Das Werden eines preußischen Offiziers

05.12.2007
Als Generalstabschef des Heeres war Ludwig Beck von 1935 bis 1938 Mitgestalter von Hitlers Wehrmacht. Während der Sudetenkrise trat er aus Protest gegen Hitlers Kriegspolitik zurück. Als einer der führenden Köpfe des nationalkonservativen Widerstandes opferte Beck sein Leben. Der namhafte Militärhistoriker Klaus-Jürgen Müller beschreibt Beck in seiner ausführlichen Biographie jedoch nicht nur als Mann des 20. Juli-Widerstandes, sondern als preußisch-deutschen Offizier, der eine Ausnahmeerscheinung im Offizierskorps war. Es war weniger der militärische Drill als der bildungsbürgerliche Einfluss, der das Leben und die Entscheidungen Becks prägte.
Ludwig Beck wuchs in einem bildungsbürgerlichen Haus auf: der Vater Wissenschaftler und Unternehmer, die Mutter aktiv in karitativen Einrichtungen. Literatur und Musik spielten bei den Becks eine große Rolle. Die gediegene Erziehung am humanistischen Gymnasium und in der Familie des wilhelminischen Bildungs- und Besitzbürgertums hat Ludwig Beck stark geformt. Er wählte den Beruf des Soldaten und stieß im Offizierskorps auf Männer, die eine andere Sozialisation mitbrachten - als Söhne junkerlicher Gutsbesitzer oder aus dem Kadettenkorps.

Klaus-Jürgen Müller, bis 1995 Professor an der Universität der Bundeswehr Hamburg, hat sich seit vielen Jahren mit dem Leben Ludwig Becks befasst. In seiner großen Biographie stellt er ganz bewusst das Leben des Offiziers nicht nur unter dem Aspekt des Widerstandskämpfers dar. Das würde ihm nicht gerecht, hat er doch 40 Jahre seines Lebens als aktiver Offizier verbracht.

Als Fahnenjunker trat er 1898 in die preußische Armee ein, absolvierte als einer der Besten die Militärakademie, erlebte den Ersten Weltkrieg als Generalstabsoffizier in verschiedenen Oberkommandos an der Westfront. Während des Krieges heiratete Beck die geliebte Amalie Pagenstecher, die Mutter seiner Tochter. Das Liebesglück währte jedoch nicht lange, bereits ein Jahr nach der Hochzeit starb die junge Frau. Beck hing dieser Liebe lebenslang nach.

Trotzdem gab es nicht viel Privates im Leben Ludwig Becks, dazu war gar keine Zeit. Auch die Biographie beschränkt sich auf wenige Absätze, was unter anderem der schwierigen Quellenlage geschuldet ist. Umso ausführlicher beschreibt Biograph Müller "Das Werden eines preußischen Offiziers".

Am Ende des Ersten Weltkrieges liegt die Welt, für die Beck gekämpft hat, in Trümmern. Der Anhänger einer parlamentarischen Monarchie setzt sich jetzt für die Rettung des Nationalstaats ein, dafür akzeptiert er sogar die parlamentarische Republik, die er aber nie wirklich favorisiert.

Als Hitler die Macht übernimmt, ist Beck General. Den Machtwechsel begrüßt er mit Genugtuung. Allzu gern hört er Hitler von der "Zwei-Säulen-Theorie" reden, der neue Staat soll auf den beiden Säulen Armee und Partei gleichermaßen ruhen. Beck beansprucht für das Militär eine der Politik gleichberechtigte Führungsrolle, die in der Weimarer Republik längst abgeschafft war.

Unter Hitler ist das Militär ohne parlamentarische Kontrolle und kann der politischen Führung als Berater zur Seite stehen. Beck selbst, als Generalstabschef des Heeres, sorgt für die rasche Aufrüstung. Auch er strebt Deutschlands Aufstieg zur Großmacht an. Als Hitler jedoch selbst Oberbefehlshaber wird, erkennt Beck allmählich, dass das Militär zur reinen Funktionselite und zum ausführenden Organ verkommt.

Die Sudetenkrise führt ihn mehr und mehr in die Opposition. Gegen eine Besetzung der Tschechoslowakei hat er im Prinzip nichts einzuwenden, hält sie aber zu dem frühen Zeitpunkt, 1938, für nicht sinnvoll. Als er merkt, dass er in dieser Frage auf Hitler keinen Einfluss nehmen kann, will der den Rücktritt aller Generale erreichen. Das Vorhaben misslingt. So reicht Beck im August 1938 seinen eigenen Rücktritt ein.

Seine politischen Vorstellungen zielten auf eine Umstellung des NS-Systems: Meinungs- und Glaubensfreiheit, Rechtsstaatlichkeit, Staats- statt Parteiherrschaft, wesentlicher Einfluss der Wehrmacht auf die Politik des Staates waren seine Forderungen. Anders als Historiker wie Helmut Krausnick, der frühere Leiter des Münchener Instituts für Zeitgeschichte, oder Peter Hoffmann, der in Montreal lehrt, sieht Müller hier jedoch noch nicht den Anfang eines Systemüberwindenden Widerstands. Beck ging es darum, die Zwei-Säulen-Struktur des Regimes wiederherzustellen und gleichzeitig die Folgen der Hitlerschen Kriegspolitik zu verhindern. Eine Demokratie wollte er nicht.

Müller beschreibt Beck als einen preußisch-deutschen Offizier, der von Anfang an bei allem preußischen Pflichtbewusstsein ein kritischer Geist war und seine Meinung frei äußerte, auch schon als junger Mann in der Offiziersausbildung. Er beschreibt ihn als einen Mann der Kontinuität, der seine charakterliche Authentizität und seine intellektuelle Redlichkeit, die im familiären Milieu ihre Grundlage hatten, stets bewahrte, als Soldat und später im Widerstand.

Müller beschreibt jedoch auch die andere Seite Becks, die durch Brüche gekennzeichnet ist. Der Offizier, der zunächst kriegerische Lösungen zwischenstaatlicher Konflikte als natürliches Gesetz angesehen hat, skizzierte in der letzten Phase seines Lebens ein Konzept des friedlichen Zusammenlebens der Völker und Staaten unter der Herrschaft des Rechts.

Müller setzt in seiner ausführlichen, gut lesbaren Biografie nicht den Focus auf die Widerstandsjahre, durch die Beck bekannt wurde, sondern er lässt das ganze Leben facettenreich Revue passieren. Wenn er dann im Epilog die moralische Kraft, die Überzeugungstreue und Geradlinigkeit hervorhebt, die Beck immer bewahrte, ist das keine Lobhudelei, sondern ein glaubwürdiges Resümee.

Rezensiert von Annette Wilmes

Klaus-Jürgen Müller: "Generaloberst Ludwig Beck - Eine Biographie"
Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2007
835 Seiten. 39,90 EUR