Das Wunder von Leipzig

Von Winfried Sträter · 09.10.2007
Es gärte in der DDR. Seitdem die SED im Mai 1989 die Kommunalwahlergebnisse manipuliert hatte, trieb die Entwicklung unaufhaltsam auf einen kritischen Punkt zu. Der öffentliche Protest gegen das Regime wuchs von Woche zu Woche, nach der Grenzöffnung in Ungarn auch die Massenflucht in die Bundesrepublik.
In Leipzig luden zwei Pfarrer seit Mitte der 80er Jahre montags zu Friedensgebeten in die Nikolaikirche ein. Im September 1989 versammelten sich die Kirchgänger anschließend zur Montagsdemonstration.

7. Oktober 1989: die SED feiert den 40. Geburtstag der DDR. In mehreren Städten, auch in Berlin, kommt es zu Spontandemonstrationen, die gewaltsam niedergeknüppelt werden. Die Stimmung ist auf einem Siedepunkt angelangt. Würde das SED-Regime jetzt erbarmungslos gegen die Oppositionsbewegung vorgehen? Ist es ein Zufall, dass die SED-Führung demonstrativ ihre Sympathie für die blutige Niederschlagung der Demokratiebewegung in China bekundet?

Montag, 9. Oktober 1989. Die Gerüchteküche kocht: Sie werden schießen! Die Erinnerung an den 17. Juni 1953 ist gegenwärtig. Der Volksaufstand wurde blutig niedergeschlagen, sonst wäre das SED-Regime schon damals weggefegt worden.

Wie viele Menschen werden sich trauen, trotz aller Warnungen zu demonstrieren? 70.000 - eine unglaubliche Zahl. Diese Massendemonstration stellt die Machtfrage: Wenn die Regierung das zulässt, wenn sie diese Bewegung an diesem Tag nicht gewaltsam niederschlägt, verliert sie die Kontrolle über ihr Land. In den Seitenstraßen warten die Einheiten der NVA, der Polizei und der Kampfgruppen auf den Einsatzbefehl.