"Das war manchmal eine stürmische Freundschaft"

Volker Schlöndorff im Gespräch mit Matthias Hanselmann · 14.01.2011
Im Berliner Babylon-Kino ist eine Retrospektive der Filme Billy Wilders zu sehen. "Das war ein temperamentvoller Herr", erinnert sich der Regisseur Volker Schlöndorff, der mit Wilder befreundet war.
Matthias Hanselmann: Ein Ausschnitt aus "Manche mögen’s heiß". Heute beginnt im Berliner Babylon-Kino die erste vollständige Retrospektive der Filme Billy Wilders unter dem Motto "Be Billy Wilder". Vor 50 Jahren wurde in Berlin Wilders Film "Eins, Zwei, Drei" gedreht, das Jubiläum dieser Ost-West-Komödie ist der Anlass für die Retro.

Am Sonntag wird im Babylon ein Mann für Fragen und Gespräche zur Verfügung stehen, der selbst inzwischen Filmgeschichte geschrieben hat und der mit Billy Wilder befreundet war. Mit ihm sprechen wir jetzt – guten Tag, Volker Schlöndorff!

Volker Schlöndorff: Guten Tag!

Hanselmann: Sie waren wie gesagt mit Billy Wilder gut befreundet, und das Ganze begann mit einem Brief, den Sie von ihm erhielten. Erzählen Sie uns, was damals passierte?

Schlöndorff: Ja, das war manchmal eine stürmische Freundschaft mit viel Auf und Ab, denn das war ein temperamentvoller Herr, der Billy Wilder. Ich bekam mal einen Brief – mein Gott, das ist 100 Jahre her –, wo er mir ein Kompliment machte zur "Katharina Blum", und schloss mit dem Satz: einfach der beste deutsche Film seit Fritz Langs "M".

Und ich war so verblüfft – ein Brief aus Hollywood, das war zu einer Zeit, als ich ihn noch nicht kannte, von dem von mir verehrten Billy Wilder, dass ich gar nicht drauf geantwortet habe. Und paar Monate später bekam ich einen Anruf aus dem Hotel "Vier Jahreszeiten" in München: Hier Herr Kohner, ich bin der Agent von Billy Wilder. Er hat Ihnen einen Fanbrief geschrieben, den Sie nicht mal wichtig genug genommen haben, um ihn zu beantworten.

Herr Wilder ist hier im Hotel, erwartet, dass Sie herkommen und sich entschuldigen. Das war schon das Ganze vorgetragen, nicht so nüchtern wie von mir hier, sondern mit dem Wiener Charme, Wien-Prager Charme, den der Paul Kohner hatte und den auch Billy hatte.

Dann bin ich mit einer Schachtel feinsten Konfekts da hingegangen, und seitdem haben wir also jahrzehntelang uns immer wieder getroffen, mal in München, mal in Los Angeles, und ich hab ihm meine Filme gezeigt. Bis ich dann schließlich mit ihm gefilmt habe, das heißt, ich habe einfach die Gelegenheit benutzt, als Helmut Karasek für sein Buch sich mit ihm unterhielt, mich mit einer kleinen Kamera einzuschmuggeln und dann meine eigenen Fragen zu stellen.

Und das ist dann also ein drei-, fast fünfstündiges Werk geworden, und er wollte nicht, dass das gesendet wird. Und da habe ich mich gefragt, ja, was hätte er an meiner Stelle getan in den 20er-Jahren, als er rasender Reporter war, und hab’ es einfach auf der BBC gesendet. Und da gab es eine längere Phase, wo wir nicht mehr on speaking terms waren, und dann kam auch irgendwann wieder die Versöhnung.

Hanselmann: Die Versöhnung kam, aber diese Situation, wie sie mit der Schachtel Pralinen ins Hotel "Vier Jahreszeiten" gefahren sind, die will ich doch noch mal genauer wissen. Erst mal: Haben Sie den Brief aus Hollywood sofort ernst genommen?

Schlöndorff: Ja, das hab ich schon, das war irgendwie so klar, der ganze Duktus und alles, das stellt man nicht infrage, da auf Universal-Papier und mit der Unterschrift. Ich konnte mir das auch vorstellen natürlich. Billy Wilder war ja ein Pressefan, da kam er her, vom Journalismus, und er hat ja "Front Page" und immer wieder Figuren von Journalisten gehabt, Kirk Douglas in dem großen Zirkus, und natürlich hat ihm diese Attacke und Darstellung des Reporters und überhaupt des Umgangs der Presse mit der "Katharina Blum" - also der hat das nicht so politisch gesehen, der hat das professionell gesehen. Das muss ihm ja gefallen haben.

Hanselmann: Und Sie haben sich dann auch wirklich entschuldigt?

Schlöndorff: Ja, na ja, natürlich – wie soll ich es sagen –, ich hab da gestanden und gestammelt, und er das aber überhaupt gar nicht zu einem peinlichen Moment werden lassen, sondern hat gleich angefangen, mit mir zu unterhalten, welche Pläne er hat und ich hatte. Und er kam eben nach Deutschland, um seinen vorletzten Film zu drehen, "Feodora".

Hanselmann: Und bei diesen Dreharbeiten durften Sie dabei sein und haben ihn beobachtet, wenn ich das richtig gelesen habe.

Schlöndorff: Da bin ich dann manchmal hingegangen, rausgefahren zur Bavaria, das war schon mal wunderbar. Wenn man mit ihm morgens rausfuhr, dann hielt er unterwegs auf dem Weg in einem Delikatessengeschäft, Typ Käfer, war aber was anderes, und kaufte für die Mittagspause für sich und seinen Drehbuchautor einen Imbiss ein, wunderbare ausgesuchte, kleine marinierte Häppchen oder was auch immer.

Denn er wollte – in der Mittagspause saß er dann zusammen und durfte ich als Gast natürlich auch dabei sein – wollte er nicht mit dem Team zusammen sein. Und das ist so eine kleine Filmlektion gewesen, die ich nicht direkt gebraucht habe, aber seitdem immer eingehalten habe: Es ist sehr gut, wenn man sich ab und zu auch mal vom Team isoliert. Er wollte nicht ermutigen, dass jeder mit seinen Problemen zu ihm kommt und möglichst noch persönlichen, sagte er, ich will für niemand eine Vaterfigur sein.

Hanselmann: Wie war Billy Wilder bei den Dreharbeiten, was spielte sich da ab?

Schlöndorff: Na, also unglaublich quirlig und aufgedreht, und ich glaube nicht nur an den Tagen, wo ich da war, um mir was vorzuführen, denn davon gibt es auch Filmaufnahmen, die Journalisten gemacht haben, Peter Hajek damals. Also er tanzte regelrecht am Set herum. Also immer sein Hütchen irgendwie, eines seiner vielen Hütchen schräg auf dem Kopp, und deutet so an, wie die Szene läuft, wobei er alle Rollen spielte, nicht einem Schauspieler vorspielt, was der zu machen hat, sondern sagt dann, na, hier, da ist dann Matthau, und dann gehst du hier rüber, und da war der William Holden und so. Dann sagt er drei Worte auf Deutsch zur Hildegard Knef und natürlich gleich mit irgendeinem Berliner Einschlag, dann kommt er wieder zurück zu William Holden im wunderbar amerikanischen Slang, und er weckte alle auf dadurch. Er war eigentlich der Entertainer am Set und gab damit sozusagen die Vorgabe: Langweilen darf man sich hier nie!

Hanselmann: Das war sowieso sein Motto?

Schlöndorff: Das unterstelle ich ihm mal, ausgesprochen hat er das nie, aber sein ganzes Leben steht dafür.

Hanselmann: "Never a dull moment" soll er mal gesagt haben.

Schlöndorff: Ja! (lacht)

Hanselmann: Herr Schlöndorff, Sie haben über Billy Wilder geschrieben: Moral verkauft er nur in Schokolade verpackt. Was meinen Sie damit?

Schlöndorff: Das war wiederum ein Satz von ihm, würde ich mal sagen, den hat er auf Lubitsch angewandt und etwas krasser gesagt, Scheiße in Schokolade verpackt. Nein, sein großes Vorbild war Lubitsch. Er hatte auch in seinem Büro einen kaligrafischen Schriftzug "How would Lubitsch do it?". Und nein, das brauchte er nicht zu fragen, weil wir fragen uns heute, wie würde Billy Wilder es machen.

Ja, dass man nie mit seiner Aussage plump rauskommt, sondern dass man das verpackt, dass man bloß nicht ... Er sagte, ich bin ein politisch denkender Mensch, aber Politik im Film ist sehr gefährlich. Weißt du warum? Du verlierst die Zuschauer. Es ging ihm nicht darum, dass er nicht zu seiner Meinung stand, aber er wollte keine Zuschauer verlieren.

Und so hat er sein doch sehr, man kann sagen manchmal geradezu basisdemokratisches Verständnis mit einem Schuss Anarchie, das hat er eben in seine Personen verlegt und immer quer zu der offiziellen amerikanischen Moral, auch zu dem Hanes Code. Das drückt sich dann eben so aus, dass es darf nicht gesagt werden, dass die, sagen wir mal ein paar hier, "The Seven Year Itch" mit Marilyn Monroe, dass die ein Verhältnis, dass die die Nacht bei dem Mann verbracht hat. Und jetzt schmuggelt er rein: Am nächsten Morgen kommt die Putze und macht das Bett von dem Mann, und da liegt eine Haarnadel drin. Das ist alles.

Hanselmann: Wunderbar! Deutschlandradio Kultur, wir sprechen mit dem deutschen Regisseur Volker Schlöndorff über seinen Freund Billy Wilder, von dem ab heute eine vollständige Retrospektive seiner Filme in Berlin zu sehen ist. Herr Schlöndorff, Wilder wohnte knapp zehn Jahre in Berlin, aber er hat noch lange von den Eindrücken gezehrt, die er aus Berlin mitnahm nach Hollywood. Er soll mal gesagt haben, die Berliner Zeit sei seine wichtigste gewesen. Wo finden wir sie denn wieder, diese Berliner Zeit, in den späteren Filmen von Wilder?

Schlöndorff: Ja, also sein berühmtester Film vielleicht neben "Some Like It Hot" ist ja "Das Appartement" und auch mein Lieblingsfilm. Das ist ein Film, der spielt zwar in Manhattan, aber ausgedacht hat er sich den in Berlin, wie jemand seine Wohnung unvermietet an seinen Chef, damit der dort seine Schäferstündchen halten kann.

Ein anderer wunderbarer Film von ihm "Lost Weekend", wie ein Schriftsteller in New York seine Schreibmaschine zum Schluss versetzen muss, weil er ein solcher Alkoholiker ist, dass er nichts mehr zustande bringt und Geld braucht. Sagt er: Wie oft hab ich das in der Joachimstaler Straße gemacht? Es ist ja oft so, dass man irgendwo so von Anfang bis Ende 20 irgendwo eine Zeit seines Lebens verbringt, wo einem alles zufliegt – bei mir war das Paris – und wo man immer wieder noch davon zehrt und drauf zurückkommt.

Hanselmann: Also Wilder hat mehrmals seine Schreibmaschine ins Pfandhaus gebracht, das hab ich daraus jetzt gelernt.

Schlöndorff: Das erzählt er jedenfalls. Ich glaube ihm natürlich kein Wort. Ich glaube, er hat Leute gekannt, die das gemacht haben. Er selbst hat schon damals, also noch zum Ende der Stummfilmzeit, 1927, 28, 29, in Berlin Drehbücher geschrieben schon und auch verkauft und außerdem als Journalist gearbeitet. Ich glaube, er hatte ein goldenes Händchen für Geld, und deshalb glaube ich nicht, dass er die Schreibmaschine verkauft hat.

Er hat ja dann angefangen, Kunst zu sammeln, und zum Schluss war ich dabei bei der Versteigerung der Kunst bei Sotheby’s in New York, und da sagte er: Siehste, jetzt hab ich in einer halben Stunde mehr Geld verdient mit meinem Hobby als in meinem ganzen Leben durch harte Arbeit. Es waren 34 Millionen Dollar.

Hanselmann: Ach, auch nicht so schlecht.

Schlöndorff: Ja.

Hanselmann: Herr Schlöndorff, was haben Sie ganz persönlich bis in Ihre heutige Arbeit hinein mitgenommen von Billy Wilder?

Schlöndorff: Ja, das sind hauptsächlich beim Drehbuchschreiben. Ich kann kaum, wenn ich an einer Seite sitze und mit einem Autor arbeite und überlege, wie löse ich diese Situation, sofort fällt mir immer irgendwie Billy Wilder ein.

Und die Regel, die immer wieder auftaucht, ist, man muss dem Zuschauer um einen Schritt voraus sein, man darf ihm nicht alles vorkauen, sondern der Zuschauer muss zur Mitarbeit aufgefordert werden. Also wie er sagte: Ich darf bestenfalls sagen, "zwei und zwei ist", und dann muss "übrigens, gestern hat es geregnet", ich darf nicht sagen "ist vier". Die Addition muss der Zuschauer selbst machen. Und so auch für die Motivation und die Gefühle seiner Darsteller – das kann man immer nur antippen, und dann muss man weitergehen, damit es im Zuschauer arbeitet.

Hanselmann: Ein guter Tipp für alle jungen Drehbuchautoren, würde ich sagen.

Schlöndorff: Und für die alten auch.

Hanselmann: Für die alten auch. Vielen Dank! Volker Schlöndorff über seinen Freund Billy Wilder. Danke schön, Herr Schlöndorff, für das Gespräch!

Schlöndorff: Tschüss!