"Das wäre in der Großen Koalition von damals nicht möglich gewesen"

Moderation: Birgit Kolkmann |
In der Diskussion um schärfere Abgasnormen für Autos hat der SPD-Politiker Erhard Eppler Bundeskanzlerin Merkel (CDU) vorgeworfen, sie habe Umweltminister Gabriel (SPD) öffentlich bloß gestellt. In der früheren Großen Koalition habe es nicht weniger Animositäten gegeben als heute, aber weniger Neigung von Abgeordneten und Ministern, sich zu profilieren.
Birgit Kolkmann: Er war der große Gegenspieler von Helmut Schmidt in der SPD. Erhard Eppler hatte ein völlig anderes Politikverständnis und legte wegen der Differenzen nur wenige Wochen nach Beginn der sozial-liberalen Koalition sein Amt als Entwicklungshilfeminister nieder. Während Helmut Schmidt mit dem NATO-Doppelbeschluss die Pershing-Raketen ins Land holte, kämpfte Eppler als Friedensaktivist gegen sie, an vorderster Front als Redner und Demonstrant. In der SPD blieb er der Vor- und Querdenker bis heute, wo er wieder in der Grundsatzkommission am neuen Parteiprogramm mitarbeitet. Gestern wurde er anlässlich seines 80. Geburtstages im Dezember in Berlin mit einem Symposion geehrt. Bei uns im Studio zu Gast Erhard Eppler. Herzlich willkommen!

Erhard Eppler: Guten Tag!

Kolkmann: Herr Eppler, wenn Sie als Minister der ehemaligen Großen Koalition in Bonn auf das Treiben in der Großen Koalition in Berlin schauen, zum Beispiel auch über die doch nun erreichte Einigung zur Gesundheitsreform nachdenken, wie bewerten Sie das?

Eppler: Das ist natürlich gut, dass es endlich einen gemeinsamen Entwurf gibt, aber ich nehme an, dass das in der ersten Großen Koalition, zwar auch nicht ohne Reibungen, aber mit weniger Lärm stattgefunden hätte.

Kolkmann: Arbeitet denn diese Koalition eher geräuschvoll und vielleicht auch nicht so gut?

Eppler: Also ich behaupte ja, dass die Große Koalition sich strenger an das Ressortprinzip gehalten hat, dass man nicht in das Ressort des jeweils anderen hineingeredet hat, dass das übrigens auch die Abgeordneten in der Weise nicht getan haben. Während in der jetzigen Großen Koalition ist es durchaus möglich, dass der Wirtschaftsminister in das Ressort des Umweltministers hineinredet und so fort, oder jetzt sogar, dass die Kanzlerin öffentlich, ohne dass es im Kabinett wohl eine Diskussion darüber gegeben hat, nun den zuständigen Minister in diesem Fall bei den Abgaswerten für die Autos desavouiert, also öffentlich genau das Gegenteil von dem sagt, was der zuständige Minister sagt. Das wäre in der Großen Koalition von damals nicht denkbar gewesen.

Kolkmann: Was sind denn nun die Konsequenzen dieses Verhaltens, eine schlechtere Politik, eine schlechtere Regierung?

Eppler: Ja, vor allem ein schlechteres Bild. Das heißt, die Menschen haben das Gefühl, da geht alles durcheinander, während sie damals durchaus das Gefühl hatten, die machen miteinander Politik.

Kolkmann: Was steckt nun dahinter, dass es diese Form der Zusammenarbeit, der kollegialen Teamarbeit offenbar nicht mehr gibt? Sind die Animositäten innerhalb der Koalition, aber auch innerhalb der Parteien zu groß und trägt man die einfach schamloser zu Markte?

Eppler: Nein, das glaube ich also nicht, dass die Animositäten größer sind und die Differenzen größer sind, als sie es damals waren. Es scheint mir so zu sein, dass die Neigung, sich zu profilieren, und zwar bei Abgeordneten wie bei Ministern, wesentlich größer geworden ist. Man meldet sich zu Wort, um gehört zu werden. Und gehört wird man, wenn man etwa der eigenen Partei widerspricht oder wenn man dem zuständigen Minister widerspricht und so fort. Das wird dann registriert, und das gibt natürlich ein fatales Bild.

Kolkmann: Deutschland steht im Blick der Weltöffentlichkeit ganz anders da als noch zu den Zeiten, in denen Sie Minister waren: engagiert überall auf der Welt mit Soldaten der Bundeswehr. Was hat sich verändert in dieser Politik, die Deutschland da mit zu verantworten hat, hat Deutschland auch ein anderes Gewicht?

Eppler: Also die große Gefahr bis 1990 war der Vernichtungskrieg zwischen den beiden Blöcken Ost und West. Heute sind Kriege zwischen Staaten in Europa praktisch gar nicht mehr möglich. Aber dafür gibt es unendlich viele Konflikte innerhalb von Staaten, die häufig verbunden sind mit dem Zerfall von Staaten, wie etwa in Afghanistan oder im Kongo.

Und da muss die Weltgemeinschaft einfach zum Schutz der Schwachen, denn die Frauen, die Kinder sind ja dann Freiwild, da muss die Weltgemeinschaft, vertreten durch die Vereinten Nationen, muss eingreifen. Und da kann sich ein großes Land, ein großes Industrieland wie die Bundesrepublik Deutschland auf Dauer nicht fernhalten.

Kolkmann: Genießt sie da auch sehr hohes Ansehen, und die Frage, die sich an das Ansehen knüpft, welche Möglichkeiten hat sie? Wenn wir uns das Engagement zum Beispiel in Afghanistan anschauen, hat Deutschland sich stark engagiert, aber letztlich doch nichts erreicht.

Eppler: Dieses Afghanistan war eine Mischung zwischen UN, Vereinten Nationen auf der einen Seite und den Vereinigten Staaten als der Macht, die ja nun die Taliban vertrieben haben, und die dort eben militärisch das Sagen haben. Und der Widerstand, der jetzt entstanden ist, kommt daher, dass die Menschen das Gefühl haben, sie werden von einer Macht, nämlich den Vereinigten Staaten, unterdrückt. Mindestens kann man das den Menschen so suggerieren, und von daher wird das ein sehr schwieriger Versuch, wieder einen Staat aufzubauen.

Kolkmann: Wie wichtig ist da die Zusammenarbeit mit Moskau? Moskau ist auf der weltpolitischen Bühne stärker denn je zurückgekommen, aber, wie hier immer wieder gesagt wird, um den Preis des Demokratieverlustes. Wie sollte Russland ein- und angebunden werden?

Eppler: Russland hat nie eine Demokratie gehabt in unserem Sinne, weder unter dem Zaren noch unter Stalin noch unter seinen Nachfolgern. Das heißt, wer in Russland Demokratie haben will, muss sehr viel Geduld haben, muss erst einmal akzeptieren dass sie einen Staat brauchen. Was übrig geblieben ist nach dem Zusammenbruch des Kommunismus, war ja kein Staat mehr, denn dieser Staat war zusammengehalten von der Kommunistischen Partei, und die gab es nicht mehr, also musste man erstmal überhaupt etwas wie einen Staat aufbauen.

Deshalb hat Putin damals von der Diktatur des Gesetzes gesprochen, die er einführen will. Das ist in der Tat nicht Demokratie in unserem Sinne, aber es kann eine Vorstufe von Demokratie sein. Jedenfalls glaube ich, dass Europa gut daran tut, dieses Russland langsam, aber sicher an sich zu ziehen, mit ihm zu kooperieren, und auf diese Weise dann auch auf die inneren Verhältnisse Einfluss zu nehmen.

Kolkmann: Sie waren einer der führenden Friedenspolitiker in den siebziger Jahren. Sie haben sich ja auch mit an vorderster Stelle gegen Helmut Schmidt gestellt und den NATO-Doppelbeschluss. In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts hat ja der Kalte Krieg und die Bedrohungssituation alles dominiert. Dieser Konflikt ist weg. Ist denn die Sicherheitslage auf der Welt besser geworden oder ist sie vielleicht jetzt angesichts vieler Atommächte, die zum Teil nicht kontrollierbar scheinen, noch viel gefährlicher als damals?

Eppler: Also ich glaube, sie ist anders geworden. Ich behaupte, dass die Kriege zwischen Staaten in Europa unmöglich geworden sind und anderswo sich nicht mehr auszahlen, weil am Schluss das letzte Wort nicht der Sieger hat, sondern die privatisierte, entstaatliche Gewalt im Lande des Besiegten, so wie wir das jetzt im Irak erleben.

Das heißt, die Gefährdungen sind nach wie vor da, aber sie sind andere, und sie hängen auch zusammen mit dem Zerfall von Staaten, und deshalb brauchen wir nach meiner Überzeugung erstens einmal eine Stützung der Gewaltmonopole innerhalb der Staaten. Und da, wo sie zerbrochen sind, muss ein internationales Gewaltmonopol diese nationalen Gewaltmonopole ersetzen. Das ist die große Aufgabe für die nächsten Jahrzehnte.

Kolkmann: Und für die Vereinten Nationen.

Eppler: Und für die Vereinten Nationen.

Kolkmann: Erhard Eppler, ich bedanke mich herzlich für das Gespräch hier im Studio.