"Das verrückte Denken fehlt"
Die deutschen Hochschulen haben versagt, wenn es darum geht, "eine solide Berufsausbildung zu liefern". Das findet der Sozialwissenschaftler Wolf Wagner und fordert eine Verbindung von exaktem und verrücktem Denken. Letzteres fehle an den Hochschulen und damit auch die nötige Kreativität.
Liane von Billerbeck: Die deutschen Universitäten befinden sich im Umbruch. Neben den Studiengängen werden auch die Verwaltungen reformiert, die Macht wird verschoben von den Wissenschaftlern zu den Präsidien, von den Professoren also hin zu den Managern. Der Sozialwissenschaftler Wolf Wagner hat ein Buch über den "Tatort Universität" geschrieben und er spricht darin vom "Versagen der deutschen Hochschulen" und fordert zu deren Rettung vor allem eines: mehr Kreativität des Denkens. Professor Wolf Wagner ist jetzt aus Erfurt zugeschaltet, ich grüße Sie!
Wolf Wagner: Guten Morgen!
von Billerbeck: Die Kultusministerkonferenz KMK befasst sich ja am Donnerstag bei ihrer Tagung mit dem aktuellen Stand der Bologna-Reform, also der Reform des Hochschulstudiums, und Sie, Herr Wagner, sagen, die deutschen Hochschulen hätten versagt. Das ist ja starker Tobak. Worin besteht denn nun ihr Versagen?
Wagner: Na, sie haben die Aufgabe, die sie eigentlich haben, eine solide Berufsausbildung zu liefern, das haben sie immer abgewehrt und gesagt, ja, wir machen da nur die Vorbereitung dazu. Eigentlich bilden wir Leute zu Professoren aus. Also, außer in Medizin, wo die Berufsausbildung traditionell schon immer da ist, ist in den meisten Fächern quasi diese Aufgabe gar nicht übernommen. Aber vor allen Dingen versagen sie bei der Lösung unserer Zukunftsaufgaben, weil Kreativität fehlt. Ich will erklären, was ich unter Kreativität verstehe: Da brauchen Sie verrücktes Denken und exaktes Denken. Im exakten Denken sind die deutschen Universitäten wunderbar, aber das verrückte Denken fehlt.
von Billerbeck: Passt denn so ein verrücktes Denken zu einem immer verschulteren Studium, was ja immer so die Kritik an den Studienreformen ist?
Wagner: Ja, das beißt sich sozusagen in den Schwanz, weil der Bildungsbegriff, der an den deutschen Universitäten vorherrscht, ist Allgemeinwissen und Fachwissen. Und darum packen die Professoren – in bester Absicht und mit bestem Wissen und Gewissen – packen sie das Fachwissen in das Studium rein, von dem sie meinen, es sei unverzichtbar. Fachwissen ist aber unendlich. Wenn man sie also da machen lässt, wird es immer darauf hinauslaufen, dass es eine völlige Überforderung an Wissen und an Klausuren gibt.
von Billerbeck: Wie ist es denn nun möglich, in diesem Dilemma, das Sie da gerade geschildert haben an den deutschen Universitäten, kreatives Denken zu fördern und dieses verrückte Wissen auch in den Vordergrund zu schieben?
Wagner: Na, die KMK erwägt ja zu sagen: Machen wir den Bachelor doch ein Jahr länger. Das würde übrigens auch übereinstimmen mit USA und den meisten Ländern in der Welt. Dieses zusätzliche Jahr darf man nicht einfach den Unis geben, weil dann packen sie wieder Fachwissen rein, sondern das muss man reservieren für ein Kreativjahr, wie ich das nenne.
von Billerbeck: Wie soll das aussehen?
Wagner: Das würde aussehen, dass es verteilt ist über das Studium. Das erste Semester wäre ein Erkundungssemester, in dem die Studierenden zwei Drittel oder drei Viertel der Zeit damit verbringen, andere Fächer zu erkunden. So wie Ethnologen andere Stämme erkunden. Da muss man …
von Billerbeck: Das kennt man ja aus Dänemark: Da können Studenten das testen und das führt unter anderem dazu, dass es weniger Studienabbrecher dann gibt, weil die einfach wissen, worauf sie sich einlassen.
Wagner: Genau, und es soll dazu noch kommen, dass sie Methodenwissen ansammeln. Also, dass sie merken: Wie machen das die Germanisten, wie machen das die Mathematiker, wie machen das die Physiker, die Theologen? Also möglichst viele Fächer und Denkweisen kennenlernen und dabei gleichzeitig die eigene Studienwahl zu überprüfen. Weil die von der Schule her ja immer etwas prekär zustande kommt.
von Billerbeck: Und wenn sie dann gelernt haben, wie in verschiedenen Fächern die Methoden ablaufen, das macht das Studium dann leichter und dann wird es auch weniger Studienabbrecher geben und durch diese Art wird es auch wieder effizienter am Ende?
Wagner: Ja, genau. Und es ist ja auch so, das verrückte Denken heißt ja assoziatives Denken. Da brauche ich diese Methodenvielfalt, um auf neue Gedanken zu kommen. Weil das Neue entsteht immer an der Grenze der Fächer. Dann soll im Folgenden in jedem Semester mit wachsendem Anteil, bis man auf dieses Jahr kommt, selbständiges, forschendes Lernen stattfinden im jeweiligen eigenen Fach. Also, dass ich bereits erkannte Gegenstände oder bereits von der Wissenschaft gelöste Fragen aber behandele, als ob ich sie jetzt neu erforschen müsste. Also dass ich …
von Billerbeck: Also das Fahrrad noch mal neu erfinden?
Wagner: Ja, ja, genau. Das ist so, nur so können Sie so etwas wie Forschen lernen, indem Sie Bereiche zuerst mal noch mal nachvollziehen, mit der gleichen Art von suchendem und kritischem und assoziativem Denken, wie es früher gemacht worden ist. Und dann möglicherweise auf neue, kreative Ideen kommen. Aber das ist ja das Zentrum eigentlich in der Bachelor… in diesen gestuften Studiengängen, dass die Kompetenz, die Fähigkeit der Studierenden im Zentrum stehen soll. Und das findet nicht statt.
von Billerbeck: Wie müssen wir uns das konkret vorstellen, wenn da ein Student etwas noch mal erforscht, was es aber eigentlich schon gibt? Ist das nicht demotivierend, weil er weiß ja: Das Fahrrad gibt es schon, das ich da noch mal erfinde.
Wagner: Na, zum Beispiel in England haben die Bauingenieure da in Newcastle, denen wurde gesagt, wir haben leider die Baupläne zu der Brücke über den Tyne verloren. Jetzt müsst ihr die Baupläne rekonstruieren. Und da müssen die dann hingehen und müssen Statik, all das, was sie in den Vorlesungen gelernt haben, das müssen sie anwenden, und zwar aus eigener Denkvollkommenheit. Und dann am Schluss wird verglichen, ja wie sehen denn die tatsächlichen Baupläne aus und wo sind wir daneben gelegen, damit haben Sie auch ein fehlerfreundliches Lernen und fehlerfreundliches Denken, was für Kreativität unverzichtbar ist. Also, so können Sie das am konkreten Beispiel, können Sie das jeweils anwenden auf die einzelnen Fächer.
von Billerbeck: Das klingt so klar, dass man sich eigentlich wundert, dass das nicht längst Unialltag ist.
Wagner: Ja. Da haben Sie vollkommen Recht. Es gibt einige Hochschulen, die das geschafft haben. Das bedeutet natürlich sehr viel mehr Aufwand in der Lehre. Man müsste da auch von der Semesterwochenstunde – gegenwärtig wird an Hochschulen ja in Stundenlohn gelohnt, also die Professoren werden für eine Stunde, egal was sie da lehren oder was sie da machen, ob da 200 Studis sitzen oder zwölf, kriegen sie eine SWS – da muss man von weg und muss auf Betreuungsverhältnisse kommen. Weil solche Veranstaltungen erfordern viel Zeit: Man muss mit den Studierenden in Kontakt sein, man muss ihnen Wege aufzeigen, man muss dabei sein und ihre Lernprozesse begleiten.
von Billerbeck: Das heißt, die Professoren, die möglicherweise sehr intensive Betreuungsarbeit leisten, weil sie vielleicht nur fünf Studenten haben, kriegen mehr Geld als die, die 200 vor sich haben, vor sich sitzen haben und da gar nichts weiter tun als Vorlesungen halten?
Wagner: Ja, also es ginge danach … Also wenn ich 200 Leute habe, dann müsste ich da, wenn ich die jetzt betreue in kleinen Gruppen, müsste ich dafür auch mehr Geld kriegen. Also ich müsste, das müsste umgerechnet werden, während wenn ich nur fünf Studenten habe und die auch in gleicher Weise betreue, dann muss diese Zahl, 5 und 200, muss ins Gewicht kommen. Und gegenwärtig ist das nicht der Fall.
von Billerbeck: Es gab ja auch eine Verwaltungsreform an den Universitäten, nicht bloß eine Studienreform. Da hat es eine Machtverschiebung gegeben, weg von den Professoren hin zu den Managern. Ist das eine gute Entwicklung?
Wagner: Das ist höchste Zeit! Vor 200 Jahren hat Humboldt die deutschen Universitäten den Professoren zum Privatbesitz übergeben. Die konnten mit Freiheit von Lehre und Forschung und Berufsbeamtentum tun und lassen, was sie wollten, und haben dann mit ihrer – die haben die Blockademehrheit in allen Gremien – und haben alle Reformen, die ihre Privilegien irgendwie in Frage stellen sollten und die eingreifen sollten in diesen unendlichen Freiraum, haben sie abgeblockt.
von Billerbeck: Müssten die Professoren nicht umgekehrt eigentlich froh sein, wenn es da Manager gibt, die ihnen den ganzen Kram abnehmen, weil sie ja dadurch viel freier sind für ihre Forschungs- und Lehrarbeit?
Wagner: Ja, die müssen aber natürlich auch eingreifen. Schauen Sie, die Hochschulen kriegen ihr Geld nach der Anzahl Studierenden. Die Professoren kriegen ihre Reputation nach dem Erfolg in der Forschung, sodass denen die Lehre viel entfernter liegt. Und wenn die Hochschulleitungen sagen, hey, ihr müsst in die Lehre rein, dann schreien die Zeter und Mordio.
von Billerbeck: Trotzdem haben wir natürlich auch unter den Professoren nicht nur die alten Professoren, die ja an ihren Privilegien kleben, sondern auch sehr viele neue Probleme bei neuen Professoren, die also gering bezahlt werden, die nach zum Teil absurden Kriterien für angeblich leistungsgerechte Vergütung und in befristeten Verträgen. Was sagen Sie denen?
Wagner: Da bin ich ganz auf ihrer Seite, das ist demotivierend und kontraproduktiv. Aber das Problem ist, dort wo Universitäten heute gut funktionieren, funktionieren sie trotz des Systemes und nicht wegen des Systems. Also, sie funktionieren, weil sich einzelne wirklich in die Bresche werfen. Aber die Ermutigung sozusagen, wofür ich belohnt werde, ist, von der Lehre wegzugehen und mich in der Forschung zu engagieren.
von Billerbeck: Ihre Vorschläge zum Beispiel zu dem verrückten Lernen, die Sie anfangs uns geschildert haben, was meinen Sie, wann werden die umgesetzt sein an den deutschen Unis?
Wagner: Na, da wird es zuerst einen Aufschrei geben im Namen von Humboldt, um das alles zu verhindern. Es sind letztlich die KMKs gefragt, also die Politik ist gefragt, eigentlich ist auch die Hochschulrektorenkonferenz gefragt. Es muss gegen den Widerstand der Professorenschaft muss so was durchgesetzt werden.
von Billerbeck: Der Sozialwissenschaftler Wolf Wagner in Deutschlandradio Kultur, ich danke Ihnen!
Wagner: Ich danke Ihnen!
Wolf Wagner: Guten Morgen!
von Billerbeck: Die Kultusministerkonferenz KMK befasst sich ja am Donnerstag bei ihrer Tagung mit dem aktuellen Stand der Bologna-Reform, also der Reform des Hochschulstudiums, und Sie, Herr Wagner, sagen, die deutschen Hochschulen hätten versagt. Das ist ja starker Tobak. Worin besteht denn nun ihr Versagen?
Wagner: Na, sie haben die Aufgabe, die sie eigentlich haben, eine solide Berufsausbildung zu liefern, das haben sie immer abgewehrt und gesagt, ja, wir machen da nur die Vorbereitung dazu. Eigentlich bilden wir Leute zu Professoren aus. Also, außer in Medizin, wo die Berufsausbildung traditionell schon immer da ist, ist in den meisten Fächern quasi diese Aufgabe gar nicht übernommen. Aber vor allen Dingen versagen sie bei der Lösung unserer Zukunftsaufgaben, weil Kreativität fehlt. Ich will erklären, was ich unter Kreativität verstehe: Da brauchen Sie verrücktes Denken und exaktes Denken. Im exakten Denken sind die deutschen Universitäten wunderbar, aber das verrückte Denken fehlt.
von Billerbeck: Passt denn so ein verrücktes Denken zu einem immer verschulteren Studium, was ja immer so die Kritik an den Studienreformen ist?
Wagner: Ja, das beißt sich sozusagen in den Schwanz, weil der Bildungsbegriff, der an den deutschen Universitäten vorherrscht, ist Allgemeinwissen und Fachwissen. Und darum packen die Professoren – in bester Absicht und mit bestem Wissen und Gewissen – packen sie das Fachwissen in das Studium rein, von dem sie meinen, es sei unverzichtbar. Fachwissen ist aber unendlich. Wenn man sie also da machen lässt, wird es immer darauf hinauslaufen, dass es eine völlige Überforderung an Wissen und an Klausuren gibt.
von Billerbeck: Wie ist es denn nun möglich, in diesem Dilemma, das Sie da gerade geschildert haben an den deutschen Universitäten, kreatives Denken zu fördern und dieses verrückte Wissen auch in den Vordergrund zu schieben?
Wagner: Na, die KMK erwägt ja zu sagen: Machen wir den Bachelor doch ein Jahr länger. Das würde übrigens auch übereinstimmen mit USA und den meisten Ländern in der Welt. Dieses zusätzliche Jahr darf man nicht einfach den Unis geben, weil dann packen sie wieder Fachwissen rein, sondern das muss man reservieren für ein Kreativjahr, wie ich das nenne.
von Billerbeck: Wie soll das aussehen?
Wagner: Das würde aussehen, dass es verteilt ist über das Studium. Das erste Semester wäre ein Erkundungssemester, in dem die Studierenden zwei Drittel oder drei Viertel der Zeit damit verbringen, andere Fächer zu erkunden. So wie Ethnologen andere Stämme erkunden. Da muss man …
von Billerbeck: Das kennt man ja aus Dänemark: Da können Studenten das testen und das führt unter anderem dazu, dass es weniger Studienabbrecher dann gibt, weil die einfach wissen, worauf sie sich einlassen.
Wagner: Genau, und es soll dazu noch kommen, dass sie Methodenwissen ansammeln. Also, dass sie merken: Wie machen das die Germanisten, wie machen das die Mathematiker, wie machen das die Physiker, die Theologen? Also möglichst viele Fächer und Denkweisen kennenlernen und dabei gleichzeitig die eigene Studienwahl zu überprüfen. Weil die von der Schule her ja immer etwas prekär zustande kommt.
von Billerbeck: Und wenn sie dann gelernt haben, wie in verschiedenen Fächern die Methoden ablaufen, das macht das Studium dann leichter und dann wird es auch weniger Studienabbrecher geben und durch diese Art wird es auch wieder effizienter am Ende?
Wagner: Ja, genau. Und es ist ja auch so, das verrückte Denken heißt ja assoziatives Denken. Da brauche ich diese Methodenvielfalt, um auf neue Gedanken zu kommen. Weil das Neue entsteht immer an der Grenze der Fächer. Dann soll im Folgenden in jedem Semester mit wachsendem Anteil, bis man auf dieses Jahr kommt, selbständiges, forschendes Lernen stattfinden im jeweiligen eigenen Fach. Also, dass ich bereits erkannte Gegenstände oder bereits von der Wissenschaft gelöste Fragen aber behandele, als ob ich sie jetzt neu erforschen müsste. Also dass ich …
von Billerbeck: Also das Fahrrad noch mal neu erfinden?
Wagner: Ja, ja, genau. Das ist so, nur so können Sie so etwas wie Forschen lernen, indem Sie Bereiche zuerst mal noch mal nachvollziehen, mit der gleichen Art von suchendem und kritischem und assoziativem Denken, wie es früher gemacht worden ist. Und dann möglicherweise auf neue, kreative Ideen kommen. Aber das ist ja das Zentrum eigentlich in der Bachelor… in diesen gestuften Studiengängen, dass die Kompetenz, die Fähigkeit der Studierenden im Zentrum stehen soll. Und das findet nicht statt.
von Billerbeck: Wie müssen wir uns das konkret vorstellen, wenn da ein Student etwas noch mal erforscht, was es aber eigentlich schon gibt? Ist das nicht demotivierend, weil er weiß ja: Das Fahrrad gibt es schon, das ich da noch mal erfinde.
Wagner: Na, zum Beispiel in England haben die Bauingenieure da in Newcastle, denen wurde gesagt, wir haben leider die Baupläne zu der Brücke über den Tyne verloren. Jetzt müsst ihr die Baupläne rekonstruieren. Und da müssen die dann hingehen und müssen Statik, all das, was sie in den Vorlesungen gelernt haben, das müssen sie anwenden, und zwar aus eigener Denkvollkommenheit. Und dann am Schluss wird verglichen, ja wie sehen denn die tatsächlichen Baupläne aus und wo sind wir daneben gelegen, damit haben Sie auch ein fehlerfreundliches Lernen und fehlerfreundliches Denken, was für Kreativität unverzichtbar ist. Also, so können Sie das am konkreten Beispiel, können Sie das jeweils anwenden auf die einzelnen Fächer.
von Billerbeck: Das klingt so klar, dass man sich eigentlich wundert, dass das nicht längst Unialltag ist.
Wagner: Ja. Da haben Sie vollkommen Recht. Es gibt einige Hochschulen, die das geschafft haben. Das bedeutet natürlich sehr viel mehr Aufwand in der Lehre. Man müsste da auch von der Semesterwochenstunde – gegenwärtig wird an Hochschulen ja in Stundenlohn gelohnt, also die Professoren werden für eine Stunde, egal was sie da lehren oder was sie da machen, ob da 200 Studis sitzen oder zwölf, kriegen sie eine SWS – da muss man von weg und muss auf Betreuungsverhältnisse kommen. Weil solche Veranstaltungen erfordern viel Zeit: Man muss mit den Studierenden in Kontakt sein, man muss ihnen Wege aufzeigen, man muss dabei sein und ihre Lernprozesse begleiten.
von Billerbeck: Das heißt, die Professoren, die möglicherweise sehr intensive Betreuungsarbeit leisten, weil sie vielleicht nur fünf Studenten haben, kriegen mehr Geld als die, die 200 vor sich haben, vor sich sitzen haben und da gar nichts weiter tun als Vorlesungen halten?
Wagner: Ja, also es ginge danach … Also wenn ich 200 Leute habe, dann müsste ich da, wenn ich die jetzt betreue in kleinen Gruppen, müsste ich dafür auch mehr Geld kriegen. Also ich müsste, das müsste umgerechnet werden, während wenn ich nur fünf Studenten habe und die auch in gleicher Weise betreue, dann muss diese Zahl, 5 und 200, muss ins Gewicht kommen. Und gegenwärtig ist das nicht der Fall.
von Billerbeck: Es gab ja auch eine Verwaltungsreform an den Universitäten, nicht bloß eine Studienreform. Da hat es eine Machtverschiebung gegeben, weg von den Professoren hin zu den Managern. Ist das eine gute Entwicklung?
Wagner: Das ist höchste Zeit! Vor 200 Jahren hat Humboldt die deutschen Universitäten den Professoren zum Privatbesitz übergeben. Die konnten mit Freiheit von Lehre und Forschung und Berufsbeamtentum tun und lassen, was sie wollten, und haben dann mit ihrer – die haben die Blockademehrheit in allen Gremien – und haben alle Reformen, die ihre Privilegien irgendwie in Frage stellen sollten und die eingreifen sollten in diesen unendlichen Freiraum, haben sie abgeblockt.
von Billerbeck: Müssten die Professoren nicht umgekehrt eigentlich froh sein, wenn es da Manager gibt, die ihnen den ganzen Kram abnehmen, weil sie ja dadurch viel freier sind für ihre Forschungs- und Lehrarbeit?
Wagner: Ja, die müssen aber natürlich auch eingreifen. Schauen Sie, die Hochschulen kriegen ihr Geld nach der Anzahl Studierenden. Die Professoren kriegen ihre Reputation nach dem Erfolg in der Forschung, sodass denen die Lehre viel entfernter liegt. Und wenn die Hochschulleitungen sagen, hey, ihr müsst in die Lehre rein, dann schreien die Zeter und Mordio.
von Billerbeck: Trotzdem haben wir natürlich auch unter den Professoren nicht nur die alten Professoren, die ja an ihren Privilegien kleben, sondern auch sehr viele neue Probleme bei neuen Professoren, die also gering bezahlt werden, die nach zum Teil absurden Kriterien für angeblich leistungsgerechte Vergütung und in befristeten Verträgen. Was sagen Sie denen?
Wagner: Da bin ich ganz auf ihrer Seite, das ist demotivierend und kontraproduktiv. Aber das Problem ist, dort wo Universitäten heute gut funktionieren, funktionieren sie trotz des Systemes und nicht wegen des Systems. Also, sie funktionieren, weil sich einzelne wirklich in die Bresche werfen. Aber die Ermutigung sozusagen, wofür ich belohnt werde, ist, von der Lehre wegzugehen und mich in der Forschung zu engagieren.
von Billerbeck: Ihre Vorschläge zum Beispiel zu dem verrückten Lernen, die Sie anfangs uns geschildert haben, was meinen Sie, wann werden die umgesetzt sein an den deutschen Unis?
Wagner: Na, da wird es zuerst einen Aufschrei geben im Namen von Humboldt, um das alles zu verhindern. Es sind letztlich die KMKs gefragt, also die Politik ist gefragt, eigentlich ist auch die Hochschulrektorenkonferenz gefragt. Es muss gegen den Widerstand der Professorenschaft muss so was durchgesetzt werden.
von Billerbeck: Der Sozialwissenschaftler Wolf Wagner in Deutschlandradio Kultur, ich danke Ihnen!
Wagner: Ich danke Ihnen!