Das war 2016

Die wichtigsten Debatten in den Feuilletons

Kinder spielen am 23.06.2016 neben einer Graffiti-Karikatur, die Donald Trump im Flussbett des Rio Grande, zeigt.
Eine Trump-Karikatur in Mexiko © dpa / Sonia Aguilar
Von Hans von Trotha · 31.12.2016
Under My Thumb? Das war einmal. Ab Januar heißt es "Under My Trump" - und der künftige US-Präsident war auch das alles beherrschende Debattenthema in den Feuilletons. Das und was 2016 sonst noch diskutiert wurde, fasst Hans von Trotha zusammen.
(mehrmaliges Tröten)
Angela Merkel: "Was ist ist denn das für ein Apparat?"
Das ist eine Trumpete.
Angela Merkel: "Und was macht die?"
Die können Sie auf Ihrem Smartphone auf Trumpdonald.org durch Wischen rundum so in Position bringen, dass sie die Frisur von Donald Trump in die von Ihnen gewünschte Richtung durcheinanderbringt.
Angela Merkel: "Dreht die sich dauernd oder wie?"

"How the fuck did we get here?"

In diesem kleinen Dialog stecken einige der wichtigsten Feuilletondebatten des Jahres. Nicht nur das die Feuilletons – und damit auch diesen Rückblick – dramatisch überschattende Thema Donald Trump, dessen Wahl der US-amerikanische Comedian John Oliver so kommentierte:
"Er fühlt sich wie ein Student, der in Vegas Party machte, morgens besoffen in der Wüste nackt zusammen mit einem toten Clown an einen Kaktus gefesselt aufwacht und nur zwei Fragen hat: 'How the fuck did we get here? And: What the fuck do we do now?'"
Den Dialog mit Angela Merkel hat es so natürlich nicht gegeben. In Wahrheit spricht Merkel hier über eine 360-Grad-Kamera, die sie auf dem Essener CDU-Parteitag entdeckt.
Angela Merkel: "Und wem gehört diese 360-Grad-Kamera? - Die gehört der CDU. Na."
Rundum also alles in Ordnung bei der CDU. Sie aber haben nun die Wahl, ob Sie den Umstand, dass es den Dialog, den Sie gerade gehört haben, nicht gegeben hat, als "Fake News" betrachten oder vielleicht als "postfaktische" Berichterstattung, immerhin das "Wort des Jahres".

Fake News, postfaktisch, Lügenpresse

Friedrich Küppersbusch: "Also, die Bundeskanzlerin, die jetzt so ein bisschen mokant und traurig sagt, ... es heißt ja neuerdings, wir lebten in postfaktischen Zeiten, das soll wohl heißen, die Menschen interessierten sich nicht mehr für Fakten, sie folgten allein Gefühlen – das ist das, womit die Kanzlerin nach der verlorenen Berlin-Wahl die Debatte losgetreten hat."
Womöglich ist der fingierte kleine Dialog für Sie aber auch ein Beispiel hierfür ...
"Lügenpresse!"
... oder aber ein Beitrag zu der Debatte, was Satire dürfen soll und was nicht.
Jan Böhmermann: "Wenn ein Witz eine Staatskrise auslöst, ist das nicht das Problem des Witzes, sondern des Staates."
So hat Jan Böhmermann die Causa Böhmermann zusammengefasst, die Debatte um sein sogenanntes "Schmähgedicht", die ja letztlich eine Causa Erdogan gewesen ist.
Erdogan: "Hör mir mal zu: Wenn ihr so weitermacht, dann werden sich unsere Grenzpforten öffnen. Damit ihr das mal wisst."

Der Innenminister und die Burkas

Ja, die Flüchtlinge, pardon: die Geflüchteten. Im vorangegangenen Jahr waren sie eines der Hauptfeuilletondebattenthemen. Nun scheinen sie, zumindest hier und da, in der Kultur anzukommen, noch bevor die letzten Reste der sogenannten Willkommenskultur abgeräumt sind.
Liesbeth Coltof: "Das hab ich so bewundert in Deutschland, ... dass all diese Schauspielhäuser … sich so offengestellt haben für die Flüchtlinge. Und ich denke, wenn man weggeht und man nichts mehr hat, dann ist das Einzige, was man hat, deine eigene Geschichte. Und ich hab es so wunderbar gefunden, dass die deutschen Theater Platz gemacht haben für diese Geschichte."
So die niederländische Regisseurin Liesbeth Coltof. – Mit den Flüchtlingen kam die Burka, mit der Burka der Ruf nach deren Verbot und damit die Burkaverbotsdebatte, die deutlich an argumentativer Qualität gewann, je mehr sich im anschwellendem Debattenfuror Frauen zu Wort meldeten.
Sabina Matthay: "Heiß und stickig, und man sieht kaum etwas."
Davor haben sich viele Männer unterschiedlich einleuchtend eingebracht, darunter naturgemäß der Bundesinnenminister.
Thomas de Maizière: "Ich lehne das Tragen der Burka ab."
Nun, an ihm hätten wir uns das auch nicht wirklich vorstellen können. Und diese Dame hätte es ihm gleich doppelt verboten:
Frauke Petry: "Wir streben ein Verschleierungsverbot für den öffentlichen Dienst und den öffentlichen Raum an."
Ganz schön ausgefuchst, dieser typische Petry-Euphemismus: "Öffentlicher Dienst und öffentlicher Raum" – bedeutet ja, wenn man sich's dann hinterher genau überlegt, nichts anderes als: total und überall. Womit wir bei den sogenannten Rechtspopulisten wären, die sich als Thema dauerhaft im Feuilleton eingenistet und 2016 ganz schön breit gemacht haben. Die von der Pegida reaktivierte "Lügenpresse", Unwort des Jahres 2014, hat es im Trump-Wahlkampf bis nach New York geschafft und die Feuilletons auch in diesem Jahr vielfältig beschäftigt – geht es dabei doch um den Berufsstand, der auch die Feuilletons produziert.
Gemma Pörzgen: "In deutschen Krimis sind Journalisten oder auch Fotografen die Störenfriede. Medienschelte scheint zu einer neuen Mode zu werden, und es bleibt auch nicht bei verbalen Attacken."
(Tatortmusik) "Lügenpresse!" - "Hast du gerade Dumme Sau gesagt? Du hast gerade meinen Kameramann als dumme Sau bezeichnet."

Die schönsten "Wörter des Jahres"

Unsere Nachbarn haben immer viel schönere "Wörter des Jahres" als wir. "Brexit" zum Beispiel, Wort des Jahres in Großbritannien – bezeichnet eine schlimme Sache, hat aber doch als Wort, seit wir es mehrmals täglich hören, etwas Exotisch-fast-Altgriechisches angenommen, irgendwie schön, was bei "Lügenpresse" oder "postfaktisch" bestimmt nicht passieren wird. Oder die Österreicher:
"Bundespräsidentenstichwahlwiederholungsverschiebung"
Was für ein Wort. Tu felix Austria. – War alles in den Feuilletons, sind aber doch eigentlich eher Themen aus der Politik. Dazwischen gab es aber auch in diesem Jahr echte Debatten um echte Künste.
(Ausschnitt "Toni Erdmann"): "I am Ambassador Erdmann. And this is my secretary Miss Schnuck."
Da waren die sympathisch enthusiastischen Hymnen und die vorsichtige Hoffnung auf ein aufkeimendes, womöglich sogar berechtigtes neues Selbstbewusstsein des deutschen Films auf internationaler Bühne aus Anlass von Maren Ades "Toni Erdmann".
Peter Simonischek: "Ich glaube, ich hatte sieben oder acht solche Gebisse: eins für Großaufnahmen, eins zum Sprechen, eines, das man schnell raus- und reinnehmen kann – ja, und dann hab ich mich so verliebt in dieses Ding, dass ich jetzt am Burgtheater den neuen Goldoni, Diener zweier Herren, auch mit diesem Gebiss spiele."

Trump, Trump und immer wieder Trump

Und natürlich die Verleihung des Literaturnobelpreises.
Sieglinde Geisel: "Im Jahr 2016 gehört kein Mut dazu, einen Bob Dylan auszuzeichnen. … In den 60er Jahren wäre ein Literaturnobelpreis für Bob Dylan tatsächlich brisant gewesen. … Damals hätte nicht nur die verfehlte Sparte für Aufregung gesorgt, man hätte auch über die Ideale diskutiert."
Tja, die Ideale. Selbst auf der Suche nach denen landen sie in den Feuilletons inzwischen unentwegt bei – Trump.
Sieglinde Geisel: "Mit der Wahl von Donald Trump gewinnt Bob Dylans Nobelpreis nun auch eine politische Dimension."
Als ginge es nur noch um Trump. Zu dem haben sie alle eine Meinung. Na ja, fast alle.

Under my Trump

Georg Schwarte: (Musik Rolling Stones, Under my Thumb) "(Overvoice Keith Richards) 'Keine Ahnung, ein weißer Fleck für mich. Ich sag nix.' Keith Richards lacht sein Rolling-Stones-Lachen. Donald Trump? Keith raucht lieber (Musik Under my Thumb) Under my thumb haben die Stones einst gesungen, hier in den USA heißt es ab Januar Under my Trump."
(Aufheulen Yoko Ono)
Das klingt ein wenig wie die Trumpete, ist aber Yoko Ono, wie sie ihren Schmerz über die Wahl von Donald Trump zum Präsidenten herausschreit.
Georg Schwarte: "Was da im Hintergrund trauert, ist Amerikas Kulturbetrieb. Yoko Ono vertont ihren Schmerz über Trump. … Jimmy Kimmel übrigens nahm seine Zuschauer zuletzt mit durch die fünf Phasen der Trauer. Jetzt hat Amerika Phase fünf erreicht: das Akzeptieren des Unvermeidlichen, sagt Kimmel, und sieht nur noch einen Ausweg: Marihuana – zu rein medizinisch-therapeutischen Zwecken, für die gesamte Nation. (O-Ton:) 'Stage five: acceptance. No matter how you feel about it – Donald Trump is the President of the United States of America. So thank God we legalized Marihuana yesterday.'"
Angesichts der bevorstehenden Wahlen in Europa, auch bei uns, sollten wir diese Debatte vielleicht auch noch einmal richtig führen – falls Martin Luther 2017 in den Feuilletons zwischendrin mal die eine oder andere Seite für andere Themen frei lassen sollte.
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