"Das Ziel ist nicht, Panik zu schaffen"

Wolfgang Schäuble im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 13.07.2010
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat die geplante Veröffentlichung von Bankenkrisentests in der Europäischen Union verteidigt. Die Stresstests seien dazu da, um die Finanzmärkte zu beruhigen, sagte der CDU-Politiker: "Ich glaube, dass Transparenz im Zweifel nicht Unruhe schafft, sondern Klarheit."
Jan-Christoph Kitzler: Es gibt viel Abstimmungsbedarf in der europäischen Finanzpolitik, deswegen haben gestern schon wieder die Finanzminister der Eurogruppe in Brüssel getagt und deshalb sitzen heute die Finanzminister der EU zusammen. Wie lässt sich der Euroraum stabilisieren und was kann, was muss man gemeinsam tun - das ist die Kernfrage. Konkret geht es um den Rettungsschirm für schwächelnde Staaten, strengere Defizitregeln, eine gemeinsame Finanzmarktaufsicht und auch um den sogenannten Stresstest, mit dem überprüft werden soll, wie krisensicher die europäischen Banken sind. Was genau steckt hinter diesem Bankenstresstest und wie wirksam ist er?
In Brüssel bin ich jetzt verbunden mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, guten Morgen!

Wolfgang Schäuble: Guten Morgen, Herr Kitzler!

Kitzler: In zehn Tagen werden wir also wissen, wie stressresistent die europäischen Banken sind, dann wird das Ergebnis des Tests veröffentlicht. Nun gibt es ja Kritik daran, manche Experten halten die Kriterien in diesem Test für zu weich; gleichzeitig wurden Sie gestern schon mit den Worten zitiert, dieser Stresstest sei ein wichtiger Schritt, um die Verunsicherung an den Finanzmärkten zu beenden. Ist das mehr als nur ein frommer Wunsch?

Schäuble: Ja das ist ja die Absicht, deswegen haben wir ja genau dieses verabredet beziehungsweise die Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat. Es, wir sehen ja an den Finanzmärkten, dass trotz der vielen Maßnahmen, die wir auch in Europa ergriffen haben, Reduzierung der Staatsdefizite, die Finanzfazilität, um Staaten, falls sie in Schwierigkeiten geraten sollten, mit Liquidität zu versorgen, und trotzdem haben wir noch eine gewisse Verunsicherung und die konzentriert sich im Augenblick auf Zweifel an den Banken. Deswegen haben wir gesagt, dann sollen eben solche Stresstests durchgeführt werden und die Ergebnisse veröffentlicht werden.

Das Ziel ist nicht, Panik zu schaffen, sondern das Ziel ist, auf der einen Seite klarzumachen, die europäischen Banken sind stabil und dort, wo sich Probleme ergeben, dort muss natürlich dann, müssen entsprechende Konsequenzen beziehungsweise mehr Eigenkapital da unterlegt werden.

Kitzler: Es könnte ja sein, dass es erst mal ziemlich viel Unruhe an den Finanzmärkten gibt, nämlich wenn sich herausstellt, dass einige Banken die Kriterien für den Stresstest nicht schaffen, oder?

Schäuble: Ja, ich glaube, dass Transparenz im Zweifel nicht Unruhe schafft, sondern Klarheit. Und deswegen denke ich, das ist nicht eine Veranstaltung zur Beunruhigung der Finanzmärkte, sondern ganz im Gegenteil. Und ich bin auch sehr sicher, dass dieses Ergebnis erreicht werden wird.

Kitzler: Sie haben eben schon von Maßnahmen gesprochen, die dann ergriffen werden müssen. Was ist das konkret?

Schäuble: Ja gut, wenn sich herausstellt, dass eine Bank unter bestimmten Annahmen zu wenig Eigenkapital hat, dann muss sie mehr Eigenkapital sich beschaffen oder sie muss entsprechend ihre Bilanzsumme reduzieren. Das wird dann von Bank zu Bank zu entscheiden sein. Und wenn eine Bank dazu selbst nicht in der Lage sein sollte, dann müssen die Nationalstaaten notfalls das machen, was wir vor zwei Jahren in Deutschland auch machen mussten während der Bankenkrise mit dem Bankenstabilisierungsfonds.

Kitzler: Kommen wir mal zur anderen großen Baustelle, die Sie in Brüssel gerade beschäftigt, nämlich die gemeinsame europäische Finanzmarktaufsicht: Drei neue EU-Aufsichtsbehörden sollen künftig Banken, Versicherungen und Wertpapiermärkte überwachen. Aber umstritten ist nach vielen, vielen Sitzungen immer noch, ob und wie diese Behörden auf nationaler Ebene auch durchgreifen können. Sehen Sie da eine Chance auf Einigung?

Schäuble: Ja wir haben auch gestern wieder sehr daran gearbeitet. Wir hatten ja Ende vergangenen Jahres eine Einigung innerhalb der Finanzminister der Mitgliedsstaaten; aber natürlich, das Parlament muss genau so zustimmen und deswegen sind wir jetzt in einem Verfahren, wo zwischen den unterschiedlichen Positionen von Kommission, Rat und Parlament eine gemeinsame Lösung gesucht wird. Da sind wir auf einem guten Weg, das Parlament hat ja in der vergangenen Woche gesagt, gut, wir verschieben unsere erste Beschlussfassung im Juli auf den September, um Raum zu haben und auch zeitlich eine Einigung zu finden. Wir haben die Zahl der Streitpunkte zwischen dem Parlament und dem Rat deutlich verringert.

Und ich denke eigentlich, dass es möglich sein muss, dass zwischen der Präsidentschaft - Belgien engagiert sich sehr in dieser Frage, hat ja seit 1. Juli die Präsidentschaft der Kommission - und dem Rat, und dem Parlament eine gemeinsame Lösung gefunden wird. Wir haben sie noch nicht, aber wir arbeiten daran und wie gesagt, die Zahl der Streitpunkte ist sehr reduziert.

Kitzler: Aber auch die Staaten untereinander sind sich ja nicht einig, vor allem die Briten stellen sich quer und einige kleinere Staaten. Wenn das Ganze, die gemeinsame europäische Finanzmarktaufsicht, so wichtig ist, warum wendet man eigentlich nicht die Kriterien des Vertrags von Lissabon an, der ja auch Mehrheitsentscheidungen ermöglicht, und überstimmt zum Beispiel die Briten?

Schäuble: Ja gut, es gibt in diesem Bereich Punkte, die nun der Einstimmigkeit unterliegen. Im Übrigen ist es immer besser in solchen Fragen, zu einer gemeinsamen Position zu kommen. Wir haben es im Rat, wie gesagt, im Dezember vergangenen Jahres geschafft, die Interessenlage der einzelnen Mitgliedsländer ist ein Stück weit unterschiedlich, da kommen immer nationale Strukturen und die legen sich ein Stück weit unterschiedlich aus. Wir wissen, der Bankplatz London, der Finanzplatz London hat für Großbritannien eine ganz andere Bedeutung.

Im Rat hatten wir im vergangenen Jahr eine gemeinsame Position, die reicht im Parlament nicht aus, deswegen gibt es dieses Vermittlungsverfahren, das ist genau so im Lissabonvertrag angelegt, daran wird gearbeitet. Das Ziel muss sein - und darin sind sich alle einig -, zum 1. Januar kommenden Jahres müssen wir diese europäischen Strukturen haben, die die nationale Finanzaufsicht nicht ergänzen, sondern die sie stärken, die sie ein Stück weit koordinieren und die vor allen Dingen bei grenzüberschreitenden Instituten - und die großen Finanzinstitutionen auch, sind ja alle grenzüberschreitend tätig -, dafür sorgen, dass keine Lücken in der Aufsicht entstehen.

Kitzler: Es geht ja auch um die Lehren aus der Finanzmarktkrise. Bundeskanzlerin Merkel hat schon vor fast anderthalb Jahren gefordert, dass es keine weißen Flecken mehr geben dürfe, keinen Finanzmarkt und keinen Finanzmarktakteur und kein Finanzmarktprodukt soll künftig ohne Regulierung oder Aufsicht sein. Das war im Februar 2009, wie weit sind wir heute noch davon entfernt?

Schäuble: Wir sind auf diesem Weg weit vorangekommen, das geht nicht, das ist nicht nur eine Frage der Finanzaufsicht, Institutionen in Europa, das ist eine Frage der Regulierungen. Sie haben zum Beispiel ja verfolgt, wir haben in der vergangenen Woche in Deutschland das Gesetz verabschiedet, das ungedeckte Leerverkäufe verbietet. Das ist zum Teil gesagt worden, ja das ist aber ein deutscher Alleingang, aber das Ziel ist natürlich, ein bisschen die Entwicklung in Europa zu beschleunigen, dass wir auch zu einer europäischen Lösung kommen, so wie wir einen Bankenrechtsstrukturierungsfonds und eine Bankenabgabe auf den Weg gebracht haben, da jetzt gerade den Gesetzesentwurf in Deutschland entwickeln, auch an einer europäischen Regulierung arbeiten.

Wir brauchen eine Regulierung für die Derivate und da haben wir auch schon Fortschritte erzielt, zum Beispiel muss jeder, der Derivate herausgibt, einen bestimmten Anteil selber übernehmen, damit er die Produkte, die er vertreibt, auch zu sich selbst, selbst ein Stück des Risikos übernimmt.

Wir brauchen Regulierungen in der Tat für alle Teilnehmer. Da ist die Interessenlage in den einzelnen Ländern auch diesseits und jenseits des Atlantik ein Stück weit unterschiedlich, aber Sie sehen, auch in den Vereinten Staaten von Amerika in dem Vermittlungsverfahren zwischen Repräsentantenhaus und Senat sind ja einschneidende Maßnahmen verabredet worden. Alle wissen im Grunde, dass wir durch bessere Regulierung alles daran setzen müssen, dass sich eine solche Katastrophe wie die Krise im Finanzsektor vor zwei Jahren nicht wiederholen kann.

Kitzler: Die Regulierung der Finanzmärkte und die Verhandlung in der Europäischen Union, das war Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, zurzeit in Brüssel. Vielen Dank und einen erfolgreichen Tag!

Schäuble: Danke sehr, Wiederhören, Herr Kitzler!