"Das wäre ein Schritt in die falsche Richtung"

02.07.2010
Der SPD-Politiker Karl Lauterbach hat die Koalitionspläne zur Einführung gestaffelter Zusatzbeiträge kritisiert. Anstatt die Mittelschicht zu belasten, sollten gut verdienende Privatversicherte und Arbeitgeber stärker an den Gesundheitskosten beteiligt werden.
Jan-Christoph Kitzler: Die Gesundheitspolitik, das ist so etwas wie die Dauerbaustelle der Bundesregierung - nicht nur aktuell von der schwarz-gelben Koalition, sondern auch schon zu Zeiten der Großen Koalition und davor unter Rot-Grün und davor und davor. Schwarz-Gelb aber muss jetzt etwas tun, denn im kommenden Jahr fehlen den gesetzlichen Krankenkassen stolze elf Milliarden Euro. Manche sagen, es sind sogar noch mehr. Um das zu verhindern, tagen gestern und heute wieder die Spitzen der Koalition. Bislang gibt es keine Einigung, aber klar ist wohl: Bei einem so großen Loch muss im Gesundheitswesen kräftig gespart werden und gleichzeitig muss irgendwie mehr Geld in die Kasse. Darüber spreche ich jetzt mit Karl Lauterbach, Bundestagsabgeordneter und vor allem Gesundheitsexperte der SPD. Guten Morgen!

Karl Lauterbach: Guten Morgen, Herr Kitzler.

Kitzler: Es ist ja inzwischen ein Vorschlag der CDU auf dem Tisch, die Zusatzbeiträge der Versicherten, an denen wohl weiterhin kein Weg vorbeiführt, sollen gestaffelt werden. Wer mehr verdient, soll einen höheren prozentualen Anteil seines Einkommens bezahlen als die Geringverdiener. Was halten Sie davon?

Lauterbach: Das wäre ein Schritt in die falsche Richtung. Die Zusatzbeiträge sind ja eine zusätzliche Belastung für den Versicherten und der Versicherte muss dann zum Beitragssatz noch den Zusatzbeitrag bezahlen. Die mittleren Einkommen würden besonders stark belastet, denn es ist ganz klar: Steigende Zusatzbeiträge betreffen nicht die wirklich gut Verdienenden oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze, also oberhalb von 3700 Euro. Sie betreffen auch nicht die ganz kleinen Einkommen so stark, sondern sie laufen voll in die Einkünfte der mittleren Verdienstgruppen hinein, die eigentlich bei der Steuer sogar entlastet werden sollten. Jetzt gibt es eine Abgaben-Zusatzbelastung, also höhere, deutlich höhere Krankenkassenbeiträge für eine Gruppe, die eigentlich schon jetzt viel zu stark belastet ist.

Kitzler: Aber es ist doch ein altes SPD-Mantra, wenn ich das so sagen darf, dass die starken Schultern mehr tragen müssen als die schwachen. Das entspricht doch dem Vorschlag der CDU. Wo würden Sie denn die Grenze ziehen?

Lauterbach: Die mittleren Einkommen, die hier besonders bluten müssen, 2500 bis 3000 Euro, das sind noch nicht die wirklich hohen Einkünfte. Wir würden die privat Versicherten, die zum Teil gut verdienen, sofern sie gut verdienen, mit berücksichtigen. Wir würden auch schauen, dass andere Einkommensarten berücksichtigt werden. Wieso soll alles nur an Lohn und Gehalt hängen? Die wirklich gut Verdienenden gehen ja bei dem FDP-Vorschlag, ich sage einmal schlicht und ergreifend, was zu erwarten war auch, leer aus, die werden ja nicht mehr belastet.

Kitzler: Nur, dass wir eine Zahl haben. Was sind für Sie die gut Verdienenden?

Lauterbach: Die gut Verdienenden, das sind zum Beispiel diejenigen, die meinetwegen 7000 bis 8000 Euro und mehr pro Monat verdienen. Die werden hier überhaupt nicht herangezogen. Die Hauptbelastungen bei dem CDU-Vorschlag, die liegen in der Einkommensgruppe 2000 bis 3000 Euro.

Kitzler: Klar ist - dem werden auch Sie zustimmen -, die Kassen, die gesetzlichen Krankenkassen brauchen mehr Geld, und der Deutsche Gewerkschaftsbund, der auch eine Reformkommission für das Gesundheitswesen eingesetzt hat, der will die Arbeitgeber wieder stärker belasten. Ist das eine gute Idee?

Lauterbach: Das hielten wir für völlig richtig. Die Arbeitgeber haben ja in den letzten Jahren sich bei den Löhnen sehr zurückgehalten. Es gibt also mittlerweile etwa ein Viertel der Bevölkerung im Niedriglohnsektor. Das heißt, wenn die Löhne nicht steigen oder gar sinken, und wir dort einen Nachholbedarf haben, wieso sollen ausgerechnet die Arbeitgeber geschont werden bei den Gesundheitskosten?

Wir dürfen übrigens nicht vergessen, dass viele Menschen durch ungesunde Arbeit krank werden. Wieso sollen sich die Arbeitgeber nicht bei der Versorgung dieser Krankheiten stärker engagieren? Wieso soll alles der Arbeitnehmer und ausgerechnet mit den mittleren Einkommen bezahlen?

Kitzler: Kommen wir noch mal zum Gesundheitsfonds, den Sie ja in der Großen Koalition mit beschlossen haben. Der Fonds scheint irgendwie nicht zu funktionieren. Der Staat muss weiterhin kräftig dazuzahlen, in diesem Jahr fast 16 Milliarden Euro. Ist der Gesundheitsfonds ein Fehler gewesen?

Lauterbach: Der Gesundheitsfonds war damals gedacht, um einen Solidarausgleich zwischen den gesetzlich und den privat Versicherten herzustellen. Das war der ursprüngliche Gedanke. Denn jetzt ist es so: Für die Einkommensschwächsten, für diejenigen, die behindert sind, für diejenigen, die arbeitslos sind, kommt in der Regel nur der gesetzlich Versicherte mit auf. Der privat Versicherte zahlt nur für sich selbst und ist am Solidarsystem nicht beteiligt. Das betrifft gerade die zehn Prozent der Einkommensstärksten in unserer Gesellschaft. Das war ungerecht. Das ist nicht geschafft worden, weil es damals in der Großen Koalition die Union plötzlich nicht mehr wollte.

Wenn der Gesundheitsfonds benutzt würde, um diese Gerechtigkeit wieder herzustellen, wenn es also in Richtung Bürgerversicherung ginge, sodass wir weg kommen von der Zwei-Klassen-Medizin zu einer besseren Versorgung für alle und nicht bei zwei Systemen bleiben, die sich gegenseitig im Weg stehen, dann könnte auch der Gesundheitsfonds weiterentwickelt werden. In der jetzigen Form wird er schlicht falsch genutzt. Er steht wie ein Stück Möbel umher, was da ist, aber nicht abgeholt wird.

Kitzler: Feststeht: Auch die Kassen müssen sparen. Das bedeutet Einschnitte bei den Leistungen für die Patienten. Wie viel Potenzial sehen Sie da?

Lauterbach: Die Krankenkassen selbst sind in der Tat auch reif für eine Kürzung der Verwaltungskosten. Der Punkt ist absolut richtig, da stimme ich ausnahmsweise sogar Minister Rösler zu. Allerdings darf das nicht plump durch eine allgemeine Kürzung passieren. Hier ist zum Beispiel vorgesehen, dass die Chroniker-Programme, die Programme für chronisch Kranke, also für zuckerkranke Menschen, die zur deutlichen Verbesserung der Versorgung geführt haben, die Schlaganfälle und Herzinfarkte vermeiden, dass diese Programme ausgerechnet nicht mehr bezahlt werden sollen. Davon sind mehr als 4,5 Millionen Zuckerkranke in Deutschland betroffen.

Das ist eine Verschlechterung der Versorgung, das ist nicht eine Kürzung der Verwaltungskosten, sondern hier spricht man von Verwaltungskosten, das ist aber eine Verschlechterung der Versorgung, und ausgerechnet bei den Kränksten. Bei den Vorschlägen ist es somit oft so, dass der Vorschlag gut klingt, wenn er von Minister Rösler kommt, aber wenn man genauer hinschaut, ist er nicht so gut, wie er klang.

Kitzler: Karl Lauterbach war das, der SPD-Gesundheitsexperte und Bundestagsabgeordnete, darüber, wie man das Gesundheitssystem auf eine finanziell solidere Basis stellen kann. Vielen Dank und Ihnen einen schönen Tag.

Lauterbach: Ich danke Ihnen.
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