmann: Aber Selbstverpflichtung ist natürlich besonders unbeliebt.

Brüderle: Ja, aber es ist der (…) Weg in der freiheitlichen Gesellschaft, dass erst mal der Bürger mit seinen Daten sorgfältig umgeht, sich jemand offenbart und dass auch die Wirtschaft erst mal schaut, kann ich mich von mir mich so verhalten, dass ich Vertrauen habe in der Öffentlichkeit und nicht ein solcher Druck entsteht, wie er jetzt entstanden ist und zu diesen Beschlüssen geführt hat. Die Verbände haben auch jenseits der zu Recht drauf hinweisenden Probleme, die daraus entstehen, auch die Verpflichtung, durch solche Wege von sich aus etwas zu tun, einen Beitrag zu leisten, damit nicht erst diese Situation dabei entsteht. Aber Kernpunkt ist bei der ausdrücklichen Zustimmung, das war ja auch von Ihnen vorhin angemerkt zu Beginn unseres Gesprächs, dass man es praktikabel macht. Wenn es eine riesige Bürokratie wird, Bürokratieentwicklung und der Staat weiter schnüffelt in unseren Bankkonten und in unseren Gesundheitsschichten hinein, dann ist wieder mal nur eine Schaulösung, nur eine Inszenierung. Das muss schon durchgängig nach klaren Prinzipien praktikabel gemacht werden. Der Teufel steckt im Detail. Und ich kenne das bei diesen Gipfeltreffen, große Euphorie, große Verkündung, Pressekonferenzen und dann am Schluss kommt entweder ein kleines Mäuschen raus, ein falsches Mäuschen oder gar kein Mäuschen.

Kolkmann: Schauen wir mal. Rainer Brüderle war das, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion und deren wirtschaftspolitischer Sprecher zu den Beschlüssen des Datenschutzgipfels gestern in Berlin. Vielen Dank dafür!

Brüderle: Danke Ihnen!

Das gesamte Gespräch mit Rainer Brüderle können Sie bis zum 5. Februar 2009 in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören. MP3-Audio