Das Wasser formt nicht nur die Landschaft
Geht der Genius Loci verloren, wenn in einer globalisierten Welt Mobilität und Ortsunabhängigkeit zum Kennzeichen erfolgreicher Lebensführung werden? Das Land Sachsen-Anhalt, dem für die nächsten 20 Jahre ein Bevölkerungsrückgang um 20 Prozent prognostiziert wird, scheint zu den Verlierern dieser Entwicklung zu gehören.
Doch gerade Sachsen-Anhalt ist reich an Orten, die neue Bindungskräfte entfalten könnten. Das Biosphärenreservat, die Dessau-Wörlitzer Kulturlandschaft, das Bauhaus oder die Luthergedenkstätten sind Beispiele dafür. Welche Impulse können von diesen Orten für eine kulturelle Identität des Landes ausgehen? Und welchen Beitrag leistet eine solche kulturelle Identität zur Bewältigung des Wandels im Schrumpfungsprozess? Hat der Genius Loci ein Potenzial, das in Problemsituationen aktiviert werden kann, um die Attraktivität der Städte und Dörfer für Bewohner wie Touristen zu stärken? Das Buch "genius loci " enthält Beiträge mit den Schwerpunkten Philosophie und Ethnologie (Gennaro Ghirardelli), Naturschutz und Landschaftsarchitektur (Stefan Körner), Architektur und Planung (Dr. Tomas Valena) sowie Spiritualität und Religion (Birgit Neumann). Abgerundet wird er durch Statements der Direktoren der UNESCO-Stätten.
Den Genius Loci, also Geist, Atmosphäre, vor allem aber Individualität eines Ortes haben die vier Unesco-Weltkulturstätten in Sachsen gemeinsam erkundet. Und dabei ergab sich, für das Gartenreich Wörlitz ebenso wie für das Bauhaus Dessau und die Luthergedenkstätten, eine verblüffende Gemeinsamkeit, die Guido Puhlmann vom Biosphärenreservat Elbe formuliert:
"Die Urmaterialie für das Gartenreich ist ja eine sehr unberührte Elb- und Muldelandschaft gewesen, eine Auenlandschaft, ein sehr dynamischer Lebensraum. Jedes Hochwasser, jedes Niedrigwasser formt die Landschaft um. "
In Sachsen-Anhalt also ist der Genius Loci ein wundersamer Geselle, ein Kobold, kaum zu fassen, weil er über die Jahrzehnte seine Gesichter wechselt. Aber neben der Natur, mitten in einer Landschaft im und am Fluss gibt es ja noch die Städte - und die verheißen Orientierung im kulturell überformten Gelände:
"Es gibt keine Landschaft ohne Orte. Naturschutz ist eine Kulturaufgabe, das leistet man sich erst, wenn man eine bestimmte Kulturstufe in der Gesellschaft erreicht hat. Ich denke, dieses Bewusstsein kann man nur über Orte bekommen, über Orte im Wandel und ganz persönliche Orte."
Und Wittenberg zum Beispiel, die Lutherstadt, hat diese ganz eigene, von vielen Besuchern individuell interpretierte Geschichte, weiß Stefan Rhein als Direktor der Luthergedenkstätten zu berichten:
"Es gibt natürlich auch - wir nennen sie die Hardcore-Lutheraner - es gibt Menschen, die durch Wittenbergs Straßen gehen und Luthers Luft einatmen. Wenn Sie es reliquienmäßig sehen wollen: Amerikanische Gruppen, die Luthers Grabplatte berühren. Die reine Intellektualisierung rettet uns da nicht, sie muss immer wieder verortet, verdinglicht werden."
Damit haben amerikanische Religionstouristen bereits im 19. Jahrhundert begonnen: Von Luthers Tisch, so verrät Rhein, haben diese seltsamen Reliquiensammler kaum einen Originalsplitter übrig gelassen. Gleich nebenan aber, in Eisleben mitten im "roten" Mansfeld mit kaum mehr als acht Prozent Christen, herrscht ein ganz anderer genius loci, da hat die materielle Verarmung geistige, mentale Verwerfungen gezeitigt:
"Sie sehen, das ist eine ganz eigene Tradition, die den genius loci umdefiniert: Luther in Eisleben ist nicht der Reformator, Luther in Eisleben ist der Bergmannssohn. Das ist ausschließlich die Perspektive des Bergbaus - und die ist nicht unbedingt international kommunizierbar."
Im Zentrum einer internationalen Kommunikation steht dagegen das Bauhaus Dessau - mit unvermuteten Folgen. Als es um eine kritische Rekonstruktion, also um eine dem gewandelten genius loci Rechnung tragende Sanierung der Meisterhäuser von Gropius und anderen Bauhaus-Größen ging, schlug dem Stiftungsdirektor Omar Akbar eine Protestwelle entgegen:
"Ich wusste nicht, dass Bauhaus-Fundamentalisten existieren. Viele leben in Amerika, sind in der Regel zwischen siebzig und 95 Jahre alt. Und wenn Sie da etwas Falsches sagen sollten, aus deren Sicht, dann werden Sie durch die gesamte internationale Presse gejagt als Frevler!"
Auch die kühlen Konstruktionen der Moderne, die Häuser aus Glas und Stahl sind mit Geschichte aufgeladen, ächzen zuweilen unter der Last des Mythos. Und das verbindet Akbar mit Thomas Weiß, dem Direktor der Kulturstiftung Dessau-Wörlitz. Dieses Gartenreich ist voll von symbolhaften Bauten. In einer Epoche der Aufklärung waren sie als Bildungsmonumente gedacht - und müssen heute das Pfund abgeben, mit dem Tourismusmanager wuchern:
"Ich bin mir oftmals gar nicht so im Klaren, wie wir diese Kulturlandschaft der nächsten Generation übergeben werden: Mit genius loci oder einfach nur als eine Landschaft, die gnadenlos irgendwelche events abspult."
Aber auch von anderer Seite wird - gut gemeint - der genius loci bedroht. Wenn etwa in Dessau-Waldersee betonierte Spundwände die Elbufer sichern, geht damit eine extreme Überformung der Kulturlandschaft einher. Das aber, so betont Guido Puhlmann vom Biosphärenreservat, muss nicht sein. Denn wirklich gute Technik, überlegte Baukunst kann den Geist eines Ortes auch beflügeln:
"Das ist genau das Spannungsfeld, da könnte man anfangen mit Ingenieurskunst. Richtige Ingenieure braucht man immer da, wo DIN-Vorschriften oder Normen aufhören. Denn die Kunst ist, diese Normen, die man hat, auf den speziellen Ort oder die Landschaft runterzubringen."
Sie haben mit Blick auf ihren genius loci viel voneinander gelernt, der Architekt und der Kulturhistoriker, der Biologe und auch ein Theologe wie Stephan Rhein, der durch die Mitarbeit an dem neuen Sammelband auf das Problem der "Killerpflanzen" gestoßen wurde, jener durch Globalisierung und verstärkte Mobilität eingeschleppten fremden Flora, die hin und wieder einheimische Arten verdrängt. Ein wichtiges Problem, denn:
"Welche Pflanzen nehme ich als eigene, welche als fremde? Wie mache ich Landschaftsplanung, denn auch Pflanzenverwendung ist nicht einfach gegeben, sondern geht von kulturellen, ja politischen Voraussetzungen aus. "
Das Buch "genius loci" ist erhältlich bei den vier Unesco-Stätten oder im Buchhandel; ISBN 3-935971-18-4
Den Genius Loci, also Geist, Atmosphäre, vor allem aber Individualität eines Ortes haben die vier Unesco-Weltkulturstätten in Sachsen gemeinsam erkundet. Und dabei ergab sich, für das Gartenreich Wörlitz ebenso wie für das Bauhaus Dessau und die Luthergedenkstätten, eine verblüffende Gemeinsamkeit, die Guido Puhlmann vom Biosphärenreservat Elbe formuliert:
"Die Urmaterialie für das Gartenreich ist ja eine sehr unberührte Elb- und Muldelandschaft gewesen, eine Auenlandschaft, ein sehr dynamischer Lebensraum. Jedes Hochwasser, jedes Niedrigwasser formt die Landschaft um. "
In Sachsen-Anhalt also ist der Genius Loci ein wundersamer Geselle, ein Kobold, kaum zu fassen, weil er über die Jahrzehnte seine Gesichter wechselt. Aber neben der Natur, mitten in einer Landschaft im und am Fluss gibt es ja noch die Städte - und die verheißen Orientierung im kulturell überformten Gelände:
"Es gibt keine Landschaft ohne Orte. Naturschutz ist eine Kulturaufgabe, das leistet man sich erst, wenn man eine bestimmte Kulturstufe in der Gesellschaft erreicht hat. Ich denke, dieses Bewusstsein kann man nur über Orte bekommen, über Orte im Wandel und ganz persönliche Orte."
Und Wittenberg zum Beispiel, die Lutherstadt, hat diese ganz eigene, von vielen Besuchern individuell interpretierte Geschichte, weiß Stefan Rhein als Direktor der Luthergedenkstätten zu berichten:
"Es gibt natürlich auch - wir nennen sie die Hardcore-Lutheraner - es gibt Menschen, die durch Wittenbergs Straßen gehen und Luthers Luft einatmen. Wenn Sie es reliquienmäßig sehen wollen: Amerikanische Gruppen, die Luthers Grabplatte berühren. Die reine Intellektualisierung rettet uns da nicht, sie muss immer wieder verortet, verdinglicht werden."
Damit haben amerikanische Religionstouristen bereits im 19. Jahrhundert begonnen: Von Luthers Tisch, so verrät Rhein, haben diese seltsamen Reliquiensammler kaum einen Originalsplitter übrig gelassen. Gleich nebenan aber, in Eisleben mitten im "roten" Mansfeld mit kaum mehr als acht Prozent Christen, herrscht ein ganz anderer genius loci, da hat die materielle Verarmung geistige, mentale Verwerfungen gezeitigt:
"Sie sehen, das ist eine ganz eigene Tradition, die den genius loci umdefiniert: Luther in Eisleben ist nicht der Reformator, Luther in Eisleben ist der Bergmannssohn. Das ist ausschließlich die Perspektive des Bergbaus - und die ist nicht unbedingt international kommunizierbar."
Im Zentrum einer internationalen Kommunikation steht dagegen das Bauhaus Dessau - mit unvermuteten Folgen. Als es um eine kritische Rekonstruktion, also um eine dem gewandelten genius loci Rechnung tragende Sanierung der Meisterhäuser von Gropius und anderen Bauhaus-Größen ging, schlug dem Stiftungsdirektor Omar Akbar eine Protestwelle entgegen:
"Ich wusste nicht, dass Bauhaus-Fundamentalisten existieren. Viele leben in Amerika, sind in der Regel zwischen siebzig und 95 Jahre alt. Und wenn Sie da etwas Falsches sagen sollten, aus deren Sicht, dann werden Sie durch die gesamte internationale Presse gejagt als Frevler!"
Auch die kühlen Konstruktionen der Moderne, die Häuser aus Glas und Stahl sind mit Geschichte aufgeladen, ächzen zuweilen unter der Last des Mythos. Und das verbindet Akbar mit Thomas Weiß, dem Direktor der Kulturstiftung Dessau-Wörlitz. Dieses Gartenreich ist voll von symbolhaften Bauten. In einer Epoche der Aufklärung waren sie als Bildungsmonumente gedacht - und müssen heute das Pfund abgeben, mit dem Tourismusmanager wuchern:
"Ich bin mir oftmals gar nicht so im Klaren, wie wir diese Kulturlandschaft der nächsten Generation übergeben werden: Mit genius loci oder einfach nur als eine Landschaft, die gnadenlos irgendwelche events abspult."
Aber auch von anderer Seite wird - gut gemeint - der genius loci bedroht. Wenn etwa in Dessau-Waldersee betonierte Spundwände die Elbufer sichern, geht damit eine extreme Überformung der Kulturlandschaft einher. Das aber, so betont Guido Puhlmann vom Biosphärenreservat, muss nicht sein. Denn wirklich gute Technik, überlegte Baukunst kann den Geist eines Ortes auch beflügeln:
"Das ist genau das Spannungsfeld, da könnte man anfangen mit Ingenieurskunst. Richtige Ingenieure braucht man immer da, wo DIN-Vorschriften oder Normen aufhören. Denn die Kunst ist, diese Normen, die man hat, auf den speziellen Ort oder die Landschaft runterzubringen."
Sie haben mit Blick auf ihren genius loci viel voneinander gelernt, der Architekt und der Kulturhistoriker, der Biologe und auch ein Theologe wie Stephan Rhein, der durch die Mitarbeit an dem neuen Sammelband auf das Problem der "Killerpflanzen" gestoßen wurde, jener durch Globalisierung und verstärkte Mobilität eingeschleppten fremden Flora, die hin und wieder einheimische Arten verdrängt. Ein wichtiges Problem, denn:
"Welche Pflanzen nehme ich als eigene, welche als fremde? Wie mache ich Landschaftsplanung, denn auch Pflanzenverwendung ist nicht einfach gegeben, sondern geht von kulturellen, ja politischen Voraussetzungen aus. "
Das Buch "genius loci" ist erhältlich bei den vier Unesco-Stätten oder im Buchhandel; ISBN 3-935971-18-4