Das Virus der Gewalt

Von Anke Leweke · 13.10.2005
Der kanadische Regisseur David Cronenberg wirft mit seinem neuen Film "A history of Violence" einen kritischen Blick hinter die allzu glatte Oberfläche vermeintlicher Idylle in der amerikanischen Provinz. Die Gewalt scheint der Hauptperson innezuwohnen wie ein Virus, das plötzlich ausbricht.
Er gilt als der Intellektuelle unter den Horrorfilm-Regisseuren. Als Spezialist für die Tiefenschichten unsere Psyche. Für die düsteren Sehnsüchte, Obsessionen und Schizophrenien unseres Daseins. Das Schockierende an David Cronenbergs Schreckensbildern ist, dass die Bedrohung nicht von außen kommt, sondern stets im Menschen selbst steckt. Es sind unsere geheimen Wünsche und verborgenen Phantasien, die das Grauen in Cronenbergs Filmen erst zum Vorschein bringen. Es ist unser Körper, der nach immer neuen Verschmelzungs- und Transformationsmöglichkeiten sucht.

In seinem 1995 entstandenen Film "Crash" spielt eine durchgedrehte Clique immer wieder Autounfälle nach, um sich mit dem Auto und der Technik zu einer neuen Einheit zu vereinigen. In Cronenbergs frühem Film "Videodrome" wird der Körper zum lebenden Videorekorder, der die Kassetten direkt durch die Bauchdecke aufnimmt.

Natürlich lösen das deformierte Fleisch, der dekonstruierte Körper, Schockreaktionen aus, und genau das möchte Cronenberg mit seinen Filmen auch erreichen.

Cronenberg: "Ich will bei den Menschen Affekte auslösen. Ich mag es, wenn die Leute sagen: "Ich war von diesem Film erschüttert, verstört, er hat mich mitgenommen". Hitchcock wollte die Kontrolle behalten, er war der Puppenspieler und Spielmeister, der außerhalb des Films bleiben wollte. Womöglich steckte er tiefer in seinen Filmen als wir in unseren, aber er gab zumindest vor, die Strippen von außen zu ziehen. Bei mir ist es anders. Ich will eine Erfahrung vermitteln. Wenn mein Film schockiert, dann bin ich selbst immer der allererste, der schockiert ist. "

Der Horrorfilm als Reise ins eigene Ich. In Cronenbergs Filmen werden Mächte und Triebe freigesetzt, die wir zu lange unterdrückt haben. Deshalb können wir uns von seinen Schreckensszenarien auch nicht distanzieren, sie gehen tatsächlich unter die Haut.

Auch in seinem neuen Film, dem Thriller "A History of Violence", spielt der Körper eine wesentliche Rolle. Weil er Träger einer Gewalt ist, die jederzeit ausbrechen kann. Auf den ersten Blick ist der propere Held Tom Stall, gespielt von Viggo Mortensen, der Inbegriff des amerikanischen Ideal-Spießers: Hausbesitzer und treuer Ehemann, Vater zweier hübscher Kinder und Inhaber eines Diners mit selbstgebackenem Kuchen und anständigem Kaffee.

Cronenberg: "Am Anfang handelt es sich ja eher eine Amerika-Fantasie. Ein zu perfektes Bild. Natürlich gibt es dieses Small-Town-Life in den Staaten. Aber es ging mir um die Mythologie, die Amerika von sich selbst entwickelt hat. Dieses Bild sollte nicht zu süßlich sein. Aber süßlich genug, um das Gefühl einer Perfektion zu erzeugen, die vielleicht nie existiert hat."

"A History of Violence" ist ein typischer Cronenberg-Film, mit einer kühlen, hermetisch glatten Oberfläche. Mit dieser Ästhetik impft Cronenberg dem Familien- und Provinzglück von vornherein ein Unbehagen, eine beklemmende Vorahnung ein. Seine Amerikaner sind einfach einen Deut zu nett, zu glücklich und zu freundlich, um wahr zu sein.

Als es eines Tages zu einem Überfall kommt, offenbart sich Cronenbergs Held, der friedliche wirkende Tom Stall, denn auch als Killermaschine. Die Gewalt platzt förmlich aus ihm heraus. Man hat den Eindruck, dass sie schon immer Bestandteil der Idylle war und nicht von außen kommt. Tatsächlich handelt es sich hier um einen Mann mit dunkler Vergangenheit, der vor seiner Zeit als Familienvater in der Stadt Philadelphia an Verbrechen beteiligt war.

Cronenberg: "Ich wollte zeigen, dass das, was in der Vergangenheit des Helden, in Philadelphia, passiert ist, den Grundstein für diese hübsche kleine zwanzigjährige Provinzidylle gelegt hat. Das eine ist ohne das andere nicht denkbar. Vielleicht ist die Gewalt, die an einem anderen Ort stattfindet, sogar die Stütze und Stabilisierung dieser netten Gemeinschaft, in der die Menschen so zivilisiert miteinander umgehen."

In Cronenbergs Film erscheint die Gewalt als Virus, der dem Körper innewohnt und jederzeit ausbrechen kann. So entwickelt sich "A History of Violence" zu einer Parabel, zu einem Gleichnis über eine Zivilisation, die ihre eigene Gewaltgeschichte verdrängt hat.

Auf den Filmfestspielen in Cannes, wo der Film seine Weltpremiere hatte, wurde er deshalb direkt als kritischer Kommentar auf Amerika gelesen. Eine Interpretation, die Cronenberg jedoch als zu einseitig empfindet.

Cronenberg: "Da der Film in den USA spielt, denkt jeder sofort an George Bush und den Krieg im Irak. Aber welche Nation ist nicht aus Unterdrückung, Gewalt, Verstümmelung entstanden? Ob es sich nun um die Ausrottung der Eingeborenen, die Ermordung des vorherigen Regimes oder um Bürgerkriege handelt. Natürlich kann man "A History of Violence" als eine Parabel der amerikanischen Gewaltvergangenheit sehen, etwa wegen der Sklaverei. Aber im Grunde hat jede Nation diese Art von Vergangenheit."
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