Das Virus der Revolution

Von Leonie March · 15.03.2011
Meinungsfreiheit – das ist das Motto des renommierten Literaturfestivals "Time of the Writer", das in dieser Woche in der südafrikanischen Hafenmetropole Durban stattfindet. Ein Thema, das den Autoren, die aus allen Teilen des afrikanischen Kontinents angereist sind, auf den Nägeln brennt. Vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen und politischen Umwälzungen in Nordafrika diskutieren sie vor allem darüber, ob das Befreiungsvirus der Revolution nun auch andere Staaten südlich der Sahara anstecken kann. Denn in vielen dieser Länder regieren autokratische Präsidenten seit Jahrzehnten, etwa im krisengeschüttelten Nachbarland Südafrikas Simbabwe.
Während der Revolution in Ägypten war die Schriftstellerin Sahar el Mougy jeden Tag unter den Demonstranten auf dem Tahir-Platz. Auf dem Literaturfestival in Durban wird sie nun ständig danach gefragt, wie sie diese Tage erlebt hat und wie Autoren die Zukunft ihres Landes mit gestalten können.

"Ich denke, es ist sehr wichtig, gemeinsam mit den Revolutionären auf die Straße zu gehen und dort über unsere politischen Ansichten zu sprechen. Die Rolle von uns Autoren besteht zwar nicht darin, die Menschen anzuführen, aber wir können sie in ihrem Weg bestärken, indem wir unsere Standpunkte und Ideen klar äußern. Das ist momentan wahrscheinlich viel wichtiger, als nur darüber zu schreiben."

In Nordafrika und den arabischen Staaten habe sich der Gedanke der Revolution wie ein Lauffeuer verbreitet, betont die Romanautorin, die an der Kairoer Universität Literatur lehrt. Sie sieht keinen Grund dafür, dass er nun nicht auch auf andere afrikanische Staaten übergreift.

"Das Virus der Revolution ist sehr stark. Es kann und sollte sich daher weiter verbreiten. Ich glaube fest daran, dass wir am Beginn einer neuen Ära der Menschheitsgeschichte stehen. Die Stimme des Volkes gewinnt gegenüber der pragmatischen Stimme der Politik an Bedeutung."

Nicht alle sind so zuversichtlich wie Sahar el Mougy. Der südafrikanische Schriftsteller und Journalist Azad Essa, der für den arabischen Fernsehsender Al Jazeera in Doha arbeitet, beschreibt die Situation von Sympathisanten der Jasmin-Revolution in anderen Ländern des Kontinents.

"Die Menschen denken darüber nach, wie sie in diese neue Befreiungsbewegung passen. In diesem Sinne kann man also durchaus von Auswirkungen auf Länder südlich der Sahara sprechen. Dennoch unterscheidet sich die Lage dort erheblich: In vielen dieser Staaten gibt es ethnische Spannungen, die Regierungen für ihre Zwecke ausnutzen. Dazu kommt, dass der Zugang und die Verbreitung von Medien eingeschränkt sind. Und drittens unterscheiden sich der Führungsstil und die Kontrolle der Armee in diesen Ländern. Sie ähneln eher Libyen, wo Gaddafi die Armee kontrolliert und nicht davor zurückschreckt, aufs eigene Volk zu schießen."

Beispiel Simbabwe: Präsident Robert Mugabe regiert das Nachbarland Südafrikas seit Jahrzehnten, kontrolliert die Armee und die Medien, Proteste werden im Keim erstickt, Meinungsfreiheit gibt es nicht. Jeder, der auch nur über die Revolution in Nordafrika spricht, wird festgenommen, erzählt die Schriftstellerin Petina Gappah, die aus Harare zum panafrikanischen Literatur-Festival angereist ist.

"45 Menschen, die sich getroffen haben, um sich ein Video über die Proteste in Libyen und Tunesien anzuschauen, wurden festgenommen und wegen Hochverrats angeklagt. Ein junger Mann, der auf Facebook geschrieben hatte, dass die Simbabwer den Weg Ägyptens einschlagen sollten, wurde ebenfalls verhaftet."

Doch nicht nur die Angst vor der Staatsgewalt hält das simbabwesche Volk zurück betont Petina Gappah. In ihrem Debüt-Roman "An Elegy for Easterly" beschreibt sie den enormen sozialen Druck in Familien und Dorfgemeinschaften, der eine baldige Revolution aus ihrer Sicht unmöglich erscheinen lässt.

"Ich fürchte sehr, dass das in Simbabwe eine akademische Debatte bleiben wird. Keiner hier scheint ein Verlangen danach zu verspüren, auf die Straße zu gehen und zu demonstrieren. Auch weil Mugabe weiterhin viele Unterstützer in der Bevölkerung hat. Viele Menschen werden festgenommen, weil sie angeblich den Präsidenten beleidigt haben und zwar in privaten Unterhaltungen. Es herrscht also eine Atmosphäre der Angst, nicht nur durch einen quasi-militärischen Staat, sondern auch, weil man seinen Nachbarn nicht trauen kann."

Das Publikum interessiert dieser Blick über die Grenzen der eigenen hart erkämpften Demokratie in Südafrika. Die Auftaktveranstaltung des Literaturfestivals war ausverkauft. Meinungsfreiheit ist auch am Kap ein heiß diskutiertes Thema: Zwar ist sie als Recht in der Verfassung verankert, seit Monaten jedoch denkt die Regierungspartei ANC laut über die Einrichtung eines Medientribunals nach, das sogenanntes "Fehlverhalten" von Journalisten sanktionieren soll.

Außerdem im Gespräch: Ein Gesetz, mit dem brisante und unbequeme Dokumente als geheim klassifiziert werden könnten. Wer sie trotzdem veröffentlicht, dem würden bis zu 25 Jahre Gefängnis drohen. Ein herber Rückschritt, der an die Zeit der Apartheid erinnert, meint der südafrikanische Schriftsteller Etienne van Heerden.

"Ich finde das schockierend und vollkommen unnötig. Die Presse ist durchaus dazu fähig, sich selbst zu regulieren. Die Idee, dass der Staat künftig die Informationen kontrolliert, die veröffentlicht werden, ist nicht mit unserer Verfassung vereinbar. Als junge Demokratie müssen wir uns damit auseinandersetzen, darüber diskutieren und uns dagegen wehren. Ich hoffe sehr, dass die Regierung dadurch wieder zur Vernunft kommt."
Und so wird das Literaturfestival in Durban zu einer Plattform für sehr aktuelle Diskussionen jenseits des Elfenbeinturms.

Service:
Das Festival Time of the Writer zum Thema Meinungsfreiheit läuft noch bis zum 19. März in Durban.