Datenhandel

Verkaufen wir unsere Daten doch einfach selbst!

Ein Protest-Poster klebt im März 2018 an der Eingangstür des Unternehmens Cambridge Analytica in London. Die Firma hatte Millionen Datensätze von Facebook-Nutzern für Werbung im US-Wahlkampf benutzt.
Datenskandal bei Facebook und Cambridge Analytica © imago / Stephen Chung
Hannes Grassegger im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 10.04.2018
Facebook und Cambridge Analytica seien beim Datenhandel nur Teil eines größeren Systems, meint der Autor Hannes Grassegger. In den letzten Jahren habe sich hier ein "riesiger Graumarkt" entwickelt, dem man nicht beikomme, indem man den Datenhandel begrenze.
Daten sind das Öl des 21. Jahrhunderts, meint der Hauptgeschäftsführer des deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg. Stimmt nicht ganz, hält der Journalist Hannes Grassegger dagegen: "Daten sind mehr als Öl."
Bereits jetzt würde im internationalen Datenhandel mehr Geld umgesetzt als beim Handel mit Öl, so Grassegger im Deutschlandfunk Kultur. "Da hat sich ein riesiger Graumarkt in den letzten Jahren entwickelt, wo weltweit Daten zusammengeklaubt werden, die wir auf unseren Mobiltelefonen und irgendwelchen Apps und so weiter abgeben."
Cambridge Analytica sei dabei nur "Beispiel für ein viel größeres System", betont der Investigativ-Journalist, der bereits Anfang 2017 einen Artikel über Facebook, Cambridge Analytica und mögliche Beeinflussung des US-Wahlkampfs 2016 veröffentlichte.
Der Journalist Hannes Grassegger
Der Journalist Hannes Grassegger© dpa/Horst Galuschka

"Eine falsche Idee von Datenhandel"

Von Landsbergs Vorschlag, Meldeämter sollten künftig Daten an private Unternehmen verkaufen dürfen, hält Grassegger nichts: "Das ist eine falsche Idee von Datenhandel", sagt er. "Hier in der Schweiz wird das zum Teil gemacht. Und das führt dazu, dass man als Privatperson die ganze Zeit irgendwelchen Behörden nachrennen muss und gucken muss, dass der Datenhandel gesperrt wird."
Das Problem daran sei, dass der Einzelne keine Kontrolle und Hoheit über seine eigenen Daten habe: "Und wenn der Städtebund da jetzt auch noch mitmischen will, dann ist es einfach nur noch schlimmer, als was bisher der Fall ist", so der Autor des Buches "Das Kapital bin ich. Schluss mit der digitalen Leibeigenschaft!" nichts.
Die Lösung liegt für Grassegger nicht in einer Begrenzung des Datenhandels, sondern in dessen Ausweitung, so paradox das auch klingen möge. "Das eigentliche Problem kann man erst beheben, wenn wir selber eine Hoheit bekommen über unsere Daten und verbieten können, was gehandelt wird, und auch von dem Handel selber profitieren können unter Umständen." In Zukunft sollten also nicht wir irgendwelche Geschäftsbedingungen im Internet akzeptieren müssen. Sondern die Unternehmen, die mit unseren Daten arbeiten wollten, müssten unsere Bedingungen unterschreiben.
(uko)

Das Interview im Wortlaut
Stephan Karkowsky: Beim Facebook-Datenskandal fühle ich mich ein wenig erinnert an die Rolle von Volkswagen im Dieselskandal. Man ahnt, Facebook ist nicht der einzige Konzern mit Datenschutzproblemen, aber zurzeit muss es Mark Zuckerberg ganz allein auslöffeln. Heute steht der Facebook-Chef dem US-Kongress in Washington Rede und Antwort. Über den Handel mit persönlichen Daten sprechen wollen wir mit dem investigativen Reporter des Schweizer "Magazins", Hannes Grassegger. Er war der Erste, der uns aufgeklärt hat über die Praktiken der britischen Datenanalysefirma Cambridge Analytica. Herr Grassegger, guten Morgen!
Hannes Grassegger: Guten Morgen!
Karkowsky: Glauben Sie Zuckerberg eigentlich, wenn er sagt, die Weitergabe der Daten an Cambridge Analytica, das war ein Ausnahmefehler?
Grassegger: Cambridge Analytica an sich ist nur ein Beispiel für ein viel größeres System. Es ist vielleicht ein besonders markanter und erschreckender Fall, aber, wie das Unternehmen auch selbst schon gesagt hat, sie müssen sich jetzt jahrelang auf die Suche machen nach allen weiteren Fällen. Wir können also davon ausgehen, nein.
Karkowsky: Facebook hat ja nun gesagt, wir haben daraus gelernt, und wir sorgen dafür, dass es nie wieder vorkommen wird, weil wir entsprechende Einstellungen geändert haben. Ist das denn glaubhaft?
Grassegger: Dass Einstellungen geändert werden, das ist, würde ich mal sagen, glaubhaft. Aber man muss dran denken, dass einfach dieses Unternehmen sich weiterhin weigert, einzusehen, dass das ganz grundlegende Geschäftsmodell ja darauf beruht, Daten abzusaugen. Und diese Daten müssen dann natürlich technisch auch geteilt werden mit den Leuten, die mit Facebook zusammenarbeiten wollen. Wir kennen ja diese Apps, die das brauchen zur Einwilligung und so weiter. Das heißt, allein schon technisch fließen Daten ab.
Das wird weitergehen, und es wird immer wieder Situationen geben, in denen es Leuten gelingt, Daten von Facebook runterzuziehen, die für die Allgemeinheit vielleicht gefährlich sogar sind. Und Mark Zuckerberg selbst ist ja nicht nur vor den US-Kongress eingeladen worden, um auszusagen, sondern mehrfach auch nach England eingeladen worden. Da ist ja so ein kleiner Nebeneffekt von Facebook, dass diese Brexit-Abstimmung da vielleicht befördert wurde. Und da hat er sich geweigert, zu kommen. Das heißt, für mich ist da die Glaubwürdigkeit eigentlich fraglich. Ich vertraue dieser Person nicht.

"Facebook ist kein Datenhändler"

Karkowsky: Handelt Facebook denn eigentlich selbst mit Daten, legal?
Grassegger: Facebook selbst, das wird oft missverstanden, ist kein Datenhändler. Facebook ist sogar ein Datenzukäufer. Facebook arbeitet mit sogenannten Data Brokers, das sind Handelshäuser für zusammengesammelte persönliche Daten. Da hat sich ein riesiger Graumarkt in den letzten Jahren entwickelt, wo weltweit Daten zusammengeklaubt werden von Leuten, von uns, die wir auf unseren Mobiltelefonen und so weiter, irgendwelchen Apps und so weiter abgeben.
Und diese Daten sind eine richtige Handelsware. Und diese Firma Cambridge Analytica, als wir ermittelt haben über die, die hat uns auch selbst gesagt, wir könnten auf der Datenseite eigentlich ohne Facebook. Das heißt, die Gefahr ist auch nicht gebannt, wenn Facebook jetzt sagt, wir selbst geben technisch über unsere App-Schnittstellen keine Daten mehr weiter. Die Gefahr liegt in diesem eigentlich für uns unkontrollierbaren Datenmarkt, der sich in den letzten Jahren aufgebaut hat.
Karkowsky: Was genau wird mit diesen Daten gemacht? Geht es vor allen Dingen darum, Werbung zu personalisieren, also persönliche Daten einfließen zu lassen, Werbung gezielter an den Mann zu bringen, damit die sich teurer verkaufen lässt?
Grassegger: Man muss sich vorstellen, Werbung ist ja auch nur eine Art Produkt. Personalisierte Werbung ist eine Art personalisierter... – wie ein maßgeschneiderter Schuh, so ist personalisierte Werbung auf die Person zugeschnitten. Dafür braucht man natürlich diese Daten als Grundlage. Aber wenn wir jetzt ein bisschen reingucken in die Zukunft, dann sehen wir eigentlich, dass Produkte in Zukunft zunehmend personalisiert werden, also dass die Angebote, die wir bekommen werden, auf Basis von unseren Daten gebaut werden. Das heißt, wir haben hier eine Ware vor uns, die ist so essenziell wie das Öl für das Industriezeitalter war. Bloß, es ist nicht Öl. Es sind persönliche Daten.

"Persönliche Daten sind gefährlicher als Öl"

Karkowsky: Also Sie gehen auch davon aus, dass Daten des 21. Jahrhunderts sind.
Grassegger: Man muss mit dem Begriff vorsichtig sein. Daten sind mehr als Öl. Einerseits hat der internationale Handel mit persönlichen Daten im letzten Jahr schon den Wert des Handelswertes von Öl überschritten. Das heißt, es wird mehr Geld umgesetzt mit dem Handel mit persönlichen Daten als mit Öl. Das ist bereits größer. Und zweitens, persönliche Daten sind viel gefährlicher als Öl. Wir kennen ja die ganzen Umweltverschmutzungs- und Nebeneffekte von Öl und denken, dass ist vielleicht eine gefährliche Ware gewesen. Aber was man mit persönlichen Daten wirklich anfangen kann, das ist erschreckend. Ich selbst habe bei so einem Data Broker experimentell einmal angerufen, hab mich als Kunde ausgegeben, und es ist mir gelungen, die persönlichen Daten von drei bis neun Millionen Frauen, inklusive Religionszugehörigkeit in den USA zu kaufen, für drei Cent pro Einheit.
Karkowsky: Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindetages hat gestern vorgeschlagen, es sollten auch die deutschen Kommunen beim Handel mit Daten mitmischen. Der Herr Landsberg sagt, bei den deutschen Meldeämtern schlummert ein Schatz, den müssten wir heben. Hat er nicht recht, wenn er sagt, wenn es alle tun, warum sollten nicht auch wie mitmischen?
Grassegger: Ich halte die Idee für grundfalsch. Hier in der Schweiz wird es zum Teil gemacht, und das führt dazu, dass man als Privatperson die ganze Zeit irgendwelchen Behörden nachrennen muss und gucken, dass der Datenhandel gesperrt wird. Ich muss die ganze Zeit irgendwelche Formulare ausfüllen und an irgendwelchen Stellen abgeben, dass die nicht meine Daten weiterverkaufen. Unter anderem auch bei der Post, wie das auch in Deutschland der Fall ist. Das ist eine falsche Idee von Datenhandel. Das Problem am Datenhandel, ist, dass wir daran nicht teilnehmen, dass wir als Individuen keine Kontrolle und keine Hoheit über unsere eigenen Daten haben. Und wenn der Städtetag jetzt da auch noch mitmischen will, dann ist das einfach nur noch schlimmer, als was bisher der Fall ist.

"Der Datenhandel muss ausgeweitet werden"

Karkowsky: Was müsste denn geschehen, damit ich wieder die volle Kontrolle über alle meine Daten bekomme?
Grassegger: Es klingt ein bisschen paradox, aber der Datenhandel muss ausgeweitet werden. Das heißt, das Gegenteil von dem, was wir gerade als Ansatz haben. Wir haben gerade als Idee, dass wir so eine Art Regulation und Begrenzung des Datenhandels einführen wollen. Das heißt, dass wir die ganze Zeit mit irgendwelchen Datenschutzgesetzen so was wie einen lecken Eimer flicken wollen. Schlussendlich führt das dazu, dass ein Riesenhaufen Gesetze in der Welt ist, wie man mit Daten umgehen soll, und die Firma, die sich die meisten Anwälte leisten kann, profitiert am meisten davon.
Das eigentliche Problem aber kann man erst beheben, wenn wir selbst eine Hoheit bekommen über unsere Daten und verbieten können, was gehandelt wird, und wir auch von dem Handel selbst profitieren können unter Umständen. Dass wir also in Zukunft nicht mehr, wie das heute im Internet ist, irgendwelche Terms and Conditions anklicken, bevor wir loslegen können, indem wir all unsere Daten abtreten, sondern dass Leute, die mit unseren Daten arbeiten, in Zukunft bei uns unsere Bedingungen unterschreiben müssen und dann damit arbeiten können.
Karkowsky: Meine Daten gehören mir – über den Datenhandel und seine Probleme sprachen wir wegen des Facebook-Datenskandals mit dem Schweizer Wirtschafts- und Datenjournalisten Hannes Grassegger. Ihnen herzlichen Dank!
Grassegger: Danke, einen schönen Tag!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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