Das verschwundene Genie

Der Tatort
Der Tatort © Stock.XCHNG / Nate Nolting
Rezensiert von Johannes Kaiser · 01.12.2005
Mit "Die grausamen Sterne der Nacht" hat Kjell Eriksson den fünften Band seiner Krimi-Reihe mit der Kommissarin Ann Lindell vorgelegt. Und wieder einmal stehen die Ermittler vor einer schier unlösbaren Aufgabe: Ein Forscher, der sich als verkanntes Genie ansieht und alle Umwelt mit seinem schrulligen Verhalten nervt, ist spurlos verschwunden.
Eigentlich hatte der gelernte Gärtner Kjell Eriksson nie vorgehabt, Schriftsteller zu werden. Sein Beruf machte ihm Spaß und brachte ihm ungewöhnliche Aufträge, wie die Anlage von Rosenrabatten an einem Atomkraftwerk. Der 30-Jährige fand das Ambiente so außergewöhnlich, dass er den Redakteur der Lokalzeitung anrief und aufforderte, drüber zu berichten. Doch der hatte keine Lust, wimmelte den Gärtner mit der Bemerkung ab, doch selbst etwas darüber zu schreiben, am besten eine Kurzgeschichte, denn da muss man sich nicht an die Fakten halten.

So wurde aus dem Gärtner ein Schriftsteller, der 1990 die Figur der Kriminalinspektorin Ann Lindell erfand. Bei fünf Töchtern darf man davon ausgehen, dass sich Kjell Eriksson in eine Frau hineinzuversetzen vermag, die lieber im Team arbeitet statt die einsame, starke Heldin zu spielen. Inzwischen ist mit "Die grausamen Sterne der Nacht" das fünfte Buch erschienen.

Und wieder einmal stehen die Ermittler vor einer schier unlösbaren Aufgabe. Ein Petrarca-Forscher, der sich als verkanntes Genie ansieht und alle Umwelt mit seinem schrulligen Verhalten nervt, ist spurlos verschwunden. Ein Gewaltverbrechen, Selbstmord oder einfach Unfall infolge einer Geistesverwirrung? Seine Tochter Laura gibt sich den Polizisten gegenüber ziemlich zugeknöpft. Ihr Verhältnis zum Vater ist spätestens seit dem Tod der Mutter hoffnungslos zerrüttelt. Der Fall wird beiseite gelegt, als kurz hintereinander zwei ältere alleinlebende Bauern erschlagen aufgefunden werden. Die Ermittler tappen im Dunkeln. Nur soviel ist klar: die Opfer müssen den Täter gekannt haben, denn sie haben ihn ins Haus gelassen. Gibt es einen Zusammenhang? Ann Lindell und ihre Kollegen suchen verzweifelt nach Berührungspunkten in der Biographie der beiden Toten. Doch das gestaltet sich ebenso frustrierend ergebnislos wie die Suche nach dem Mörder.

Die Ermittler können noch nicht einmal sagen können, ob sie es mit einem Mann oder einer Frau zu tun haben. Mühselige Puzzlearbeit lässt erste vage Ahnungen aufkommen, dass die Toten in irgendeiner Beziehung zur verstorbenen Ehefrau des verschwundenen Forschers standen. Dessen Tochter allerdings blockt Fragen zu ihrer Mutter ab. Sie verhält ein wenig merkwürdig, verbrennt zum Beispiel die umfangreiche Bibliothek ihres Vaters, so als ob ihr Vater nie wieder auftauchen würde. Zugleich beginnt sie eine heimliche Affäre mit einem verheirateten Kollegen.

Kjell Eriksson hat ein halbes Dutzend Handlungsfäden gespannt, die schließlich zusammenlaufen und den Mord aufklären. Auf dem Weg dorthin, und das zeichnet seine Romane aus, erfahren wir eine Menge über die alleinerziehende Mutter Ann Lindell, werden auch in die Privatleben ihrer Kollegen eingeweiht, schnuppern Polizeipräsidiumsalltag. Keine aufregenden Verfolgungsjagden, keine hektischen Action-Szenen durchbrechen den Gang der Dinge und dennoch gelingt es dem Autor, allmählich ein Gefühl der Bedrohung und der Angst zu erzeugen, das einen in die Geschichten hineinzieht und dem Ende entgegenfiebern lässt.

Geschickt baut Kjell Eriksson durch die nebeneinander herlaufenden Ermittlungsstränge eine ständig steigende Spannung auf, die in einem dramatischen Finale endet. Nur soviel darf verraten werden: Ann Lindell bleibt uns auch für einen weiteren Fall erhalten.

Kjell Eriksson: Die grausamen Sterne der Nacht – Ein fall für Ann Lindell
Übersetzung: Paul Berf
Zsolnay Verlag München 2005
395 Seiten, 19,90 Euro