"Das Wunder lauert überall"

Moderation: Joachim Scholl · 20.12.2012
Katharina Thalbach hegt eine große Leidenschaft für Märchen. Schon als Kind waren diese Geschichten für sie "ein Quell der Abenteuer". In Märchen könne einfach alles passieren. Außerdem hätten Sätze wie "und wenn sie nicht gestorben sind" etwas sehr Tröstliches, sagt sie.
Joachim Scholl: Und dann wurden es sieben auf einen Streich – "Das tapfere Schneiderlein", ein Märchen aus der Sammlung der Brüder Grimm, gelesen von Katharina Thalbach, mehrere CD-Produktionen hat die Schauspielerin Märchen gewidmet. Gestern waren wir mit Katharina Thalbach verabredet, haben sie im Berliner Theater Komödie am Kurfürstendamm getroffen, wo sie derzeit mit ihrer Tochter Anna zusammen im "Raub der Sabinerinnen spielt".

Katharina Thalbach, vorab besten Dank, dass Sie sich für uns Zeit nehmen, kurz vor der Vorstellung. Alle Welt kennt Sie als Schauspielerin, in Filmen, im Theater, aber Sie hegen eben auch eine große Liebe zu den Märchen der Brüder Grimm. Wie kommt es?

Katharina Thalbach: Das ist, glaube ich, eine Erziehungsfrage, also ich kann mich überhaupt nicht erinnern, die Märchen nicht gekannt zu haben. Die hat mir sowohl meine Großmutter vorgelesen als meine Mutter, und in dem Augenblick, wo ich selber lesen konnte, hatte ich eine wunderschöne Ausgabe, das waren, glaube ich, so acht Bände, wo sehr, sehr viele Illustrationen drin waren, die ich dann auch immer ausmalen konnte, und das war einfach ein Quell der Abenteuer.

Scholl: Können Sie sich an Ihr erstes Märchen erinnern?

Thalbach: Nicht wirklich. Ich kann mich an meinen ersten Märchenfilm erinnern, das war "Das singende klingende Bäumchen". Da war ich, glaube ich, so drei oder vier Jahre alt. Mit fünf habe ich dann den ersten Walt-Disney-Film gesehen, "Schneewittchen", im Kino, und von da an habe ich, weil ich mich so gefürchtet habe vor der Hexe, dass ich beschlossen habe, diese Angst zu bekämpfen, indem ich selber die Hexe spiele, und das war dann sozusagen meine erste Rolle in einer Schulaufführung. Da habe ich mich sofort beworben in "Schneewittchen" für die böse Königin.

Scholl: Sehen Sie, das freut mich jetzt aber sehr, dass Sie sagen, dass Sie sich so grauten vor der Hexe, weil ich bin frühkindlich eigentlich traumatisiert worden durch "Hänsel und Gretel", damals kannte man das Wort noch nicht, weil ich die Hexe so gräulich fand, und die Kinder im Wald ausgesetzt und im Käfig eingesperrt, also bis ich zehn war, dachte ich: Um Gottes willen, das passiert mir irgendwann auch. Die Stoffe haben es ja in sich – wie ging es denn Ihnen damit?

Thalbach: Ja, aber das fand ich gerade toll. Also ich fand Sich Graulen, das fand ich geradezu begehrenswert. Ich glaube, das ist ja auch das Faszinierende, dass natürlich gerade die bösen Figuren – ich fand übrigens bei "Hänsel und Gretel" die Eltern immer wesentlich furchtbarer als die Hexe. Bei der Hexe war es klar, die ist böse und ...

Scholl: Weil sie die Kinder in den Wald schicken?

Thalbach: Ja, das fand ich schrecklich, dass sie sagen, sie setzen die aus. Das fand ich wirklich furchtbar, da fand ich ja die Hexe noch okay, die hat ja nie vorgegeben, irgendwie eine nette Frau zu sein, oder ganz am Anfang. "Das Märchen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen", das habe ich auch immer sehr geliebt, aber ich fand es fast schade, dass man das so gar nicht richtig schaffen konnte bei ihm – gut, am Schluss schafft man es natürlich auch … Wobei ich dieses Prickeln bei den unheimlichsten Sachen natürlich immer gerade das Tolle daran fand.

Scholl: Wie haben denn die Märchen Sie später weiterbegleitet? Sie sind ja in der DDR groß geworden, die DEFA-Märchenfilme waren ein Markenzeichen – Sie haben ja auch mitgespielt?

Thalbach: Ja, ich habe leider, leider nur in einem mitmachen dürfen, "Das blaue Licht", der läuft auch noch ab und zu, und die haben sie ja Gott sei Dank alle auf DVD, weil ich glaube, das sind wirklich fantastische Märchenfilme, also "Das kalte Herz" und "Der kleine Muck" – "Das kalte Herz", wirklich, das hat mir Grausen eingejagt, meiner Tochter, und sogar meiner Enkeltochter, der man wirklich schwer beikommen kann, was Fürchten betrifft.

Scholl: Heute werden die Märchen ja durchpsychologisiert und psychoanalytisch auch gedeutet.

Thalbach: Ja, schrecklich.

Scholl: Mir ist es manchmal zu viel Intellekt, wie geht es Ihnen? Interessieren Sie solche Zusammenhänge?

Thalbach: Nein, überhaupt nicht. Ich finde das so langweilig, also das interessiert mich überhaupt nicht. Aber ich bin sowieso nicht so ein – ich würde mich auch nicht auf eine Couch legen.

Scholl: Was würden Sie denn sagen, was diese Märchen so bedeutend und besonders macht, dass sie auch wirklich diese internationale Wirkung auch gehabt haben, dass sie sich wirklich in der ganzen Welt verbreitet haben?

Thalbach: Ich glaube, das ist natürlich diese Art Prototypen, also das Gute und das Böse, und dann natürlich aber auch – ich weiß gar nicht, sind das nur die Grimmschen Märchen? Das ist mir jetzt gar nicht so bewusst, "1001 Nacht" haben ja, glaube ich, dieselbe Bedeutung, oder wenn ich an die ganzen Trollmärchen oder Andersen – gut, das waren ja wieder ganz andere Märchen. Märchen finde ich im Allgemeinen ... es ist so viel möglich. Und es kann alles passieren, das Wunder lauert überall, wie auch das Böse überall lauert. Aber die schönen Sätze "Es war einmal ... " und " ...und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute", das hat ja auch viel auch was sehr Tröstliches, dass etwas so unvergänglich ist.

Scholl: Deutschlandradio Kultur, unser Grimmscher Tag heute im "Radiofeuilleton" anlässlich des Jubiläums der Kinder- und Hausmärchen, wir sind im Gespräch mit der Schauspielerin Katharina Thalbach. Ich habe die diversen Märchenhörbücher von Ihnen schon erwähnt, Frau Thalbach, es gibt etliche Klassiker, die Sie vorlesen: "Das tapfere Schneiderlein", "Schneewittchen", "Der Wolf und die sieben Geißlein" – sind das so Lieblinge von Ihnen?

Thalbach: Nein, ich habe in der Zwischenzeit, glaube ich, so viele Grimmsche Märchen gelesen auf so unterschiedlichen CDs, ich weiß gar nicht mehr, was ich alles gelesen habe.

Scholl: Als Schauspielerin sind Sie für eine ZDF-Produktion mal in die Rolle des Rumpelstilzchens geschlüpft, wie kam es dazu? Mögen Sie diese Figur besonders?

Thalbach: Ja, also "Rumpelstilzchen" war ein Märchen, was mich immer sehr, sehr fasziniert hat, und diese Figur – "Ach, wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß!" –, das war für mich ein unvergesslicher Vers, und der Gedanke, dass ich das spielen könnte, das fand ich fantastisch. Das Zwergenhafte ist mir eh etwas gegeben, und dieses Zwischenwesen, was ja auch fast was Geschlechtsloses hat – da dachte ich, ich bin die Idealbesetzung, das muss ich spielen. Ich habe mich da richtig beworben.

Scholl: Und wie war das dann, mal so eine weltberühmte Figur zu spielen, ja, zu interpretieren auch, so einen eigenen Stempel aufzudrücken? Jeder kennt diese Figur, jeder hat ein Bild vor Augen.

Thalbach: Ja, ich habe mir, glaube ich, meine Kinderbilder ... ich habe da gar nicht so viel nachgedacht, ich war es einfach.

Scholl: Zurzeit spielen Sie ja mit Ihrer Tochter Anna hier in Berlin in der Komödie am Kurfürstendamm. Die haben Sie auch mit Ihrer Leidenschaft angesteckt, wie man hört, sie tritt ja auch als Märchenerzählerin auf.

Thalbach: Ja, das macht sie. Also Anna konnte ja schon, bevor sie überhaupt zur Schule ging, lesen, und ich habe ihr dann natürlich auch meine alten Märchenbücher, die ich ja aufbewahrt habe bis heute, habe ich ihr alle gegeben, weil ich auch irgendwie wollte, dass sie mit denselben Bildern, mit denselben Illustrationen einhergeht, und Lesen war für sie immer eine großen Leidenschaft. Das ging so zwanglos ineinander über, also das war ganz klar, dass wir da dieselben Leidenschaften haben.

Scholl: Und wie hat sie auf die Märchen reagiert? Hat sie sich auch vor der Hexe so gegräult?

Thalbach: Ja, Anna hat Geister, glaube ich, immer sehr, sehr ernst genommen, also bis heute, und ich glaube, die hat sie noch ernster genommen als ich, und sich noch mehr gefürchtet als ich, was mir auch viel Spaß gemacht hat, als Mutter, ihr so ein bisschen Angst einzujagen.

Scholl: Und der "Raub der Sabinerinnen", den Sie aufführen, das ist im Grunde ja auch eine Art Märchenstoff, oder?

Thalbach: Ja, aber es ist schon auf eine bestimmte Art und Weise fast ein wahres Märchen. Es ist auf jeden Fall eine Liebeserklärung ans Theater, wo eben auch sehr viel möglich ist, und es ist vor allen Dingen eben auch ein Happy End, also das ist ganz wichtig dabei. Aber es ist, ja, es ist ein bisschen märchenhaft.

Scholl: Wenn die beiden Grimms Ihnen begegnen würden, Frau Thalbach, jetzt hier vielleicht so Ihnen gegenübersitzen, Jakob und Wilhelm, was würden Sie sie fragen?

Thalbach: Ich glaube, ich würde sie fragen, welches Märchen sie von wem gehört haben. Das hätte mich sehr interessiert, weil ich natürlich diese Geschichten, wie sie die Märchen gesammelt haben, das fand ich so faszinierend, was das für eine Recherche gewesen sein muss, und wer ihnen da alles über den Weg gelaufen ist, und in welchen Situationen sie da welche Geschichten gehört haben. Aber ich glaube, vor allen Dingen würde ich Ihnen danke sagen.

Scholl: Und davon, wie diese Märchen entstanden, darüber werden wir hier im "Radiofeuilleton" noch viel hören in den nächsten zwei Stunden. wir bedanken uns erst mal bei Ihnen, Frau Thalbach, für das Gespräch! Wie gesagt, es gibt verschiedene CDs mit Märchen, gelesen von Katharina Thalbach – vielleicht ein nettes Weihnachtsgeschenk –, und bis 31. Dezember kann man Katharina und Anna Thalbach noch hier in der Komödie am Kurfürstendamm im "Raub der Sabinerinnen" sehen. Danke schön!

Thalbach: Vielen Dank!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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