Das Wohnzimmer Gottes

Von Thomas Kroll |
Jugendkirchen entwickeln sich zunehmend vom experimentellen Projekt zur etablierten Institution. Im Wuppertal tauschen sich verschiedene Einrichtungen bei einem Ökumenischen Symposium aus.
Marie Rehme: „Also ich sehe das so: Ich bin ganz normal evangelisch getauft worden und hab’ meine Konfirmation dann irgendwann gemacht, hatte aber nie viel Kontakt zur Kirche. Und dadurch, dass ich hier Theater spiele, immer in diesen Räumlichkeiten bin, viel mit Leuten mich dann auseinandersetze, abends dann mal eine Diskussion führe, die ich sonst nicht geführt hätte, wird doch das Thema Gott öfter behandelt und wird für mich auch greifbarer. Und ich hab’ dadurch ‘ne Möglichkeit, meinen Glauben anders zu erfahren und besseren Zugang dazu zu finden.“

Thorben Fröhlich: „Einfach mal mitgekommen, geguckt und dabei geblieben.“

Marie-France Eisner: „Natürlich ist es ein bisschen schwierig, in unserer heutigen Zeit wirklich zu sagen „ich glaube“, weil es gibt viele Sachen, die es vielleicht dann auch erschüttern, aber ich denke, jeder hat seine eigene Form, an Gott zu glauben. Und ich denke, hier in der Jugendkirche sind wir auf einem sehr guten Weg, dass eben jeder das so ausleben kann, wie er das möchte und keiner in irgendwelche Formen gepresst wird.“

Alexander Schaper: „Klar sind wir hier Kirche, aber wir machen auch coole Sachen für Jugendliche, für junge Erwachsene, für jeden an sich, der kirchlichen Hintergrund hat oder einfach mal so reinschnuppern will.“

Sommerfest in und rund um die Lutherkirche in Hannover. Die hat man vor sechs Jahren zur Jugendkirche umgebaut. Alle Bänke sind entfernt, nur der Altar steht noch an der alten Stelle. Entstanden ist ein multifunktionaler Raum mit moderner Licht- und Tontechnik. Zwei große Kuben mit rundum gläsernen Fronten und rotem Dach dominieren den hinteren Kirchenraum. Sie dienen als Raumteiler. In einem befindet sich eine Theke samt Espressomaschine.

„Also das Kirchengebäude als solches ist ja erhalten geblieben und dadurch, dass das entkernt ist, hat das ja seinen Charakter nicht verloren.“

Jürgen Jeremia Lechelt ist Berufsschuldiakon. Er erteilt Religionsunterricht an einer öffentlichen Kaufmännischen Schule und arbeitet mit in der Jugendkirche Hannover.

„Das ist ‘ne gute Sache für Jugendliche gerade in der Verbindung mit Schule und Kirche, weil wir machen hier Projektarbeit mit Schülerinnen und Schülern. Die kriegen dann noch mal einen neuen Zugang zur Kirche.“

„Die docken erstmal über Theaterprojekte an, bleiben dann hier für ‘ne Zeit in dem Projekt und interessieren sich dann auch für Gottesdienste, für spirituelle Sachen und gestalten selber.“

Steffi Krapf. Die Kulturpädagogin steht beim Sommerfest hinter dem Tonmischpult. Gemeinsam mit dem Berufsschuldiakon, mit Pastor Torsten Pappert und weiteren Hauptamtlichen, mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen verwirklicht sie in der Jugendkirche Theater-, Musik- und Fotoprojekte, Lesungen und Feste, Gottesdienste und Andachten.

„Also: Wir holen Jugendkultur in die Kirche und wir sakralisieren gleichzeitig die Jugendkultur, wobei die Jugendkultur uns profanisiert.“

Das klingt provokativ und will sagen: Die weltliche Jugendkultur zieht in die Kirchen ein, in den Bereich des Heiligen. Und so gewinnt der kirchliche Raum eine stärkere Verbindung zur normalen Welt. Was sind die praktischen Folgen? Wie reagiert die Gemeinde?

„Sie feiert ganz normal sonntagmorgens um halb zehn ihren Gottesdienst, und am Anfang, als die Jugendkirche gestartet ist, gab es da sehr große Befürchtungen und Ängste, dass das ja dann alles ganz fürchterlich wird. Und im Moment ist es so, dass die Jugendkirche die gute Stube geworden ist beziehungsweise das Wohnzimmer Gottes, und da passiert jeden Tag was, und die Gemeinde profitiert davon auch, dass Kirche ganz lebendig ist.“

Jugendkirche als Wohnzimmer Gottes. Das hätten sich vor neun Jahren nur wenige träumen lassen. Da wurde in Oberhausen die katholische Mutterkirche aller Jugendkirchen eröffnet. Die hat inzwischen viel Nachwuchs bekommen.

In Nord und Süd, in Ost und West entstehen Jugendkirchen und Jugendgemeinden unterschiedlicher Art. Jugendkirchen arbeiten raum-, programm- und eventorientiert. Jugendgemeinden hingegen ähneln Studentengemeinden, sind stärker beziehungsorientiert. Allein in der Evangelischen Kirche im Rheinland zählt man derzeit mehr als 50 Projekte. Landesjugendpfarrerin Simone Mechels betont:

„Die Erfahrung ist die, dass die Projekte wachsen, wo eigentlich der Impuls von der Basis kam, nämlich von Jugendlichen, die gesagt haben: Wir suchen, wir wollen einen Ort haben, wo wir unsere Spiritualität leben können, und wo sie einfach auch in der Planung, in der Leitung von Anfang an dabei sind, wo sie dem ganzen Projekt ihre Stoßrichtung geben können und nicht etwas übernehmen, was in den Köpfen – gut gemeint, ganz ohne Zweifel – von Erwachsenen entstanden ist.“

Jugendkirchen sind anfangs oft Projekte auf Zeit, werden aber mehr und mehr zu etablierten Einrichtungen und zu festen Größen in der Jugendarbeit.

Simone Mechels: „Die wissenschaftliche Begleitung dieser Projekte zeigt eben auch, dass es ‘ne wichtige Bewegung innerhalb unserer Kirchen ist, die, glaube ich jedenfalls, nicht einfach ‘ne Eintagsfliege ist. Und da ist einfach die Frage ganz nahe liegend: Wie viel Institution braucht so eine etablierte Jugendkirche?“

Institution Jugendkirche? Das ist die Leitfrage beim dritten ökumenischen Symposion, das morgen in Wuppertal beginnt. Dort treffen sich Vertreterinnen und Mitarbeiter aller Jugendkirchen im deutschsprachigen Raum.

„Das ist ‘ne wichtige Zusammenkunft für uns, weil wir uns tatsächlich noch mal darüber verständigen können oder darüber diskutieren können, was Standards der Jugendkirchenarbeit sind. Und wir werden einfach durch die Kolleginnen und Kollegen bereichert durch ihre Erfahrungen und wir können natürlich auch das einbringen, was wir gut können oder wovon wir überzeugt sind.“

Thorsten Schmölzing, Diözesanjugendseelsorger im Bistum Münster und Pfarrer der Münsteraner Jugendkirche „Effata“.

Ein Schwerpunkt des ökumenischen Symposions sind die zahlreichen Workshops. Im Programm liest man zum Beispiel:

„1. Jugendkirchen und Kirche – Workshop zu den Eröffnungsreferaten ...
2. Jugendkirchen und ... Milieus.“

Simone Mechels: „Das find ich sehr spannend, auch noch mal zu gucken: Welche Leute werden in Jugendkirchen angesprochen? In welchen Milieus können sie entstehen, wachsen sie? Wer sind die Leute, die sich ansprechen lassen?“

„8. ‚Start up – der countdown einer Jugendkirche’ – Tipps und Tricks, Management und Organisation
9. ‚Hast Du mal ’nen Euro?’ Wie erfolgreiches Fundraising funktioniert.“

„Es ist oft so, dass Gemeinden oder Kirchenkreise das unterstützen und sagen: Ja, wir geben euch ‘ne Starthilfe. Aber um so ein Projekt lange am Leben zu halten, da muss man schon gucken: Wie kriegt man ‘ne Regelmäßigkeit, wie kriegt man kontinuierliche Spenden, dass so etwas leben kann.“

Simone Mechels, Landesjugendpfarrerin der Evangelischen Kirche im Rheinland.

Jugendkirchen sind nicht nur für junge Menschen da. Sie werden von ihnen in Besitz genommen und aktiv mitgestaltet – in Begleitung professioneller Pädagogen und Theologen. So finden gleichzeitig Kultur, Spiritualität und Liturgie junger Menschen in der Kirche Ausdruck und Raum. Umgekehrt findet Gott einen konkreten Ort im Erleben und Gestalten, im Singen und Beten junger Menschen – beim Event und im Alltag.

Thorsten Schmölzing: „Der besondere Anspruch der Jugendkirche besteht darin, dass wir versuchen, eine Brücke zu bauen zwischen der Lebenswirklichkeit von Jugendlichen, dem Leben von jungen Leuten und der Wirklichkeit Gottes.“

Service:
3. Ökumenisches Symposion zum Thema Jugendkirchen
27.-29. September 2009
Wuppertal