Das Versöhnungsdilemma in Brandenburg

Von Hans-Joachim Föller |
Es wäre auch zu schön gewesen. Ministerpräsident Matthias Platzeck verkündet von der Kanzel herab sein Projekt der Versöhnung. Sozialdemokraten und Linke marschieren Hand in Hand ganz der Zukunft zugewandt. Und das Vergangene verharrt im Schweigen. Doch es kam anders. Denn dem Versöhnungs-Partner Linkspartei fehlen die Voraussetzungen.
Das beginnt schon mit der Distanzierung von den ideellen Grundlagen. Im 20. Jahrhundert gab es zwei große Unrechtsregime: das nationalsozialistische und das kommunistische. Beide haben politische Großverbrechen zu verantworten, die wegen ihrer ungeheuren Dimensionen, langen Nachwirkungen und nicht wieder gut zu machenden Folgen unverzeihlich sind und nicht vergessen werden dürfen.

Wenn auch die ostdeutsche kommunistische Regionalpartei SED keinen stalinistischen Zivilisationsbruch wie den Terror in der Sowjetunion des Jahres 1937 zu verantworten hat, so nehmen doch ihre linksparteilichen Nachfolger stets positiv Bezug auf die sogenannte Russische Revolution, das Vorbild der DDR. Nach wie vor gehört die Weigerung zahlreicher Genossen als Erben der Partei der Täter die Großverbrechen des Kommunismus in allen unheilvollen Dimensionen anzuerkennen zum Alltag. Noch immer verbreiten sie die Legende, die Idee sei gut gewesen.

Im Unterschied zu traditionellen Diktaturen, die sich mit einer äußeren Unterwerfung ihrer Untertanen zufrieden geben, war es das Ziel der Kommunisten, Geist und Seele des Menschen zu kolonisieren. Der "neue Mensch", wie das Programm hieß, sollte von sich aus wollen, was ihm die totalitäre Diktatur auferlegte. Das bedeutete die Verwandlung des Menschen zu einem indoktrinierten Ja-Sager.

Für Demokraten sollte es mit einer Partei, die sich von diesen fragwürdigen ideellen Grundlagen nicht eindeutig distanziert hat, keine Versöhnung geben. Auch auf der persönlichen Ebene gibt es unter den Vertretern der Erben der Partei der Täter erhebliche Defizite. So wird häufig mit dem Hinweis dieser oder jener Genosse habe "sich entschuldigt" der Eindruck erweckt, das moralische Problem sei gelöst.

Doch kann sich niemand selbst entschuldigen. Vielmehr kann diese Person ihre Opfer um Entschuldigung bitten, damit diese Verzeihung gewähren. Selbst wenn dem Betroffenen verziehen wird, ist damit die Frage der Eignung für ein öffentliches Amt nicht gelöst. Ein Parlament ist keine Bewährungsanstalt für tätige Reue. Wer der Unterdrückung gedient hat, ist in der Regel charakterlich als Verteidiger der Freiheit nicht vertrauenswürdig.

Ein deutliches Indiz dafür sind nicht zuletzt die zahlreichen als IM aufgeflogenen Brandenburger Abgeordneten, bei denen keine Anzeichen für eine Abkehr von den antidemokratischen Überzeugungen zu erkennen waren. Vielmehr bestätigen sie die tausendfach gemachte Erfahrung: Anstatt schuldbewusst Verantwortung zu übernehmen verbargen sie ihre geheime Tätigkeit und leugneten bis es nicht mehr ging.

Nebenbei entzauberten sie Platzeck und sein Versöhnungsprojekt als wirklichkeitsfremd. Im Zustand entnervter Ratlosigkeit bezeichnete der Ministerpräsident seine Kritiker inzwischen als "Revolutionswächter" und stellte diese mit den Vollstreckern iranischen Terrors auf eine Stufe. Eine nicht zu verantwortende mangelnde Sensibilität in Platzecks Versöhnungsinitiative besteht auch darin, dass diese die Opfer in eine Rechtfertigungssituation bringt. Die Opfer sitzen gleichsam auf der Anklagebank und stehen als die Unversöhnlichen da, während die Täter versöhnungsbereit die Hand ausstrecken.

Ohne Wahrheit und eine glaubwürdige Umkehr der Täter kann es keine Versöhnung geben. Doch werden wir darauf wahrscheinlich noch Jahrzehnte warten müssen.


Hans-Joachim Föller, 1958 in Schlüchtern geboren, wuchs in Hessen auf, studierte Politikwissenschaft, Philosophie und Geschichte. Dem Zeitungsvolontariat in Hessen folgte 1992 der Umzug nach Thüringen sowie dort eine mehrjährige Tätigkeit als Redakteur in verschiedenen Regionalzeitungen. Seit 1998 arbeitet Föller als freier Journalist unter anderem für die "Süddeutsche Zeitung", die "FAZ", den "Rheinischen Merkur", "Das Parlament", den "Tagesspiegel" und die "tageszeitung", wobei die Darstellung der Folgen der SED-Diktatur einen Schwerpunkt bildet.
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