Dat Hamborger Wöörbook

Von Astrid Matthiä · 06.12.2006
90 Jahre lang hat die Arbeit am Hamburgischen Wörterbuch gedauert, auf Plattdeutsch Dat Hamborger Wöörbook. Darin erfasst ist nicht nur der niederdeutsche Wortschatz der Gegenwart, sondern auch das Hamburger Platt der vergangenen vier Jahrhunderte.
Ruge: "”Wi hebbt dat mal so öberschlagen, un wenn man dat allens so öbern Dumen peilt, sünd dat so, also wi wör d nich överdrieben, wenn wi seggt, wi hebbt 50.000 Stichwöör. So ungefähr. Also 40 bet 50 sünd dat allemal, villicht sind dat ok n beten över 50.000.""

Föftigdusend Stichwöör, fünfzigtausend Stichwörter umfasst das Hamburgische Wörterbuch, schätzt Jürgen Ruge vom Institut für Germanistik Eins der Universität Hamburg. Auch er gehört zu denen, die mitgearbeitet haben an den fünf Bänden mit dem niederdeutschen Wortschatz aus vier Jahrhunderten.

Bis im Jahr 1956 der erste Band erscheinen konnte mit den Wörtern aus dem ersten Fünftel des Alphabeths, haben die Sprachwissenschaftler zunächst gesucht, gesammelt und die Ausbeute verzettelt, d.h. samt hochdeutscher Übersetzung und Zusammenhang auf Zetteln festgehalten. Hamburger Bücher und Dokumente aus vier Jahrhunderten hatten sie dafür durchgearbeitet und in Hamburg geborene Gewährsleute zum Wortschatz der Gegenwart befragt. Allns op Platt. Mehr as 300 lange Kassens, een heele Archiv-Wand hebbt se vullpackt mit jemmer Zedels.

De eersten Zedels hett Agathe Lasch schreeven un in de Schuuvkassens
steckt. Dat weer noch in de Kaisertied, vör 90 Johrn, vertellt Perfesser Jürgen Meier vun t Institut för Germanistik Een.

"De sind mit rote Tinte schreeven und fallt in de Ogen, wenn wi hier dörgaat, Dor is een. De stammt vun Agathe Lasch, dat geiht hier um dat Woord Löschen. "

Mit Water löschen, wat lichterloh brennen deiht, un as anner Bedüden: "Ladung löschen" vun dat Schipp in n Haben. Dat Woord Löschen hett jümmers de sülbigen Bedüden hatt, ok all vör veerhunndert Johrn. As denn de Bookstaav L an de Reeg keem, hebbt sik de Lüüd vun dat Hamborger Wöörbook ok de 20 Zedels to dat Woord Löschen ut t Archiv rutholt un een Stremel oder segg wie lütt Kapittel to dat Woord "löschen" schreeven. Jürgen Meier leest n beeten wat dorvun vör.

"Veer Koye in dem Köhlbrande gelöset, dat heet, de Hamborgers hebbt de Koy fröher op de Inseln bröcht un se dor weiden laten un dor hebbt se de Köh utladen."

Hamburger Bauern haben also ihre Kühe auf die Elbinsel Köhlbrand geschippert und dort gelöscht, sprich ausgeladen, besagt das knapp vierhundert Jahre alte Zitat. Das Lesepublikum erfährt daraus auch, dass der heutige Köhlbrand mit der großen Hochbrücke über dem Hamburger Hafen einst eine
Elbinsel war, und zwar mit so saftigen Wiesen, dass sich der umständliche Kuhtransport dorthin gelohnt hat.

"”Wi makt ja ok n historisches Wöörbook, un wi hebbt hier veel Wöör in t Wöörbook, de hebbt n Krüz. un dat bedüüd, dat düsse Wöör gor nich mehr begäng sünd, de sünd utstorben,”"

Mit einem Kreuz versehen sind beispielsweise die Wörter für viele ausgestorbene Berufe. Umfangreiche Auskunft finden Interessierte auch zu einst populären Bräuchen und ihren Hintergründen.

Es war Agathe Lasch, die dieses Konzept entwickelt hat, nämlich die historische Sprachwissenschaft mit soziologischen und kulturellen Aspekten zu verbinden.
Erstmals hatte sie es angewandt bei ihrer Doktorarbeit zur "Geschichte der Schriftsprache in Berlin", mit der sie nach dem Studium in Halle als 30-Jährige
im Jahr 1909 in Heidelberg promovierte. Ein Studium in ihrer Geburtsstadt Berlin war ihr verwehrt worden. Und die Grundlage für ihre Karriere als Professorin legte Agathe Lasch nicht in Deutschland, sondern an einer Frauenuniversität in den USA. Dort betrieb sie Forschungen zum Mittelniederdeutschen, der Verkehrs- und Schriftsprache der Hanse, und sie schrieb ein bis heute gültiges Standardwerk, die Mittelniederdeutsche Grammatik. Es brachte ihr Anerkennung und Freundschaft unter Sprach- und Hanseforschern im gesamten Ostseeraum.

Ein Jahr länger als andere jüdische Wissenschaftler konnte Hamburgs erste
Professorin deswegen an der Universität bleiben. Schwedischen Kollegen hatten sich für Agathe Lasch eingesetzt. Doch 1934 wurde auch sie von den Nationalsozialisten zwangsemeritiert.

Jürgen Meier: "Dat Schicksal vun Agathe Lasch is uns nahgahn, und se is immer n Vorbild ween för uns, se is ne groote Wissenschaftlerin ween, se is international renommiert ween, is ne feine Person ween, Und 1934 is se rutschmeten worden, se hett Publikationsverbot bekommen, hett Bibliotheksverbot bekommen, kunn nich mehr in de Bibliotheken gahn, und 1942 is se afholt worden un wo weet n gar nicht so genau, ümkamen, also umbracht worden, könt wi seggen."

Sogor ehr eegen Bibliothek, ehr eegen Böker hebbt de Nazis ehr wegnahmen.
Dat een Jöödsche sik mit dat Deutsche Kulturgut un de Deutsche Volkskultur befaten dä, dat kunn, dat dörf nich sien bi de Nazis.

Dat gifft ok hüt noch n Barg Lüüd, de wunnert sik, dat een Jöödsche so veel för dat Plattdüütsche don hett un dat de Jöden Platt snacken kunnen.

Dat geev n Tied, da weer sogoor Agathe Lasch meist vergeeten. Man de is nu vörbi. In de ole Universität, de schönste Saal, heet nah Agathe Lasch. Dat gifft een Agathe-Lasch-Pries, un nich blots in Hamborg gifft den Agathe-Lasch-Weg, in Berlin gifft dat den Agathe-Lasch-Platz.